Ken Saro-Wiwa: "Lemonas Geschichte"

Gott verschließt keine Tür, ohne ein Fenster zu öffnen


"Lemonas Geschichte" ist die dramatische Geschichte einer unwiderstehlichen Frau, deren naive Jugendlichkeit und die daraus resultierenden Beziehungen zur Männerwelt letztendlich in einer Verurteilung zum Tode gipfeln. Dem nigerianischen Schriftstellers und Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa, der 1995 hingerichtet wurde, gelingt die Beschreibung eines Lebens, in dem immer nur alles geschah - eigentlich ohne eigenes Wollen oder Zutun.

Nach einer einfachen aber glücklichen Kindheit verlässt Lemona, ziemlich frustriert durch den Abbruch der Schule, ihr Dorf um als Kinder- und Hausmädchen in der Stadt zu arbeiten. Sie ist fasziniert vom Stadtleben und leistet widerspruchslos und ohne Bezahlung die von ihr geforderte Arbeit. Völlig unbedarft reagiert sie auf sexuelle Übergriffe des Hausherrn. Letztendlich findet sie sich damit ab und trägt die erhaltenen Geschenke stolz zur Schau. Als die Ehegattin den beiden eine Falle stellt, muss Lemona unter Schimpf und Schande das Haus verlassen und in ihr Dorf zurückkehren.

Offensichtlich hat diese Episode aber bereits das Schicksal Lemonas besiegelt und ein Lebensmuster eingebrannt, das die Protagonistin nicht mehr zu löschen vermag. Das Märchen vom männlichen Retter, vom Prinzen, der eine Prinzessin aus ihr machen wird, lässt sie nicht mehr los.

Sie wird die Mätresse eines reichen Mannes und scheitert kläglich. Verstoßen und all ihrer Habseligkeiten beraubt trifft sie auf John, einen weißen Ingenieur, den sie aus ganzem Herzen zu lieben beginnt. Als er sich von ihr trennen will, kommt es zum Desaster. Trotz allem stehen Männer offensichtlich immer parat um ihr zu helfen. Diese vermeintliche Hilfe lässt Lemona aber immer schneller auf eine Katastrophe zusteuern, die letztendlich mit dem Todesurteil endet.

Die Leser wie auch die Hauptfigur erkennen rasch, in welchem Verhältnis die junge Frau, die Lemona am Tag vor der Hinrichtung besucht, zu ihr steht. Erstmals nach Jahren erklärt sich die zum Tode Verurteilte bereit, aus ihrem Leben zu erzählen - und das nicht ohne Grund.

Ken Saro-Wiwa verschafft in diesem Roman einer Frau Gehör, der es zeitlebens nie gelungen ist, einen Platz in der nigerianischen Gesellschaft zu finden. Ihr Leben ist gekennzeichnet durch eine Reihe von Schicksalsschlägen, die sie wie Treibsand ihrem Ende entgegen ziehen. Ihre berauschende Schönheit und die Faszination, die sie auf Männer ausübt, werden immer stärker zum Verhängnis und lassen sie letztendlich kläglich scheitern.

(margarete; 04/2004)


Ken Saro-Wiwa: "Lemonas Geschichte"
Übersetzt von Gerhard Grotjahn-Pape.
dtv, 2004. 224 Seiten.
ISBN 3-423-13050-4.
ca. EUR 9,50. Buch bestellen

Ken Saro-Wiwa wurde am 10. Oktober 1941 in Nigeria geboren. Er war Universitätsdozent und Regierungsbeamter und setzte sich als Bürgerrechtler in seiner Heimat für Umweltschutz und Menschenrechte ein. Mit der "Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes" machte er auf die Katastrophe aufmerksam, die die 30jährige Ausbeutung der Ölvorkommen (vor allem durch die Firma Shell) in Nigeria angerichtet hatte.
Ken Saro-Wiwa erhielt 1994 den Alternativen Nobelpreis und wurde für den Friedensnobelpreis 1996 nominiert. Im Oktober 1995 wurde er von einem Sondergericht der Militärdiktatur Nigerias gemeinsam mit acht Mitstreitern zum Tode verurteilt und trotz internationaler Proteste am 10. November 1995 hingerichtet.

 

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