Hansjörg Schneider: "Hunkeler und der Fall Livius"
Der sechste Fall
Seit
1993, als der Basler Schriftsteller Hansjörg Schneider seinen
ersten Kriminalroman um den Kommissär Peter Hunkeler
veröffentlichte, ist er als Krimiautor ein Geheimtipp. Obwohl
seine Bücher keine hohen Auflagen erreichen, wie etwa die
seiner modern gewordenen schwedischen Kollegen, sind die Romane auf
höchstem Niveau,
mit viel politischer Analyse,
gesellschaftlich-hintergründigem Witz und immer auch
angereichert mit einer subtilen Kritik an den gesellschaftlichen
Verhältnissen, besonders denen in Basel und in der Schweiz.
Peter Hunkeler war früher verheiratet, hat aus dieser Ehe auch
eine erwachsene Tochter, mit der sein Kontakt aber spärlich
ist. Seit vielen Jahren ist er mit Hedwig zusammen, einer engagierten
Erzieherin, die es trotz allem Stress versteht, ihr Leben zu
genießen und auf diese Weise Peter Hunkeler immer wieder
einen guten Ruhepol bietet, auch wenn ihre Streitgespräche
ein wahrer Lesegenuss sind. Besonders wenn sie Wochenenden
oder andere freie Tage in ihrem Häuschen im Elsass direkt
hinter der französisch-schweizerischen Grenze verbringen.
Hunkeler ist nach Angaben des Autors in diesem und auch im vorigen Buch
vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, etwa 1938, geboren,
müsste also eigentlich schon längst in Pension
gegangen sein. Tatsächlich ist er, der in der Vergangenheit
seinen Vorgesetzten nicht selten mit seinen höchst
eigenwilligen Ermittlungsmethoden auf die Nerven gegangen ist und
deswegen auch schon mehrfach suspendiert war, mittlerweile für
besondere Aufgaben frei gestellt.
Hunkeler hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. In der
Studentenbewegung engagiert, hat er sich eine
libertär-liberal-linke Position bewahrt, die nie dogmatisch
war oder wird. Vielleicht ist er darin das treue Abbild seines genialen
Schöpfers. Er kennt in Basel Gott und die Welt, und seine
sozialen Kontakte machen vor Klassenschranken und sozialen Milieus
nicht Halt. Er verkehrt mit Schriftstellern, (tatsächlich
lässt Schneider im neuen Buch zwei lebende Basler Autoren
auftreten), Künstlern, Lebenskünstlern, halbseidenen
Figuren an der Grenze zur Unterwelt. Er trifft sie auf der
Straße, in Cafés, vor allem aber abends und nachts
in den alten Basler Beizen, die vom Aussterben bedroht sind, und denen
Hansjörg Schneider in seinen Büchern nebenbei ein
Denkmal setzt.
Er liebt Menschen und die Geschichten, die mit ihnen verbunden sind.
Und weil er sich so gut in Menschen hineinversetzen kann, löst
er alle seine Fälle mit diesem "Gspüri". Seine
Kollegen halten Distanz zu ihm - seine Eigenständigkeit und
innere Ruhe machen ihnen Angst. Der Staatsanwalt Suter, der in den
Büchern Schneiders immer wieder auftaucht, achtet Hunkeler und
unterstützt ihn heimlich. Denn die Erfolge des
Kommissärs sprechen für sich. Ohne sie
hätten ihn seine Obersten sicher schon vor zehn Jahren in den
Ruhestand versetzt.
In "Hunkeler und der Fall Livius" geht es um einen Mord in einer
Schrebergartenkolonie; am Neujahrsmorgen wird Hunkeler dorthin gerufen.
Ein Mann ist brutal umgebracht worden: erschossen und mit einem
Fleischerhaken am Türbalken aufgehängt. Der Fall wird
dadurch kompliziert, dass die Gärtner fast alle in Basel
wohnen, die Kolonie selbst aber auf elsässischem Gebiet liegt.
Die Zusammenarbeit der Basler und der elsässischen Polizei ist
von viel Konkurrenz und Spannungen geprägt, doch Hunkeler
gelingt es mit Commissaire Bardet, das Klima zu versachlichen und zu
entspannen.
Hunkeler vermutet richtig, als er spürt, dass die
Lösung dieses Mordes an Anton Flückiger
nicht in der Kolonie selbst zu finden ist, obwohl es dort
mannigfache Konflikte und Auseinandersetzungen innerhalb der
Hobbygärtner gibt. Er verfolgt die Geschichte des Opfers
zurück und gerät in eine dunkle Vergangenheit, aus
der viel Verdrängtes aus der Zeit des Nationalsozialismus
hochkommt, was die Schweizer nicht so gerne hören. Schneider
erzählt ohne anzuklagen. Seine Figur Hunkeler ermittelt
gelassen und erzählt Geschichten bzw. lässt sie
erzählen.
Und so kommt am Ende nicht nur ein Kriminalroman heraus, der spannend
ist, sondern auch ein Buch, das aufklären will und nicht
zuletzt, vermittelt über die Lebensphilosophie des
Kommissärs (des Autors?), eine anspruchsvolle, unterhaltsame
Lektüre bietet.
