Thomas Sautner: "Milchblume"


Eine trügerische Dorfidylle

Im Jahr 2006 feierte der 1970 geborene österreichische Schriftsteller Thomas Sautner mit seinem Erstlingsroman "Fuchserde" ein vielbeachtetes und von der Kritik gefeiertes literarisches Debüt. Sein zweiter Roman "Milchblume" steht dem in nichts nach.

In einer feinfühligen und poetischen Sprache entführt er den Leser in ein kleines Dorf namens Legg in die späten 1950er-Jahre. Dort, abseits der großen Verkehrswege und Städte, verläuft das Leben recht beschaulich. Der Lauf der Jahreszeiten bestimmt den bäuerlichen Lebensrhythmus, der Pfarrer und der Bürgermeister bestimmen mit einigen größeren Bauern das Dorfgeschehen und ziehen für sich selbst jeden nur erdenklichen Vorteil aus ihren Positionen. Der Pfarrer verspielt am Kartentisch der Gastwirtschaft die sonntägliche Kollekte, und zusammen mit dem Bürgermeister war er aktiv an einem großen Unrecht beteiligt, das einem Jungen namens Jakob angetan wurde.

Um diesen Jakob geht es in diesem außergewöhnlich tiefgehenden Roman. Die Erzählperspektive wechselt immer wieder zwischen der dritten Person und den Ich-Erzählungen Jakobs.
"Mein Name ist Jakob. Aber die Menschen im Dorf sagen meist Idiot zu mir. Oder Schafskopf. Manchmal auch Trottel, Verrückter, Hornochs. Oder einfach nur Depp. Das finde ich noch am nettesten, Depp. Jedenfalls halten sie mich für schwachsinnig."

Jakob ist alles Andere als das. Er wird als Findelkind früh dem Seifritz-Bauern in die Obhut gegeben, der dafür vom Pfarrer noch einen monatliches Entgelt erhält bis Jakob volljährig ist. Der Seifritz-Bauer hat somit einen billigen Knecht, und er behandelt ihn sehr schlecht. Silvia ist eine leibliche Seifritz-Tochter, und Jakob hält sie für seine Schwester, weil er, genau wie der Leser auch, bis kurz vor Ende des Buches über seine wahre Herkunft im Unklaren gelassen wird.

Jakob beobachtet die Natur, redet mit den Tieren und formuliert bei der Beobachtung seiner Umwelt erstaunlich intelligente und spirituelle Einsichten:
"Eine Frage verwirrt mich ganz besonders: Warum sind so viele Menschen böse zueinander, obwohl sie sich eigentlich alle danach sehnen, freundlich behandelt zu werden? Eine meiner wildesten Ideen ist, dass sie vielleicht genau deswegen so böse sind. Wegen ihres Wunsches nach Freundlichkeit und nach Liebe, und weil sie nie genug davon bekommen. Das macht sie wütend. Oder traurig, Oder beides."

Zu zwei Menschen hat Jakob eine besondere Beziehung: Zu seiner Schwester Silvia, zu der er sich emotional und später auch körperlich sehr hingezogen fühlt und bei der er spürt, dass sie seine Gefühle erwidert. Doch weil er sie für seine leibliche Schwester hält, verbietet er sich, seine Liebe zu ihr zu zeigen.
Und da ist Fabio, der Chef einer Zigeunersippe, die seit langer Zeit kurz vor Beginn der Erntezeit ins Dorf kommt und dort nach Abschluss der Ernte- und Ausbesserungsarbeiten ihr Winterlager aufschlägt, von der Bevölkerung eher geduldet als geachtet. In den langen Gesprächen mit Fabio fühlt sich Jakob verstanden; da redet einer, wie er schon lange denkt, da spüren zwei Menschen eine große Nähe, die sich gegen Ende des Buches auch dem Leser erschließt.

Thomas Sautner schildert in seinem Roman eine trügerische Dorfidylle, hinter der sich Inzest, Sodomie, Verrat und Intrigen verstecken. Er bettet dies in eine zarte Liebesgeschichte von außergewöhnlicher Schönheit ein. Und er erzählt von den Zigeunern, ihrer Spiritualität und ihrem Leben in Einklang mit der Natur.
Ein Buch voller Weisheit ist so entstanden, das man atemlos und tief bewegt zugleich nicht aus der Hand legen mag, bis man zum schlussendlich versöhnlichen glücklichen Ende gelangt ist.

(Winfried Stanzick; 08/2007)


Thomas Sautner: "Milchblume"
Gebundene Ausgabe:
Picus Verlag, 2007. 205 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Knaur, 2009.
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Zwei weitere Bücher des Autors:

"Fremdes Land"

Jack Blind glaubt, die Welt verändern zu können. Als Stabschef einer neuen Regierung wähnt er sich an den Hebeln der Macht. Tatsächlich aber wird er unbemerkt zur Spielfigur in einem System, in dem der Einzelne nur noch als Konsument zählt. Freiheit, Anstand und Selbstbestimmung sind bloß noch Schlagworte. Seine Schwester versucht, Jack die Augen zu öffnen. Doch er hält an der herrschenden Politik fest - bis er gezwungen ist, eine neue Wahrheit zuzulassen.
Thomas Sautner beschreibt in diesem Roman die nahezu gegenwärtig anmutende Vision einer Scheindemokratie in Zeiten des Sicherheitswahns. Seine Stilmittel: schwarzer Humor, böser Witz und bissige Satire. (Aufbau-Verlag)
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"Der Glücksmacher" zur Rezension ...