Robert Schneider: "Schatten"

"Aber ich habe den Stern, nach dem ich gegriffen habe, nicht bekommen." (Florence)
"Darum geht es nicht! Du hast danach gegriffen. Darum geht es. Du hast nach den Sternen gegriffen. Verstehst du? Du hast es versucht! Du hast es wenigstens versucht! Darum geht es und nur darum!" (Kasha)


Florence bittet ihre ehemalige Freundin Kasha mittels eines Briefes nach sechsundzwanzig Jahren um ein Treffen. Diese Begegnung soll Florence dazu dienen, Kasha eine Frage im Zusammenhang mit Collin Lamont zu stellen.

Die beiden alten Damen treffen einander im Pacific, einem Restaurant in Sydney, welches sie früher häufig frequentiert haben. Dort ist Florence der Liebe ihres Lebens, Collin Lamont, begegnet, welcher später Kasha geheiratet hat.

Das Gespräch der beiden Damen beginnt mit einem Monolog von Florence, einer schonungslosen Abrechnung ihres Lebens und ihrer Liebe. Florence erklärt ihrer Freundin, dass sie nach wie vor Collin Lamont, der bereits seit 15 Jahren tot ist, liebt. Einen Mann, der kaum jemals wirklich von ihr Notiz genommen hat. Er schlief zwar mit ihr, aber sie selbst ist überzeugt, dass er schon damals eigentlich Kasha meinte. Florence war nur ein Innehalten, eine Zerstreuung für Collin. Obwohl Florence dies erkannt hatte, hat sie sich für die Liebe entschieden und beschreibt diesen Moment der Entscheidung als schönen Moment der inneren Freiheit. Sie war damals verliebt bis über beide Ohren und hat sich diese Verliebtheit bis heute bewahrt. Ihre Freunde versuchten ihr diese einseitige Liebe auszureden, führten ihr vor Augen wie lächerlich sie sich verhielt, doch Florence hielt an ihrer Liebe fest.

Als sie eines Tages Collin an seinem Geburtstag überraschen will, findet sie Kasha an seiner Seite. Die beiden kennen sich von ihrer gemeinsamen Schulzeit. Kasha und Collin sind verlobt, werden heiraten. Florence macht aus ihrer Liebe zu Collin gegenüber Kasha kein Hehl und versucht verzweifelt durch einen Heiratsantrag an Collin das Blatt noch zu wenden. Dieser Versuch ist aber nicht von Erfolg gekrönt. Kasha und Collin heiraten. Florence nimmt an dieser Hochzeit teil und bricht anschließend den Kontakt zu den Eheleuten gänzlich ab bis zu diesem Tag des Treffens, welches lediglich dazu dienen soll, diese seit Jahren quälende Frage endlich Kasha zu stellen.

Ein Roman, der den Begriff der Liebe neu definiert, der keine Scheu hat, bis in die tiefsten Winkel der Menschen vorzudringen, der sich nicht mit Oberflächlichkeiten begnügt, sondern hinter die Kulissen blicken möchte. Es werden alle Gefühlsregungen ernst genommen, betrachtet, analysiert, hinterfragt und nicht beiseite geschoben und belächelt. Eine Geschichte die jegliche Gefühle zu würdigen weiß, sie niemals verharmlost oder zudeckt - die den Leser motiviert, den handelnden Personen offen ins Gesicht zu blicken und die Gefühle gemeinsam mit ihnen auszuhalten ohne sich abzuwenden. Ein Buch, das dem aufmerksamen Leser den Gedanken nahe bringt, dass man sich das Herz eines Menschen nicht erkämpfen kann; er schenkt es einem oder eben nicht.

Ich konnte dieses Buch nicht aus der Hand legen, war zutiefst berührt, habe mich auf die Vielfalt der Gefühle eingelassen und stelle mir nun auch für mich die Frage: Ist es lebenswerter, sich ohne wenn und aber auf eine Liebe und auch auf das Leben einzulassen, oder sollte man erst gar nicht nach den Sternen greifen?

Der Autor Robert Schneider wurde 1961 geboren und arbeitet in Menschach, einem Bergbauerndorf in Vorarlberg, wo er auch aufgewachsen ist.

(margarete, 09/2002)


Robert Schneider: "Schatten"
Reclam Leipzig, 2002. 210 Seiten.
ISBN 3-379-00792-7,
ca. EUR 18,90.
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