Urs Schaub: "Das Gesetz des Wassers"
Simon Tanners zweiter
Fall
Mit Dürrenmatt und
Glauser wird er schon
verglichen. Sinnlichkeit, Originalität sowie ein aufregender unorthodoxer Stil
werden ihm attestiert. Zur Creme de la creme deutschsprachiger Krimiautoren (was
sowieso nicht viel heißen will) soll er bereits gehören. Bedauerlicherweise kann
ich in diese Jubel-Arie auf den Schweizer Autor Urs Schaub nicht einstimmen. Für
mich ist "Das Gesetz des Wassers" keineswegs mit dem Wasserzeichen der
Originalität versehen. Zu viele Klischees geben sich hier ein Stelldichein. Als
Hauptperson der charismatische Einzelkämpfer, dem die Frauenherzen zufliegen,
ein Hansvolldampf in allen Mädchenbetten, der durch Zufall mal wieder über eine
Leiche stolpert (wie es den Ermittlern auch in vielen dieser unsäglichen
TV-Krimis immer wieder geschieht). Diesem Helden, dem smarten Herrn Tanner, wird
dann die provinziell arbeitende örtliche Polizei gegenübergestellt und zwar in
Person von Hauptkommissar Schmid mitsamt seinen unfähigen Mitarbeitern. Auch für
die äußerliche Charakterisierung seiner Figuren hat Schaub übrigens gleich die
passenden Schablonen bereit. Der arrogante, besserwisserische und
karrieresüchtige Staatsanwalt darf natürlich auch nicht fehlen, ebenso wenig wie
der etwas verschrobene aber geheimnisvolle Eigenbrötler, der sich in einem
Dornbusch verborgen hält (der zu allem Überfluss wie sein alttestamentarisches
Vorbild auch noch plötzlich in Flammen steht) und dem Kriminalkommissar a.D.
Simon Tanner unergründliche Rätsel über Gott und die Welt aufgibt. Dann wird uns
noch ein genialer Wissenschaftler präsentiert, dessen bahnbrechende Erfindung
die Welt revolutionieren könnte (James Bond
lässt grüßen), der aber genau so wie Tanner ins Fadenkreuz der asiatischen Mafia
gerät. Selbstverständlich finden auch Tanners private Sorgen Eingang in die
Geschichte, und zwar in Gestalt eines im Koma liegenden geliebten Menschen. So
ist er dann wie nahezu alle seiner TV-Kollegen hin und her gerissen zwischen
seinen ganz persönlichen Problemen und dem zu lösenden Fall. Ja, und zum Schluss
wird auch noch zur Parforce-Jagd durch die Niederungen des "Action"-Krimis
geblasen.
Schon die Lektüre der ersten Buchseiten erweckte ungute
Erwartungen in mir. In asthmatischer Kurzatmigkeit, mit zerhackten Sätzen
stolpert sich die Handlung in Gang. Am Anfang wirkt dieses Gestauchte und
Zersägte doch arg störend, mit der Zeit gewöhnt man sich aber an den Stil und
muss anerkennen, dass Urs Schaub das Handwerk des Schreibens wohl versteht. Als
Mittel zur Forcierung des erzählerischen Tempos haben diese kurzen, pointierten
Sätze ja auch in einigen Passagen ihre Berechtigung. Desgleichen das Präsens,
dessen sich Urs Schaub konsequent bedient und das ebenfalls die Handlung
vorantreibt. Weiterhin auffallend ist das Weglassen jeglicher Zeichen zur
wörtlichen Rede, was ich aber nicht unbedingt als einen Verlust
empfand.
Anders lautenden Kommentaren zum Trotz erscheinen mir aber die
Liebes- bzw. Bettszenen eher abgeschmackt als herzerfrischend, originell oder
anregend. Der häufige Gebrauch vulgärer und obszöner Ausdrücke oder eine
unverblümte Darstellung gewisser sexueller Praktiken ist noch lange nicht mit
Originalität gleichzusetzen. Bei Schaub spritzt nicht nur das Sperma des Mannes,
nein, da ergießt sich auch der Blaseninhalt der Frau als Ausdruck wollüstigen
Sich-Gehen-Lassens als ein warmer Wasserfall ins Bett. Schon peinlich wird es,
wenn Tanners Freund, der Kriminalkommissar Michel, und seine neue junge
Assistentin nichts Besseres zu tun haben, als das Schere-Stein-Papier-Spiel zu
spielen. Michel, der Verlierer, muss sich ausziehen, und seine Kollegin massiert
oder lutscht als Siegerin ihrem Chef daraufhin den Schwanz oder die Eier. Nichts
gegen ein bisschen pornografisch angehauchte Frivolität, aber bitte nicht so
dumm und so plump.
Überhaupt ist die Psychologie der Protagonisten des
Romans reduziert auf etwas rein Geschlechtliches, sie befriedigen ihre
elementarsten Bedürfnisse, sie fressen, pissen und bumsen sich durch den Fall,
verzichten dabei weitgehend auf das Denken und überlassen vor allem Intuition
und Kommissar Zufall die ermittlerische Tätigkeit.
Fazit: Dies ist keine
Super-Nova, nicht einmal am trüben deutschsprachigen Krimi-Himmel, allenfalls
eine rasch verglühende Sternschnuppe, die kurz zu blenden, aber nichts dabei zu
erleuchten vermag. Während also die auf oberflächliche Sinnesreize Bedachten
voll auf ihre Kosten kommen (und für die ist dies sicher ein gutes, lesenswertes
Buch), erleiden die nach Gehalt Schürfenden den geistigen Hungertod. Dies ist
schon bedauerlich, da der Autor zwischendurch immer wieder überzeugende
Kostproben seiner souveränen Sprachbeherrschung und dramaturgischen
Gestaltungskraft gibt. Warum verschwendet er seine Kunst an solch Triviales? Nur
im Hinblick auf die zu erwartenden Verkaufszahlen? Ich jedenfalls vermochte
nicht zu einer Wertschätzung des sinnlichen oder gar geistigen Gewinns zu
gelangen, der in der Lektüre dieses Buches liegen soll.
(Werner Fletcher; 03/2006)
Urs Schaub: "Das Gesetz des Wassers"
Pendo
Verlag, 2006. 486 Seiten.
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Urs Schaub wurde 1951 in Basel geboren.
Er ist Absolvent der Schauspielakademie Zürich und seit 1979 freier
Theaterregisseur. Zahlreiche Inszenierungen in der
Schweiz, Deutschland und
Österreich. 1991 bis 1996 Schauspieldirektor in Darmstadt, anschließend
Gastprofessuren an der HdK Berlin und am Mozarteum
in Salzburg. 1999 bis 2001
Leiter des Schauspiels am Stadttheater Bern. Er lebt in Berlin und im
Emmental.
Der Vorgängerkrimi:
"Tanner"
Wenn Simon Tanner
sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann er ganz schön hartnäckig sein. Wenn er
von Marokko ins romantische Grenzland zur französischen Schweiz zieht, dann
allerdings nicht, weil er die Schönheit der Landschaft genießen will, sondern
weil er der Spur eines ungewöhnlichen Verbrechens folgt: den grausamen Morden an
kleinen Mädchen. Urs Schaub schreibt in einem außergewöhnlich sinnlichen und
ganz eigenständigen Stil, der seine Herkunft von der Bühne weder verleugnen kann
noch will.
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