Hans Werner Scheidl: „Die Monarchen der Zweiten Republik"

„Man lebt nur einmal. Lass mich alles, wodurch ich dem Anderen von nutzen sein kann, unverzüglich tun; lass mich nichts vergessen oder übersehen, denn die Gelegenheit dazu kehrt nicht wieder.“


Dieses kurze Gebet fand man handgeschrieben in der Jagdjoppe von Josef Krainer dem Älteren nach seinem plötzlichen Tod bei seiner geliebten Jagd. Josef Krainer der Ältere ist einer der zehn österreichischen Landeshauptleute, die im Buch beschrieben werden. Bereits zu Zeiten der 1. Republik war er politisch tätig und hätte sein politisches Engagement zu Kriegsende fast noch mit dem Leben bezahlen müssen. Geboren wurde er am 16. Februar 1903 in der „Schanzlkeusche“ als Sohn einer Magd und eines bettelarmen Wegmachers. Er war, obwohl er keinerlei Studium absolvieren konnte und seit frühester Jugend als Bauernknecht seinen Unterhalt zu verdienen hatte, letztlich eine der ganz großen Persönlichkeiten, die das politische Establishment in diesem Jahrhundert bevölkert hat. Politische Heimat war ihm, aus religiöser Sicht, Erziehung und bäuerlicher Herkunft, die ÖVP. Dem Umfeld dieser politischen Partei sind übrigens die meisten der beschriebenen Personen mit Herkunft aus dem ländlichen Raum zuzuordnen. Dass sich Josef Krainer d.Ä. später als eine Art Fürst der Steiermark fühlte, zeigt, wie stolz er ob seiner Leistungen für Land und Leute seiner Heimat war. Zeitlebens wird den damals Anwesenden als Anekdote in Erinnerung bleiben, als bei einem großen Empfang in der kaiserlichen Schlossanlage im Wiener Schönbrunn anlässlich des Staatsbesuches der englischen Königin Elisabeth II. Krainer aus dem Spalier behände vor die Königin trat und freudig vermeldete: „I am the Governor of Styria.“

Diese drollige Episode bezeichnet das besondere Selbstverständnis österreichischer Landeshauptleute (im Volke gerne auch Landesfürsten genannt), demnach sie zwar gleich feudalen Aristokraten an der Spitze der jeweiligen Machthierarchie ihres Bundeslandes stünden, dies jedoch nicht gleich Wohlgeborenen aus angemaßter traditionaler Bevorrechtung, sondern allein aus Befähigung zur Leitung des Landes und vermöge des Vertrauens ihrer Landsleute in ihre Qualifikationen und ihren bemühten Willen zum Besten. Es handle sich also um durch ernsthafte Leistung und aufrechte Liebe zu Volk und Land legitimierte wie gleichsam geadelte Herrschaft, und diese besondere Qualität unterscheide eben einen Landesfürsten wie Krainer den Älteren von einer bloß in ihr Fürstentum hineingeborenen englischen Queen, deren einzige Legitimität ihre hohe Geburt ist.

