Hans-Jürgen Heinrichs: "Schreiben ist das bessere Leben"
Gespräche mit Autoren
Literatur leben
Das
vorliegende Buch präsentiert vorwiegend Gespräche mit zehn Autorinnen und
Autoren, die seit 1999 geführt, teilweise später wieder aufgegriffen und durch
Dokumente ergänzt wurden. (Ausnahme: mit Cioran sprach Heinrichs bereits 1983).
Nach eigenem Bekenntnis hat sich Heinrichs dabei an Marguerite Duras’ Buch
"Écrire" orientiert, worin die wesentlichen Überlegungen über das Schreiben
quasi vorformuliert sind und in der Erkenntnis kulminiert: "Das Schreiben ...
ist das Unbekannte von einem selbst." Grundsätzlich ist Schreiben mit Defekten
und Widersprüchlichkeiten verbunden - das Schreiben findet den Autor, nicht
umgekehrt - beim Schreiben lässt man sein soziales Ich hinter sich - ohne das
Schreiben könnte ein Autor nicht leben (vgl.
Nachbemerkung).
Schriftsteller sind gezwungenermaßen Einzelgänger, die
auf die konventionellen Fragen, warum und wie sie schreiben, keine pauschale
Antwort geben können. Im Grunde wird man nicht Schriftsteller durch
Absichtserklärung und Kursbesuche - das Schreiben erfasst einen von Anfang an -
"Schreiben ist wie Atmen" (Paul Nizon). Und so protokolliert der vorliegende
Band die Versuche, das eigene Schreiben zu begreifen, für sich und Andere
nachvollziehbar zu machen. Einerseits empfindet der Schriftsteller Freiheit
durch das Schreiben, andererseits kann man sich wie unter einem Zwang fühlen.
Letztendlich ist es die persönliche emotionale Verbundenheit mit dem Sujet,
welche das Schreiben trägt, den Schriftsteller am Leben erhält und den Leser
fasziniert.
Das vorliegende Buch geht den Besessenheiten nach, verfolgt
Motivationsspuren und versucht die Sogwirkung zu erklären, die ein gutes Buch
und seinen Autor ausmachen. Wirkliches Schreiben bedeutet auch, immer wieder nur
Vorläufiges zu Papier zu bringen, immer wieder in Grenzbereiche der eigenen
Persönlichkeit, der Realität und auch der Fantasie vorzustoßen. Nichts
widerspräche dem Schöpferischen als Idee mehr, als etwas Endgültiges schaffen zu
wollen. Ein Autor mag sich mit quasi Überflüssigem oder Marginalem abmühen - er
wird aber auch immer wieder zur Essenz der Existenz vorstoßen und dabei
feststellen: "Schreiben ist das bessere Leben"!
Überraschend oder auch
nicht äußert
Elfriede Jelinek (Nobelpreis für Literatur 2004), gerade wenn man
als Schriftsteller Chaos im Kopf habe, brauche man Ordnung und Regelmäßigkeit
beim Schreiben. Interessant ist ihr Hinweis auf die Gefahr, dass man sich selbst
parodiert, wenn man einen zu stark individualisierten Stil entwickelt hat. Im
übrigen bewundert sie
Robert Walser als "Inbegriff eines Schriftstellers, der
nicht um sein Ich kreist." Sie selbst hat das Gefühl, "dass sich die Bücher
selber schreiben" - es ist "ein Es", das schreibt. Für
Friederike Mayröcker ist
Schreiben erklärtermaßen eine Sucht, ein Wahn, eine Art Taumel - worüber sie
nicht reflektieren möchte, weil sie sonst "aus dem Takt käme." Das ist auch der
Unterschied: während Heinrichs’ Gespräch mit Jelinek ca. 40 Seiten aufweist, ist
er mit Mayröcker nach etwa 15 Seiten fertig.
Für Gerhard Roth muss das
Künstlerische sich frei entwickeln über jeden Vorsatz hinaus, auch auf die
Gefahr hin, dass sich aufeinanderfolgende Werke widersprechen: "Die Arbeit ist
wichtiger als die eigene Position oder man selbst." Überdies spricht er eine
Binsenweisheit über das (poetische) Schreiben aus: "Wohl kein Autor ist in der
Lage, ein Buch, das er einmal geschrieben hat, noch einmal in derselben Form zu
schreiben." Roth war auch in der Psychiatrie Gugging, hat dort Ernst Herbeck und
Leo Navratil kennengelernt - dabei fiel ihm auf, dass er "sowohl 'Ich' als auch
'Es' sein möchte. Ich spiele zumeist mit mir selbst Pingpong; besonders wenn ich
schreibe." Für ihn ist "die Literatur das wahre, das wirkliche Leben. Es ist
daher naheliegend, dass
das Imaginäre und das Wirkliche nicht voneinander
trennbar sind."
Wenn wir bei Cioran von dem eigenartigen Widerspruch von
"schweigen zu wollen, aber doch schreiben zu müssen, um leben zu können" lesen,
verwundert es auch nicht, ihn sagen zu hören, er sei kein Schriftsteller,
sondern ein "Fragmentmensch." Und
Semprun spricht vom "unendlichen Schreiben",
weil er nie alles herausgefunden haben wird. Und so ist dies hier ein
hochinteressantes und -konzentriertes Buch geworden, gerade auch weil Heinrichs
ein bestens informierter und detailbesessener Fragender ist. Und wenn sich in
etlichen Beiträgen in anklängen Frage- und Antwortanteile wiederholen, so liegt
das in der Natur des Sujets.
(KS; 03/2006)
Hans-Jürgen Heinrichs: "Schreiben ist das bessere
Leben"
Antje Kunstmann Verlag, 2006. 320 Seiten.
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Hans-Jürgen Heinrichs lebt als freier Schriftsteller in Frankfurt a.M. Er ist Autor mehrerer Biografien, literarischer und kulturanalytischer Bücher sowie Herausgeber zahlreicher Werkausgaben.