Tajjib Salich: "Sains Hochzeit"
"Diese Tage einten das Unvereinbare."
Wie
der Titel verkündet, beschreibt Tajjib Salich in seinem 1964
erstmals erschienenen Roman Ereignisse im Vorfeld einer Hochzeit sowie
diese selbst. Freilich handelt es sich nicht um "irgendeine"
Eheschließung, denn Sain, ein in mancherlei Hinsicht
außergewöhnlicher Mensch, heiratet! Von Natur aus
mit einem wenig attraktiven Erscheinungsbild ausgestattet, findet er
dennoch sein Glück an der Seite des schönsten und
klügsten Mädchens im Dorf, wie es ihm ein heiliger
Mann prophezeite ...
Das Gerücht verbreitet sich wie ein Lauffeuer im Dorf: Sain
wird heiraten! Sain, der die Rolle des freundlichen verschrobenen
Außenseiters verkörpert; der magere,
nichtsdestotrotz über erstaunliche Körperkraft
verfügende Sain, der seit einem denkwürdigen Vorfall
in seiner Kindheit anders als die Anderen (ein "Gesegneter") ist; Sain,
dessen "Gelächter zum Dorf gehörte, seit er geboren
wurde"; Sain, dem Hanin, ein weiser heiliger Mann und Vertrauter,
prophezeite, er würde dereinst das beste Mädchen im
Dorf heiraten!
Bei diesem Mädchen handelt es sich um die
gleichermaßen gebildete wie eigensinnige Nima, Tochter von
Hadsch Ibrahim, die zuvor etliche sogenannte "gute Partien" abgelehnt
hat. Sain ist ihr Vetter, und sie fühlt sich ihm verbunden,
keineswegs allein aufgrund von Mitgefühl für seine
gesellschaftliche Position; es ist mehr, wenngleich nicht auf den
ersten Blick erkennbar, das die Lebensfäden der beiden jungen
Menschen verbindet.
Sain genießt innerhalb der dörflichen Gemeinschaft
eine Art Sonderstellung; wo er auftaucht, sorgt er für
Spaß und Freude. Und obwohl - zumindest anfangs - klar ist,
dass sich keine der von ihm angebeteten jungen Frauen
tatsächlich mit ihm einlassen wird, ist es doch zuallererst
sein Verdienst, indirekt zahlreiche Ehen gestiftet zu haben. Denn Sain,
die "Werbeposaune", preist stets weithin hörbar die
Vorzüge möglicher Heiratskandidatinnen; er fungiert
quasi als Herold in Liebesdingen und bewirkt, dass männliche
Heiratswillige Kunde von den erblühenden jungen Frauen der
näheren Umgebung erlangen.
Sain ist Augen und Ohren des Dorfes, er weiß viele
Geschichten zu erzählen und ist stets ein gern gesehener Gast.
Wie mit einem inneren Kompass ausgestattet, findet er jede Feier, wo er
bei Speis und Trank kräftig zulangt und bei den
Festgästen für Heiterkeit sorgt. Im Kreise seiner
Freunde fühlt er sich willkommen: Said, Machdschub,
Abdalhafis, Achmad Ismail, Hamad Wadd al-Rajjis und Tahir Rawwasi
nehmen ihn immer gerne in ihre Plauderrunde auf.
Gewürzt ist die lebendige Geschichte, die bedächtig
auf den mit viel Liebe zum Detail und berstend sinnenfroh
ausgestalteten Höhepunkt, Sains Hochzeit, zusteuert, mit der
Bekehrung und tätigen Reue des Ganoven Saifaldin und einem
Jahr voller wundersamer Veränderungen nach dem Segensspruch
des heiligen Mannes, Hanin.
Auf knapp einhundert Seiten schafft Tajjib Salich ein farbiges, dichtes Stimmungsbild
der Dorfgemeinschaft und ihrer Lebensverhältnisse. Man
begleitet Sain auf seinem wahrlich nicht durchgehend schnurgeraden Weg
ins Glück, erfährt Einzelheiten aus den
Lebensläufen verschiedener Dorfbewohner, dringt in die
Hintergründe von Freundschaften und Feindschaften vor und
bekommt unmittelbare Eindrücke vom Sozialgefüge, der
gelebten Religion und den Geschlechterrollen in einem Dorf im Sudan der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in das die technischen
Errungenschaften langsam doch unabwendbar Einzug halten.