Jeder Einzelne der beschriebenen Landeshauptleute hatte natürlich während seiner Regierungszeit mit Gegebenheiten fertig zu werden, welche Person wie Amtszeit ihr Siegel aufdrückten. Waren es unter dem Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (im Volk zärtlich Walli genannt) terroristische Vorkommnisse in dem nach dem ersten Weltkrieg von Italien annektierten Südtirol (Wallnöfer wurde nie müde seinen Schmerz über die ungerechte Abtrennung des südlichen Teils des heiligen Landes Tirol zu bekunden), so waren es bei dem Vorarlberger Kessler unter anderem Aufregungen um das Bodenseeschiff und das Bregenzer Festspielhaus; den Burgenländer Kery plagte die Affäre um eine gewisse Frau Matysek, deren Bezichtigungen ihn in arge Bedrängnis brachten; Josef Krainer junior (Sohn des oben angeführten Josef Krainer d.Ä.) hatte wohl allen Grund, am wirtschaftlichen Niedergang der heimischen Schwerindustrie zu verzweifeln, und der Kärntner Leopold Wagner hätte wegen seiner sehr machtbewussten Parteibuchpolitik fast das Leben geben müssen, als ein ehemaliger Schulkamerad deswegen ein Schussattentat auf ihn verübte; der Salzburger Haslauer focht – obwohl Repräsentant einer vorgeblich christlichen Partei – zum Erzürnen der katholischen Kirchenfürsten für offene Läden am 8. Dezember, dem Fest Mariä Empfängnis, da ihm der Profitentgang seiner Freunde aus der Wirtschaft das christliche Gewissen wohl mehr belastete als die mutwillige Profanisierung des sakralen Gedenktages, und Siegfried Ludwig verewigte sich über die Idee einer eigenen niederösterreichischen Landeshauptstadt, die es heute mit Sankt Pölten (auch im Scherz „Ludwigsburg“ genannt) zwar tatsächlich gibt und die doch neben dem natürlichen Zentrum des Landes, neben der Bundeshauptstadt Wien, weiterhin ein provinzielles Schattendasein führt (das pompöse und sich geradezu weltstädtisch anmutende Regierungs- und Verwaltungs- und Hochkulturviertel St. Pöltens wirkt wie eine Parodie auf die sonstige Bedeutungslosigkeit der jungen Landeshauptstadt). Als besonders illustre Figur erwies sich der „Hausmeister der Millionenstadt Wien“, ihr langjähriger Bürgermeister Helmut Zilk, ein begabter Medienzampano, welcher als ehemaliger Journalist die größten Medien der Republik (den Österreichischen Rundfunk und die Kronen-Zeitung) hinter sich wusste und auch heute noch gerne durch die Gazetten poltert. Wie auch immer, es entfaltete sich Wien unter Zilk doch zu einer weltoffenen Metropole der Kultur wie auch der internationalen Begegnung (u.a. auch ein Verdienst von Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky), und Dagmar Koller, des Ex-Bürgermeisters Gattin, ist heute soetwas wie eine Übermutter für sexuelle Randgruppen. Unter Zilk veränderte sich das Antlitz Wiens hin zu ökologischer Bewusstheit, und die unter seiner Ägide eingeleitete kulturelle Öffnung (selbst noch der ehrwürdigen Hallen des neugotischen Rathauses für sogar schrille Kulturveranstaltungen) prägt bis heute die nicht welken wollende Blüte künstlerischen Schaffens dieser Stadt. Dass Zilk letztlich zur Zielscheibe eines neonazistischen Briefbombenattentäters wurde, ist in diesem Zusammenhang geradezu zwingend als schaurige Konsequenz seiner linksliberalen Politik zu erachten. Hatte Zilk doch nie ein Hehl aus seiner antifaschistischen Gesinnung gemacht und sich wenn nötig – etwa im Falle des Mahnmals gegen Krieg und Faschismus des kommunistischen Bildhauers Alfred Hrdlicka am zentral gelegenen Albertinaplatz – mit standhafter Entschiedenheit, auch gegen medial angestachelte Volkshysterie, für die Werte der aufgeklärten Zivilgesellschaft positioniert.

