Andrzej Sapkowski: "Gottesstreiter"


Fulminante Fortsetzung von "Narrenturm"

Im zweiten Teil seiner Romantrilogie knüpft Andrzej Sapkowski fast unmittelbar an die Ereignisse des Vorgängerbandes an.

Der junge Medicus und Magier Reinmar von Bielau, zu den von der katholischen Kirche abgefallenen Hussiten konvertiert, hat sich in Prag niedergelassen und versorgt dort Kranke und Verwundete. Nebenbei widmet er sich zusammen mit einem Kreis Eingeweihter jedoch auch der Magie. Dass er dem hussitischen Geheimdienst dadurch auffällt, ist wohl selbstverständlich, zumal dieser ihn immer noch bezüglich des zwei Jahre zuvor auf einen Steuereintreiber verübten Überfalls verdächtigt und sich der Beute bemächtigen möchte. Reinmar wird dazu erpresst, als Agent der Hussiten nach Schlesien zurückzukehren. Angesichts des Kreuzzugs der Katholiken gegen Prag kommt ihm das nicht ungelegen, zumal er in Schlesien noch einige Rechnungen offen hat und zudem seine Geliebte Nicoletta vermisst, die ihm, wie er hört, ein Kind geboren hat.

In Schlesien ist die Hölle los. Mordend, plündernd, vergewaltigend und brandschatzend ziehen die Armeen der Hussiten durch das Land. Ihre Gegner stehen ihnen in Sachen Grausamkeit selbstverständlich in nichts nach. Reinmar gerät wie üblich zwischen alle Fronten. Eigentlich möchte er sich nur für den Tod seines Bruders und die Misshandlung von Nicolettas Vorgängerin in seiner Gunst rächen, seine Geliebte wieder sehen, den Zauber von seinem Gefährten Samson nehmen lassen und nebenbei seinen Auftrag erfüllen, aber er muss feststellen, dass er für die unterschiedlichsten Parteien und Personen mittlerweile hohen Wert besitzt. So nehmen ihn die einen gefangen, nur um von den anderen überfallen und ihres Gefangenen beraubt zu werden - und umgekehrt. Selbstverständlich begegnet er auch seinem alten Feind, dem Mauerläufer, jenem äußerst gefährlichen Mitarbeiter des Bischofs Konrad von Oels, der bei Bedarf seine Gestalt wechseln kann. Und der Mauerläufer hat kein Interesse daran, Reinmar entkommen zu lassen.

Nicht anders als beim ersten Band handelt es sich bei "Gottesstreiter" um "historische Fantasy", wie der Autor das Genre in einem Interview selbst bezeichnete. Das heißt, das politische Geschehen, die Orte, die Kultur, die religiösen Vorstellungen entsprechen den historischen Tatsachen; gleichzeitig enthält der Roman jedoch viele fantastische Elemente, insbesondere die Magie, eine bedeutende Waffe für Reinmar und manche seiner Widersacher, sowie Wesen aus lokalen und überregionalen Märchen und Legenden, die vor allem die Wälder unsicher machen. Dies passt natürlich hervorragend zur Ideenwelt des ausgehenden Mittelalters und verleiht dem historischen Roman ein paar schillernde Facetten mehr. Sapkowski erlaubt sich voller Humor zuweilen ein paar bewusste, originelle Anachronismen, die, zum Beispiel in Dialoge oder Nebensätze geschickt eingeflochten, die ansonsten auf nachprüfbarer Historie aufbauende Handlung gewissermaßen würzen.

Dass Sapkowski nicht mit Blut, detailgetreuen Beschreibungen von Exekutionen und Kämpfen und anderen Gräueln geizt, dürfte aus dem ersten Teil der Trilogie bereits bekannt sein. Den Band "Narrenturm" sollte man übrigens auf jeden Fall gelesen haben, bevor man sich an die Lektüre der "Gottesstreiter" begibt, denn Sapkowski führt die Haupt- und Nebenfiguren nicht noch einmal ein; sollten Sie "Narrenturm" direkt nach Erscheinen verschlungen haben, so mag es sein, dass Sie dort zuweilen nachblättern müssen, da Sapkowski seinen Reinmar von Bielau mit fast allen seiner alten Bekannten wieder zusammenbringt - und deren gibt es viele. Jedenfalls verliert der zweite Teil der Trilogie gegenüber dem ersten nicht an Spannkraft.

Andrzej Sapkowski ist ein hervorragender Erzähler, und gerade diese Trilogie sollte man nicht mit dem Stempel versehen, der moderne Fantastik, keineswegs immer zu Recht, pauschal abwertet: Sapkowski verfasst Literatur. Der elegante Stil, die trotz aller Turbulenzen und Verzweigungen geschickt geführte Handlung, die originell, individuell und kraftvoll konzipierten Figuren und der sarkastische Humor machen auch "Gottesstreiter" zu einem ganz besonderen Leseerlebnis.

(Regina Károlyi; 11/2006)


Andrzej Sapkowski: "Gottesstreiter"
Aus dem Polnischen von Barbara Samborska.
dtv, 2006. 735 Seiten.