Ebenfalls nicht zu kurz kommen poetische Landschaftsschilderungen und
einfühlsame Charakterstudien der Protagonisten.
"Sains Hochzeit" ist ein zart gewobenes modernes Märchen in
lockerem Erzählton, das mit verborgenen Reizen (Stichwort
"Schicksalswege") aufzuwarten weiß.
(Kerstin Eckberg; 05/2004)
Tajjib Salich: "Sains Hochzeit"
Aus dem Arabischen
von Regina Karachouli.
Lenos, 2004. 108 Seiten.
ISBN 3-85787-350-7.
ca. EUR 14,90.
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Tajjib Salich wurde 1929 im Norden des Sudan geboren. Nach Studien in
Khartoum und London arbeitete er viele Jahre beim arabischen Dienst der
BBC, danach als Berater bei der UNESCO.
Sein Roman "Zeit der Nordwanderung" machte ihn über Nacht
berühmt, und das Buch wurde zum Kultbuch der arabischen
Intellektuellen. Die Werke - Romane und Erzählungen - des seit
vielen Jahren in London lebenden Schriftstellers sind in über
zwanzig Sprachen übersetzt.
Ergänzende Buchtipps:
"Zeit der Nordwanderung"
Mit großer Sprachkraft und formaler Raffinesse
beschreibt Salich das Aufeinaderprallen zweier Kulturen. Schauplatz des
Romans ist ein kleines Dorf am Nil, eine archaische Welt mit
Jahrtausende alten überlieferten Werten. Der Fluss ist die
nährende und die todbringende Kraft. Seit fünf Jahren
lebt Mustafa Said, der gutaussehende 50-jährige "Fremde" dort.
Niemand kennt seine Geschichte, inzwischen ist er jedoch akzeptiert, ja
geschätzt und mit einer Frau aus dem Dorf verheiratet.
Doch eines Tages holt ihn seine Vergangenheit ein, und er gibt einem
jungen Mann, der soeben seine Studien in England beendet hat, sein
Geheimnis preis. Im Vertrauen erzählt er ihm von seiner
"Nordwanderung", die ihn
über
Kairo nach London führte, von seiner
glänzenden akademischen Karriere, seiner ersten Ehe, seinen
erotischen Abenteuern, die allesamt tragisch endeten. (Lenos)
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"Eine
Handvoll Datteln"
Die Erzählungen in dieser Sammlung erscheinen hier -
mit drei Ausnahmen - erstmals auf Deutsch. Sie kreisen um Salichs
großes Thema, den
Zusammenprall
von Orient und Okzident, von Tradition und Moderne. Und sie
tragen unverkennbar seine Handschrift. Fast alle Erzählungen
siedelt der kosmopolitische Autor, der sein Schreiben als Suche nach
der verlorenen Kindheit bezeichnet, in einem sudanesischen Dorf am Nil
an. "Die Moschee, der Fluss, die Felder, sie waren die Wegzeichen
unseres Lebens", sagt er in "Eine Handvoll Datteln".
In einer poetischen und bildhaften Sprache schildert er die islamische
Kultur und das Leben der in Traditionen und Mythen verwurzelten
Dorfbewohner, die zunehmend mit Fortschritt und Entwicklung
konfrontiert werden. (Lenos)
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"Bandarschâh
"
Nach langer Abwesenheit kehrt der Intellektuelle
Muhaimmîd in das
am Nil gelegene Dorf seiner
Kindheit
zurück: nach Wadd Hâmid, das er während all
der Jahre in Khartum in seinem Herzen bewahrt hat und wo er einst
begraben sein möchte. Doch er erkennt die Idylle seiner Jugend
kaum wieder, alles hat sich verändert. Die Frage, warum er
damals auf seine Jugendliebe Mariam verzichtet hat und weggegangen ist,
statt sich dem Willen seines Großvaters zu widersetzen,
lässt ihn nicht mehr los. Seine Erinnerungen
überwältigen ihn und führen ihn bald
über die persönliche Vergangenheit hinaus in die Welt
der Mythen - in die versunkene Zeit des legendären Herrschers
Bandarschâh und dessen Enkel Marjûd.
In seinem kunstvoll komponierten Werk, in dem sich fantastische und
realistische Elemente durchdringen, zeichnet Tajjib Salich - liebevoll
und kritisch zugleich - ein vielfarbiges Bild der islamischen Kultur
und des Lebens der Dorfbewohner zwischen Tradition und Moderne. (Lenos)
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