Jürg Schubiger: "Haller und Helen"
"Allerlei oder allerhand?
Bevor Haller die Antwort nicht hat, geht das Leben nicht weiter. So denkt er
nachts manchmal, und er bleibt wach, um das Eintreffen des richtigen Wortes
nicht zu verpassen."
Haller und Helen leben im Alters- und Pflegeheim "Sandhalde". Haller erzählt,
lässt Teile seines Lebens Revue passieren, und Helen, die an den Rollstuhl
gefesselt ist, hört ihm in erster Linie zu. Vorerst scheint sich die Geschichte
als Monolog zu entwickeln, doch letztendlich findet zwischen den beiden doch ein
Dialog statt.
Haller erzählt von seiner Kindheit, seiner Frau, von seiner Tochter und von
seinem Freund Strack und dessen Tod. Er sinniert über das Leben, die
Vergangenheit und die Mühsal des Älterwerdens. Auf eindrucksvolle Art lernt der
Leser seine Schwierigkeiten und Rituale beim Schlafengehen kennen, den
eingeteilten
Tagesablauf
mit seinen Fixpunkten, der sich oft unendlich lang hinzieht. Aber er lässt uns
auch an seiner Angst, Dinge zu vergessen, selbst das Alltägliche, den Faden
mitten im Gespräch zu verlieren, sich außerhalb des Heimes lächerlich zu machen
mit seiner Hilflosigkeit, teilhaben.
Helen ermuntert ihn immer wieder, Dinge zu erzählen, unterbricht seinen
Redeschwall durch ihre Wünsche, etwas zu spielen, oder reimt verschiedene
Wörter, was beide zum Lachen bringt.
Spätestens nach der Lektüre dieses Romans ist klar, dass das Älterwerden mit
unzähligen Gebrechen und vor allem Hilflosigkeit verbunden ist. Obwohl Haller
immer wieder betont, dass sie noch Glück gehabt hätten mit diesem guten
Altersheim - und speziell er, weil er noch immer relativ unabhängig ist. Seine
täglichen Morgenspaziergänge lässt er sich nicht nehmen, und auch Ausflüge
unternimmt er immer noch. Er hat sich sein kindliches Gemüt bewahrt, ist für
Späße und Spiele gemeinsam mit Helen immer zu haben. Seine Vertrautheit mit
Helen, die gegenseitigen Hänseleien lassen das Leben auch unter diesen Umständen
lebenswert erscheinen. Letztendlich entspinnt sich zwischen den beiden eine
Liebesgeschichte, deren Ausgang bzw. Intensität aber ungewiss bleibt.
Jürg Schubigers Roman beschreibt auf aufmerksame Weise das Älterwerden zweier
Menschen, das mit etlichen Unannehmlichkeiten und Mühsal verbunden ist. Trotzdem
ist dieser Roman keinesfalls deprimierend, denn auch die schönen Momente und der
Humor kommen nicht zu kurz.
Dieser Roman verspricht dem Leser geradezu, dass das Leben trotz aller mit dem
Alter verbundenen Plagen noch immer Überraschungen und lustvolle Momente
bereithält. Dass auch in diesem Alter
Liebe eine Rolle
spielen kann, hat etwas Tröstliches und Berührendes. Aber vor allem habe ich
eines permanent während des Lesens verspürt: dass Liebe, Offenheit für alles
Schöne und bleibende Neugier dem
Leben
gegenüber das Leben in jedem Alter lebenswert machen kann.
(Margarete Wais)
Jürg Schubiger: "Haller und Helen"
Haymon. 144 Seiten.
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Jürg Schubiger wurde 1936 geboren und lebte in Zürich und im Tessin. Er
studierte Germanistik,
Psychologie und
Philosophie. Seit 1980 war er
psychologischer Berater in eigener Praxis.
Jürg Schubiger starb am 15. September 2014.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Nicht schwindelfrei"
Pauls Gedächtnis ist sehr fadenscheinig und unzuverlässig geworden. Namen sind
ihm entfallen, seine Lebensgeschichte hat Lücken. Und manchmal weiß er auch
nicht mehr, was sich gehört. Seine Umgebung behandelt ihn wie einen
Kranken, sie
reagiert mit Mitleid und Ungeduld, zuweilen auch mit amüsierter Verwunderung.
Paul selbst dagegen empfindet seinen Zustand als durchaus angenehm: Befreit vom
Ballast der Erinnerungen ist er offen für das, was der lebendige Augenblick
anbietet. Mit unverstellter Freude kann er über die kleinen Seltsamkeiten des
Alltags, die Kunst und nicht zuletzt auch die Liebe staunen.
Jürg Schubiger begleitet Paul poetisch und mit feiner Ironie durch seine Tage
und lässt uns die Welt durch seinen eigenwilligen Blick neu betrachten. (Haymon)
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