Alle bisher erschienenen Bücher mit Hunkeler seien auf diesem
Weg auf das Wärmste empfohlen. Man kann gespannt sein darauf,
wie Schneider den alten Hunkeler, (er muss als Jahrgang 1938 ja wohl
bald pensioniert werden!), weiter auf seine unnachahmliche Art
ermitteln lässt.
(Winfried Stanzick)
Hansjörg Schneider: "Hunkeler und der Fall Livius.
Der sechste Fall"
Diogenes, 2015.
Buch
bei amazon.de bestellen
Hansjörg Schneider, geboren 1938
in Aarau, arbeitete nach dem Studium der Germanistik und einer Dissertation
unter Anderem als Lehrer, als Journalist und am
Theater. Mit seinen
Theaterstücken war er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker,
seine "Hunkeler"-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Verkaufsbestenliste an
und sind mit Mathias Gnädinger in der Hauptrolle verfilmt worden. Anno 2005
wurde er mit dem "Friedrich-Glauser-Preis" ausgezeichnet. Er lebt als freier
Schriftsteller in Basel und im Schwarzwald.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Hunkeler und die goldene Hand"
zur Rezension ...
"Das Wasserzeichen"
Ende der 1930er Jahre wird ein Knabe geboren, der an seinem Hals eine
kiemenartige Öffnung hat. Sie wird zu einer schmerzhaft
trockenen Wunde, wenn er sie nicht regelmäßig mit
Wasser versorgt. So ist der kleine Moses nicht im Elternhaus daheim,
sondern im Altachenbach, der daran vorbeifließt. Das Wasser
ist seine Gegenwelt zu den "Luftbanausen und verknöcherten
Steinköpfen des Tieflandes".
Ist Moses Binswanger ein Mörder, eine Gefahr für die
Öffentlichkeit? Moses' Mutter schützt den Jungen so
lange sie kann, auch vor des Vaters Ablehnung.
Hansjörg Schneiders Roman "Das Wasserzeichen" ist die
Verteidigungsschrift eines besonderen Menschen, der durch die
Realität dieser Welt ins Abseits gerät.
Buch bei
amazon.de bestellen
"Tod einer Ärztin"
Kommissär Hunkeler, der mehr auf seinen Riecher als auf
Computer gibt, löst seinen vierten Fall.
Hochsommer in Basel - Kommissär Hunkeler sitzt
schweißgebadet an einem Montagmorgen an seinem Schreibtisch
im Waaghof. Er sehnt sich nach den kühlen Gemäuern
seines alten Bureaus und einem erfrischenden Bad im Rhein, als er einen
dringenden Anruf von der Sprechstundenhilfe seiner Hausärztin
erhält. Frau Dr. Christa Erni liegt ermordet in ihrer Praxis.
Schnell ergeben sich Verdachtsmomente gegen eine Bande
Drogenabhängiger, die von der liberalen Ärztin mit
Methadon versorgt worden waren, doch Hunkeler ist kein Freund einfacher
und voreiliger Lösungen, und sein Instinkt für die
Abgründe der menschlichen Psyche führt ihn
untrüglich auf andere Fährten.
Buch bei
amazon.de bestellen
"Hunkeler macht Sachen"
Es ist Ende Oktober, die Stadt Basel ist grau und nass wie im Dezember.
Weil seine Freundin Hedwig für drei Monate
nach Paris verreist
ist, sitzt Kommissär Peter Hunkeler wieder einmal im
verrauchten Milchhüsli und trinkt ein paar Feierabendbiere. Es
ist schon früher Morgen, als er auf dem Heimweg dem alten
Hardy begegnet. Hunkeler setzt sich zu ihm und raucht eine Zigarette.
Aber der sonst so gesprächige Hardy bleibt unerwartet stumm.
Seine Kehle ist eine klaffende Wunde. Medien und Stadtpolizei sind sich
einig: hinter dem Mord steckt eine Schmugglerbande aus Albanien. Aber
das ist Hunkeler zu einfach - mit seinen eigenen Methoden folgt er
einer heißen Spur und wird prompt vom Dienst suspendiert. Er
räumt sein Büro und setzt allein auf sein
untrügliches psychologisches Gespür. Es
führt ihn ins Basler Rotlichtmilieu und in dunkle, unbekannte
Abgründe der Schweizer Vergangenheit. Hunkelers
fünfter Fall.
Buch bei
amazon.de bestellen
"Im Café und auf der Straße"
Auf eigenwillig direkte Weise erzählt Hansjörg
Schneider in seinem Geschichtenband von alltäglichen
Besonderheiten und kleinen Kuriositäten. Von
unerträglich schöner und manchmal
unerträglich trauriger Leichtigkeit sind die zeitlos
poetischen Geschichten. Zwischen den Zeilen schwebt subtil und
unauffällig Schneiders Liebe fürs Detail: Begleitet
vom erzählenden Flaneur, spaziert man durch die
Städte und freut sich an glänzenden Kieselsteinen,
einem lesenden Mädchen am Weiher, an Beduinen und einem
Londoner Gentleman. Ihnen allen ist eins gemeinsam: Sie sind sie so
echt und lebendig, dass man meint, ihren Atem zu spüren.
Buch bei
amazon.de bestellen