Pawel Sanajew: "Begrabt mich hinter der Fußleiste"


Existentialistisch anmutender Roman über die Schwierigkeiten, einer lange gespielten Rolle zu entfliehen

Der siebenjährige Sascha Saweljew hat nicht viel von der Zukunft zu erwarten. Obwohl seine Großmutter ihn mit teuren, gesunden Lebensmitteln, homöopathischen und sonstigen Medikamenten und Vitaminen vollstopft, ist er ständig krank. Wie er von der Großmutter weiß, lässt ihn der Staphylococcus aureus von innen verfaulen, weshalb er ein Idiot und Krüppel ist - auch wenn die Nachbarn diese Ansicht der Großmutter nicht teilen - und spätestens mit sechzehn Jahren sterben wird.

Großmutter führt in der Familie ein hartes Regiment mit ständigen Flüchen und Beschimpfungen für Großvater und Sascha, und beide fügen sich, kennen sie doch nichts anderes. Sie haben ihre kleinen Fluchten: Der Großvater verschwindet ab und an als Schauspieler auf Tourneen, auch wenn seine Aufführungen kaum noch besucht werden, und Sascha hat sein Flittchen.

Das Flittchen ist seine Mutter. Großmutter nennt sie so, seit sie irgendwann Saschas Vater verlassen hat und mit einem "Giftzwerg und Erbschleicher" zusammenlebt. Damals nahm Großmutter ihrer Tochter den kränklichen Sascha ab und bedroht sie seither, wenn diese auf Herausgabe des Jungen drängt.

Was ein Flittchen ist, weiß Sascha nicht, aber er liebt das seine - allerdings heimlich, denn der Großmutter gegenüber darf er das nicht zugeben. Sie wirft ohnehin die Geschenke, die Sascha von seinem Flittchen erhält, hasserfüllt in den Müllschlucker, in dem Sascha, wie er glaubt, nach seinem Tod verschwinden wird, obwohl er viel lieber hinter der Fußleiste in der Wohnung seiner Mutter begraben wäre, um ihr nahe zu sein.

Tage und Jahre reihen sich aneinander, erfüllt von ständigen tiefen Demütigungen, die größtenteils Gewohnheit sind, und unterbrochen von den wenigen Besuchen der Mutter, die sich nicht weniger vor der herrischen Großmutter fürchtet als Sascha selbst.

Doch dann kommt der Tag, an dem Mutter und Sohn die ständige Sehnsucht nacheinander nicht mehr länger ertragen können und wollen.

Die Geschichte der psychisch massiv gestörten, herrischen, unleidlichen Großmutter, die ihre gesamte Familie terrorisiert und sämtliche Familienmitglieder gegeneinander ausspielt, wird aus Saschas naiver Perspektive erzählt. Unbefangen breitet der Junge sein im Grunde unerträgliches, zwischen der resignierten Einfügung in den Alltag mit der Großmutter und der bohrenden, immer unerfüllten Sehnsucht nach der Mutter aufgeriebenes Leben vor dem Leser aus. Aufgrund dieser kindlichen Perspektive hat der Roman eine ausgesprochene Tendenz zur Tragikomik und Groteske - man möchte einerseits vor Entsetzen über die unwürdige Behandlung des kleinen Jungen erstarren und andererseits hellauf lachen über dessen aus Unkenntnis verquere Assoziationen.

Das Kind, dessen schlechte Konstitution zu einem erheblichen Teil auf die Hysterie der Großmutter zurückzuführen ist, und das sich zumeist widerspruchslos ihrem Diktat beugt, ähnlich wie der nur selten aufbegehrende, den Charakter seiner Frau zwar durchschauende, sie aber doch entschuldigende Großvater, die Mutter, von klein auf die herabsetzende Geltungssucht ihrer eigenen Mutter gewohnt und aus Furcht vor ihr gelähmt, und schließlich die Großmutter selbst, die den anderen das Leben zur Hölle macht und sich doch selbst als Opfer sieht (was sie aufgrund ihrer Psychose wohl auch sein mag): Die Charaktere sind zwar hier und da bewusst überzeichnet, aber doch glaubwürdig und vor allem, jeder auf seine Weise, bestürzend. Daher hat auch die Handlung trotz der zunächst irreal erscheinenden Elemente nichts Überzogenes. Sie ist psychologisch nachvollziehbar gestaltet und steuert, den Leser schließlich fast atemlos mit sich reißend, auf ein fulminantes Finale zu, eine Art Götterdämmerung irgendwo in Moskau.

Sanajews schlichter, zurückhaltender Erzählstil wirkt in Anbetracht der Tiefe und Schwere der Handlung wie eine bewusste Untertreibung und ermöglicht, wie erwähnt, nicht nur die sich allmählich ausbreitende, den Leser zusammen mit den Protagonisten umhüllende, von verstörender Fatalität geprägte Stimmung, sondern auch einen verblüffend trockenen Humor.

Und so besitzt dieses aufrüttelnde Buch einen ganz eigenen Charme, dem sich der Leser trotz der ihm sich öffnenden bizarren Welt nicht entziehen kann.

(Regina Károlyi; 03/2007)


Pawel Sanajew: "Begrabt mich hinter der Fußleiste"
Aus dem Russischen von Natascha Wodin.
Antje Kunstmann Verlag, 2007. 240 Seiten.
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Pawel Sanajew, geboren 1969 in Moskau, entstammt einer berühmten russischen Schauspielerfamilie. Nach einem Studium an der Filmhochschule arbeitete er als Drehbuchautor und Synchronisator. 2005 kam Sanajews erster Film in die Kinos; der Thriller "Letztes Wochenende" wurde auf mehreren Filmfestivals ausgezeichnet. "Begrabt mich hinter der Fußleiste" ist sein Debüt, das er mit 26 Jahren in einer Literaturzeitschrift veröffentlichte.