Erwin Schrödinger: "Mein Leben, meine Weltansicht"
Die Autobiografie und das philosophische Testament
Erfahrungen
und Lebensweisheit eines der größten Physiker
Zeit seines Lebens war der Wiener Physiker und
Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, zu dessen
besonderen Leistungen die Begründung der Wellenmechanik
zählt, ein zurückhaltender, bescheidener Mensch, den
gelegentliche Verpflichtungen, über sich selbst zu sprechen
(etwa bei der Nobelpreisverleihung 1933), unangenehm
berührten. Kurz vor seinem Tode veröffentlichte er
sein weithin beachtetes philosophisches Testament unter dem Titel
"Meine Weltansicht" - einen starken
Hang zur Philosophie hatte er stets
besessen, Schrödinger war auf diesem Gebiet sehr belesen - und
verfasste eine kurze Autobiografie. Beide Schriften wurden nun vom dtv
in einem Band herausgegeben.
In "Mein Leben" präsentiert Schrödinger seine
bewegte, von vielen, oft durch äußere
Umstände (Lehrstuhlangebote, Nationalsozialismus) erzwungenen
Ortswechseln geprägte Autobiografie seinem Wesen entsprechend
unprätentiös, knapp und sachlich. Er hält
sich nicht an die Chronologie, sondern gönnt sich und dem
Leser immer wieder Exkurse und Rückblenden. Dabei zeigt sich
sein klug abwägender Verstand, gepaart mit Warmherzigkeit,
typischem Wiener Charme und Interesse für sozialpolitische und
pädagogische Aufgaben und Herausforderungen. Obwohl auch in
dieser Kurzbiografie schon viel von Schrödingers An- und
Einsichten enthalten ist, fehlt nie der rote Faden. Von
Schrödingers Physik ist übrigens nur am Rande die
Rede - dies zur Beruhigung der naturwissenschaftlich weniger
"vorbelasteten" Leser dieser Rezension.
Es sei mir die Anmerkung gestattet, dass es im Sinne der Nicht-Physiker
in der Leserschaft nicht geschadet hätte, die in "Mein Leben"
erwähnten, für Schrödingers Biografie
bedeutsamen Physiker in Fußnoten oder Anmerkungen kurz
vorzustellen.
"Meine Weltansicht" offenbart die Ergebnisse von Schrödingers
Auseinandersetzung mit allen namhaften
Philosophen
und Philosophien, angefangen mit dem alten Indien
über die Griechen und Römer bis hin zur
Aufklärung und darüber hinaus, wobei er
persönliche Erfahrungen und Eindrücke zuweilen als
Kontrapunkt, oft auch als Bestätigung der philosophischen
Theorien einbringt.
Schrödinger hat seine "Weltansicht" in die Teile "Suche nach
dem Weg" und "Was ist wirklich?" gegliedert. Eine Zusammenfassung der
vielen ausformulierten und angeschnittenen Gedanken auf engem Raum ist
wohl unmöglich. Der Schwerpunkt des ersten Teils liegt auf den
Themenkomplexen Metaphysik (als Gegensatz zur exakten Naturwissenschaft
und von dieser mittlerweile ungebührlich
unterdrückt),
Wahrnehmung
und Bewusstsein. Im zweiten Teil geht es wesentlich um die
Verständigung und ihre Grenzen - somit um die
Unmöglichkeit einer eindeutigen Wahrnehmung - und um eine
Ersatzethik angesichts der in vielen Bereichen ungenügenden
Religionen.
Der Autor argumentiert stets logisch und weiß seine Thesen
und Schlussfolgerungen wohl zu begründen, auch wenn sie
gelegentlich recht kühn erscheinen. In Schrödingers
philosophischem Testament zeigt sich nicht nur eine bewegliche, in
viele Richtungen offene Persönlichkeit trotz einer eher
konservativen Grundhaltung, sondern auch eine überragende
Allgemeinbildung und Belesenheit, die, gepaart mit erstaunlicher
Weitsicht, seinen Forderungen und Erkenntnissen eine zeitlose
Aktualität verleihen; mancher Gedanke, mancher Impuls scheint
gerade auf unsere Zeit zugeschnitten zu sein.
Schrödingers Stil ist flüssig, eingängig und
klar. Gelegentlich blitzt ein herrlich trockener Humor auf. Und immer
wieder gelingt es dem Physiker, mit wenigen Worten die Figur
großer Philosophen treffend zu skizzieren.
Wahrlich ein interessantes Buch voller Charme und Weisheit! Und da auch
die Aufmachung und die gesamte Umsetzung überzeugen, ist
dieses Buch sehr zu empfehlen: nicht nur jenen, die
Schrödinger als Physiker schätzen, sondern auch
Menschen, die der Philosophie zugetan sind, und solchen, die unsere
Welt - und unsere Sicht derselben - kritisch hinterfragen.
(Regina Károlyi; 01/2006)
Erwin
Schrödinger: "Mein Leben, meine Weltansicht"
dtv, 2006. 192 Seiten.
ISBN 3-423-34273-0.
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