Reinhard Pohanka: "Das alte Wien"

Freud und Leid in der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien auf alten Photographien 1850-1914


"Salamutschi-duri-duri" - Die "gute alte Zeit" in Wien

"Es wird a Wein sein
Und mir wer'n nimmer sein,
D'rum g'niaß ma's Leben,
so lang's uns g'freut.

S'wird schöne Maderln geb'n
Und mir werd'n nimmer leb'n,
D'rum greif'ma zua,
grad is's no Zeit."
(Josef Hornig)

An attraktiven Frauen und an Wein herrscht in Wien tatsächlich bis heute kein Mangel, doch von der Welt der vergnügungssüchtigen Heurigenbesucher der Jahrhundertwende bleibt nur die oftmals verklärte Rückschau auf die "gute alte Zeit".

Der fotografische Blick auf das Wien der letzten Jahrzehnte der Habsburgermonarchie, den der von Reinhard Pohanka zusammengestellte, passend in Schönbrunnergelb gehaltene Band "Das alte Wien" bietet, lässt allerdings auf so manchen Seiten keine nostalgischen Gefühle aufkommen. Wie der Untertitel verspricht, zeigen die zeitgenössischen Bilder aus den Sammlungen des Historischen Museums der Stadt Wien eindringlich, dass in der Haupt- und Residenzstadt Freuden und Leiden sehr nahe beieinander lagen. Neben Kaiser Franz Joseph und Bürgermeister Karl Lueger bei feierlichen Anlässen, schneidigen Offizieren bei Paraden und gutsituierten Bürgerfamilien in ihren üppig dekorierten Wohnzimmern findet man barfüßige Kinder, die ihre unbeaufsichtigten kleinen Geschwister mit in den Schulunterricht nehmen müssen, euphemistisch "Grabennymphen" genannte Prostituierte mit hinter einem schmalen Lächeln nur ungenügend verborgenen Zahnlücken und erschöpfte Arbeiter, die in ihrer Mittagspause mitten auf der Ringstraße eingeschlafen sind.

Mehr als die steifen Porträts vor den Pappkulissen der Fotostudios, in denen sich selbst Schusterbuben und Hausmeister um eine würdevolle Haltung bemühen, mehr als die wohlgeordneten Gruppenfotos, in denen sich Beamte ebenso wie Fiakerkutscher ernst in Pose werfen, geben die direkt auf der Straße, im Strandbad oder dem Schulhof entstandenen Aufnahmen Einblick in den Alltag der Kaiserstadt. Besonders faszinieren dabei Szenen und "Volkstypen", die schon lange aus dem Stadtbild verschwunden sind, wie durstige Fiakerpferde versorgende Wasserer, "Salamutschi-duri-duri" rufende Salamiverkäufer im Prater oder auch sogenannte Mistbauern, die vor der im Jahre 1914 erfolgten Einführung der kommunalen Müllabfuhr für die Beseitigung des Abfalls der Millionenstadt sorgten.

Auch wenn die Verwendung von Fotos als Geschichtsquelle die Problematik des Unterschiedes zwischen der Wirklichkeit des Abbildes und der Wirklichkeit des Abgebildeten aufwirft, so ermöglicht es Pohankas Buch doch, den vielen Facetten der Wiener Lebenswelt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg nachzuspüren.

(S.B.; 02/2001)


Reinhard Pohanka: "Das alte Wien. 
Freud und Leid in der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien auf alten Photographien 1850-1914"

Pichler Verlag, 2000. 187 Seiten.
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