Ihrer politischen Entwicklungen nach kann man die angeführten Landeshauptleute einteilen, als – wenn der christlich-sozialen ÖVP zurechenbar - aus dem Beamtentum, Bauern- und Wirtschaftsbereich kommend¸ hingegen Persönlichkeiten der Sozialdemokratie (SPÖ) regelmäßig direkt aus dem Parteiapparat (bzw. aus eng mit der Partei verbundenen Vorfeldorganisationen) hervorgetreten sind. Der angeführte Unterschied erklärt sich aus der ständischen Verfassung der ÖVP in Bünden (Bauernbund, Wirtschaftsbund, Arbeiter- und Angestelltenbund), während die SPÖ eine im Vergleich einheitlich strukturierte Partei ist. Seit 1945 waren insgesamt etwa 59 Personen als Landeshauptleute tätig. Jeder einzelne der langjährig regierenden Landeshauptleute prägte seinem jeweiligen Bundesland seinen persönlichen Stempel auf, hinterließ Spuren persönlichen Gestaltungswillens. Man könnte fast sagen, wie immer man es sieht, ob positiv oder negativ, dass jeder von ihnen eine Art Sinndenkmal hinterließ. Viele der früheren Landeshauptleute, wie beispielsweise Ing. Figl, Dr. Gleißner, J. Reiter usw., waren schon in der Zwischenkriegszeit politisch aktiv und mussten für ihre politische Gesinnung während der NS-Herrschaft ab 1938 mit Haft, Diskriminierung oder erzwungenem Landesverweis geradestehen. Dennoch stellten sie sich nach Wiedererlangung eines Mindestmaßes von politischer Souveränität im Jahre 1945 ohne viel Bedenken wieder in den Dienst der Allgemeinheit. Waren sie doch die politische Elite dieses Landes, und eine andere gab es auch nicht. Hatte doch das NS-Regime das Land nicht nur in den Abgrund gerissen, sondern auch einen Gutteil des höherqualifizierten und deswegen naturgemäß zur Führung befähigten Bevölkerungsteils kompromittiert und somit vorerst für jegliche politische Mitbestimmung disqualifiziert. Manche der Landeshauptleute mögen sich vielleicht wegen ihrer unzweifelhaften Machtfülle als „Monarchen„ gefühlt haben oder nach außen hin so aufgetreten sein. Nur in seltenen Einzelfällen sahen sie sich jedoch veranlasst auch tatsächlich ein klassisch absolutistisches Gehaben an den Tag zu legen, das man dahingehend auslegen könnte, sie würden ihre Entscheidungen gleich barocken Fürsten herrschaftlich über das für alle Bürger verbindliche Gesetz und seine bestellten Wächter (Exekutive und Justiz) stellen. Das zuweilen vernommene altgediente Gerücht von der Juristenherrschaft, also die Unterstellung, hochrangige Rechtsexperten würden Gesetze nach eigenem Gutdünken biegen und beugen wie's beliebt, ist sicherlich genauso wenig begründet und haltbar, wie die volkstümliche Mär, österreichische Landesfürsten könnten und würden ihre Politik über Recht und Gesetz stellen, also die mancherorts behauptete juristische Expertenherrschaft fortgesetzt aushebeln. Und oftmals resultiert diese Zuschreibung absoluter Machtfülle schlicht und einfach nur aus einer kleinbürgerlichen Untertanenmentalität, die solcherart Bereitschaft bekundet, sich in ihrem Ohnmachtsgefühl dem Willen eines vermeintlich allmächtigen Landesvaters auf Gedeih und Verderb auszuliefern

Der Autor illustriert in gekonnter Manier aus der Fülle von zur Auswahl stehenden Personen einige wenige, vorwiegend noch lebende, Persönlichkeiten ohne Ansehung der Partei und veranschaulicht ihre Wirklichkeit als Landeshauptleute anhand besonderer Charakteristika ihrer Amtsführung. Alles in allem handelt es sich um ein interessantes wie ebenso leicht lesbares Buch und kann deswegen, auch als ein Stück jüngster österreichischer Zeitgeschichte, bestens zur Lektüre empfohlen werden.

(Hans Schulz; 6. Juni 2002)


Hans Werner Scheidl: "Die Monarchen der Zweiten Republik"
Gebundene Ausgabe: Ueberreuter, 2002
200 Seiten. ISBN 3-8000-3847-1.
ca. EUR 19,90.
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