Thomas Sautner: "Fuchserde"


Thomas Sautners Erstlingsroman erzählt die Geschichte zweier jenischer Familien. Jenisch? Die Jenischen sind Fahrende, Angehörige einer ethnisch und sozial von der sesshaften Mehrheitsbevölkerung unterschiedlichen Gruppe, die in Mitteleuropa - ähnlich den Roma und Sinti - bis vor wenigen Generationen als Wanderhändler, Scherenschleifer, Besenbinder, Gaukler und Wahrsager teilweise nomadisch lebte.

Im Roman schildert der alte Lois seinem Urenkel, dem kleinen Fuchs, kurze Episoden aus der Familiengeschichte. Seine Berichte ergänzt ein weiterer, persönlich nicht involvierter und ungenannter Erzähler in anderen Romanteilen. Die ersten Erinnerungen betreffen die Zwangsansiedlung in Amaliendorf im Waldviertel im Jahr 1803. Der Hauptteil des Buches besteht aus der Schilderung der ersten Lebenshälfte des um 1900 geborenen Lois, seiner charismatischen Frau Frida und anderer Verwandter. In diesen Kapiteln lässt der Autor viel Sympathie für die jenische Lebensweise erkennen. Damals verbrachten die Familien den "Hitzling", die warme Jahreszeit, regelmäßig auf Reisen im Holzkarren und genossen ein Leben in Freiheit, im Einklang mit der Natur und mit Stolz auf ihre Tradition. Viele der erzählten Geschichten enden in Lebensweisheiten, Gleichnissen und Lehren für den kleinen Fuchs, den jungen Zuhörer.

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beendet die Idylle, bildet im Leben der Familien wie im Buch eine unumkehrbare Zäsur, einen Bruch mit allem, was zuvor dem Leben Sinn gab. Nach Verhaftung und Konzentrationslagern warten nach dem Zweiten Weltkrieg auf die überlebenden Jenischen Assimilation und Verleugnung der eigenen Vergangenheit, kehrt sich der frühere Stolz auf die freie Lebensweise in Scham über das Anderssein um.

Zwischen den Erzählungen informiert Thomas Sautner über Geschichte und Ethnologie der Jenischen, über ihre Sprache und soziale Ordnung. Diese sachlichen Texte unterbrechen den leidenschaftlich erzählten Roman und betonen in ihrer Nüchternheit die aufklärende Absicht, die der Roman neben sehr viel Pathos auch erkennen lässt. Besonders am Ende des Buches, als der sterbende Lois im kleinen Fuchs den Auserwählten erkennt, der das Vermächtnis der Jenischen, das Wissen der Ahnen und Urahnen, hüten wird, wird Lebensklugheit in Form von Sinnsprüchen und Weisheitslehren sehr dick aufgetragen. Hier kitschelt der Roman.

"Fuchserde" ist ein außergewöhnliches Buch, in dem der Autor Thomas Sautner, Jahrgang 1970, Historiker und Unternehmenssprecher einer großen Wiener Brauerei, die Leser mit seiner schwärmerischen Begeisterung für die Jenischen, dieses nahe und doch ferne Volk, gut und gerne ansteckt.

(Wolfgang Moser)


Thomas Sautner: "Fuchserde"
Aufbau, 2008. 214 Seiten.
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Thomas Sautner wurde 1970 in Gmünd geboren. Als Journalist führten ihn ausgedehnte Reisen in die USA, nach Russland, Japan, Afrika und Südostasien. Heute lebt Thomas Sautner als Autor in seiner Heimat, dem nördlichen Waldviertel, sowie in Wien.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Waldviertel steinweich"
Eine Liebeserklärung an das Waldviertel.
Das Waldviertel ist ein Sehnsuchtsort, mythenumrankt, geheimnisvoll und traumhaft schön. Thomas Sautner, leidenschaftlicher Waldviertler, durchwandert gern seine Heimat: Er streift durch Wälder, klettert auf Restlinge und spürt alten Mythen nach. So beobachtet er den einstigen Waldviertel-Reisenden Franz Kafka, lässt den legendären Räuberhauptmann Grasel wiederauferstehen und Gaukler wie einst durchs Land ziehen.
Neben all dem gewährt der Autor auch Einblicke in sein ganz persönliches Waldviertel; er erzählt Geschichten aus der Kindheit, verrät seine Lieblingskochrezepte und erläutert "Die sieben Elemente der Region" mit liebevollen Anekdoten. Eine kurzweilige historische Erkundung rundet das Buch ab, und auch eine praktikable und vor allem sehr persönliche Empfehlungsliste für Waldviertelreisende darf am Ende nicht fehlen.
Eine vielschichtige poetische Landvermessung einer sagenumwobenen österreichischen Landschaft. Ein ebenso spannendes wie amüsantes Kompendium über Geschichte, Land und Leute. (Picus)
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"Die Älteste"
Über die Weisheit der Natur und kleine Wunder.
Die Diagnose ist ebenso schonungslos wie eindeutig: Hirntumor. Unheilbar. Als letzten Ausweg in der Not sieht Sophie die Fahrt in die Abgeschiedenheit des Waldviertels, wo eine alte Heilerin wohnt, die angeblich in den hoffnungslosesten Fällen helfen kann.
Die Spielregeln sind einfach: Mit einer Dose Tabak, einer Flasche Schnaps und Kaffee besucht man die Einsiedlerin mit dem alten Wissen der Jenischen und folgt von nun an ihren irritierenden Anweisungen. Zunächst skeptisch, lässt Sophie sich auf die ruppige Alte ein, in deren Welt kein Platz ist für den Stress des Alltags und die Übermacht der Vernunft, die einem Leben im Einklang mit sich selbst mitunter im Weg steht. Sie lässt sich ein auf das Unbekannte, das Unbegreifbare - auf das nur Spürbare.
Thomas Sautner entführt nicht nur Sophie, sondern auch seine Leser in eine Welt, in der es Räume und Platz für das Unerklärliche gibt, für die Hoffnung und den Glauben an Heilung. (Picus)
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