Rafik Schami: "Erzähler der Nacht"
Erzählungen und Märchen
Geschichten,
die wie Freunde
sind
Salim, der ehemalige Kutscher und beste Geschichtenerzähler
von Damaskus, hat
plötzlich die Sprache verloren. Nur sieben besondere Geschenke
können ihn
erlösen. Salims Freunde finden schließlich heraus,
dass es sich einzig um die
schönsten Geschenke, die es gibt, handeln kann: Geschichten!
Also erzählen sie
allabendlich und so lange verschachtelte Geschichten, bis Salim eines
Tages
wieder selbst erzählen kann ...
Eine Geschichtensammlung aus der Feder des 1946 in
Damaskus geborenen
Rafik
Schami ist eigentlich immer wieder ein Schatz, und die zwanzig
Erzählungen in
diesem Büchlein bilden da keine Ausnahme. An der kurzen Form,
so haben viele
große Literaten festgestellt, zeigt sich der wirkliche
Erzähler, und in der
Variation dieser Form gilt dies verstärkt. "Erzähler
der Nacht"
wurde im Jahr 1990 mit dem "Rattenfängerpreis der Stadt
Hameln"
ausgezeichnet.
Der Autor beginnt seinen Geschichtenreigen mit einer Parabel, deren
Aussage von
geradezu zeitloser Allgemeingültigkeit ist. Darauf folgt mit
"Nuh"
eine autobiografisch angehauchte Geschichte, die in Damaskus spielt, so
wie man
dies von Rafik Schami kennt. "Großvaters Brille", "Der
Tretroller", "Wie Vater endgültig unpolitisch wurde" und
"Warum
ich kein Architekt wurde" sind weitere wunderbare Vertreter dieses
speziellen Erzählungstyps.
Daneben finden sich auch einige Fabeln, wie "Das schwarze Schaf",
"Die Zwiebel", "Der kluge Rabe oder Der Fuchs als Pilger",
"Das Schwein, das unter die Hühner ging", "Der Schnabelsteher"
und "Der fliegende Baum".
Weitere Parabeln von geradezu kafkaesker Art bietet "Erzähler
der
Nacht"; darunter z.B. "Subabe oder Wundersames aus der Fremde"
und "Die Homsianer", die etwas schildbürgerhaft
anmuten.
Außerdem gibt es natürlich auch solche Geschichten,
die direkt aus "Tausendundeiner
Nacht" zu kommen scheinen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 12/2007)
Rafik
Schami: "Erzähler der Nacht"
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Noch
ein Buchtipp:
Bettina Wild: "Rafik Schami"
In einer Zeit, in der die Gräben zwischen der
nahöstlichen und der westlichen
Welt immer größer zu werden drohen, ist die
Bedeutung eines Autors wie Rafik
Schami als Vermittler zwischen
Orient und Okzident besonders hoch. Der
Sohn
christlicher Aramäer, geboren in Damaskus, verließ
1970 aus politischen
Gründen Syrien und kam 1971 nach Westdeutschland, wo er in
Heidelberg ein
Chemie-Studium aufnahm, das er mit Diplom und Promotion beendete.
Bereits in den 1970er Jahren begann er zu schreiben - auf Deutsch. Seit
1982 ist
er freier Schriftsteller und gehört heute zu den
erfolgreichsten Autoren
deutscher Sprache. Neben seinen zahlreichen
Buchveröffentlichungen hat er durch
seine Auftritte als Erzähler die Herzen des Publikums
für sich und seine Sache
gewonnen. (dtv portrait)
Leseprobe:
"Meine Schwester Marie war engelhaft schön als kleines
Mädchen, und meine
Mutter konnte ihr keine Bitte abschlagen; also schickten wir, mein
Bruder und
ich, sie einmal am Tag zu Mutter, um fünf Piaster zu
erbetteln. Marie ging und
kehrte bald lachend mit der Münze in der Hand zurück.
Wir lauerten vor der
Haustür und hörten ihre melodische Stimme. Wir
begleiteten sie dann zum
Eisverkäufer und genossen mit ihr gerecht geteilt die Beute.
Das ging Jahre gut
bis zu jenem Tag, als sie wieder einmal fröhlich mit dem
Geld
kam. Es war heiß,
und sie schwärmte von einem Brombeereis am Stiel. Wir
begleiteten sie, und sie
nahm das Eis und wollte anfangen, als Mtanios ihr sagte, er fange an
mit einem
Schlecken, dann sie und dann ich. Er packte ihre Hand und saugte am
fingergroßen
Eis mit einer Kraft, die jeden Staubsauger mit 1400 Watt hätte
erblassen
lassen. Ich sah, wie die Farbe vom Stift und von Maries Gesicht wich.
Als er
nach einem Tritt von mir aufhörte zu saugen, war das Eis
farblos, Wassereis
eben. Marie schaute es von allen Seiten an auf der Suche nach einer
Spur von
Brombeere, und als sie nichts fand, warf sie es dem lachenden Gauner
wütend an
den Kopf. Das war das letzte Mal, dass sie mit uns ihre erbettelten
Piaster
teilte. Immer wenn ich über das Scheitern der Wirtschaft in
meinem Land höre,
denke ich an diese Szene."
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