Monica Sabolo: "Alles wird gut, ich liebe dich"


Mit ihrem neuen Roman "Alles wird gut, ich liebe dich" bestätigt Monica Sabolo ihren Ruf als eine der vielversprechendsten Vertreterinnen der jüngeren französischen Autorengeneration auf das Eindrücklichste.

Sie erzählt die Geschichte von Louise und Julia. Beide Mädchen sind wie die Autorin selbst im Jahr 1971 geboren. Sie sind Kinder gutsituierter Eltern und wachsen in direkter Nachbarschaft zueinander auf. Louise, die in der Ich-Form die ganze Geschichte erzählt, erinnert sich nach dem Freitod Julias 1992 an die lange gemeinsame Zeit.
Das erste Foto, das ihr bei ihrer traurigen Erinnerungsarbeit in die Hand fällt, zeigt zwei achtjährige Mädchen im gleißenden Sonnenlicht. Louises Vater hat sie am Tag ihrer ersten Begegnung im Garten fotografiert.
"Die Dunkelhaarige, in einem Rüschenkleid und der Pose einer Schönheitskönigin, strahlt über beiden Ohren. Die Blonde, die einen sehr kurzen und sehr missratenen Haarschnitt trägt, steht etwas abseits und verzieht das Gesicht. Sie ist noch hagerer als die andere, und durch ihre Körperhaltung - beide Hände in die Hüften gestützt - treten ihre spitzen Knochen hervor."

Die beiden Mädchen könnten unterschiedlicher nicht sein. Divenhafte Prinzessin mit duftender Haut das eine, bubenhaft daherkommende Naturforscherin mit Eidechsen in der Tasche das andere.
Doch sie freunden sich an, und ihre Freundschaft durchlebt alle Phasen von Höhen und Tiefen über insgesamt dreizehn bewegte Jahre der Kindheit, Adoleszenz und einer extrem schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens.
Ihre Freundschaft ist selten frei von Spannungen, erfährt aber nach einiger Zeit noch eine Vertiefung ganz besonderer Art, als Louises Mutter und Julias Vater eine Beziehung beginnen, bald darauf eine neue Familie bilden und wegziehen. Louise bleibt mit ihrem traurigen Vater, der das Beste aus seiner Situation zu machen versucht, und ihrem Bruder alleine zurück.
Der Freundschaft der beiden Mädchen droht aber auch von anderer Seite her Ungemach:
"Julia hatte ständig Angst, mich zu verlieren. Mit zehn rammte sie mir eine Nadel in den Arm, weil ich ihr von Sophie erzählte, einen Mädchen aus meiner Klasse. Mit fünfzehn schrieb sie mir einen hochdramatischen, mit getrockneten Blutstropfen unterzeichneten Brief, nur weil ich ein paar Mal bei Yukiko, einer kleinen empfindsamen Japanerin übernachtet hatte. Mit siebzehn gestand sie mir, dass sie oft an meinen Tod dachte. Als ich ihr vor drei Jahren meine Pläne verkündete, zum Studium nach Paris zu gehen, hatte sie drei Tage ununterbrochen geweint."

Es ist eine tiefe Freundschaft zweier völlig gegensätzlicher Mädchen. Sie wissen alles voneinander, und es gibt kaum etwas, das sie nicht zusammen machen. Oft hat man beim Lesen den Eindruck, die beiden seien regelrecht ineinander verliebt, so romantisch gestalten sich viele ihrer Begegnungen. Doch die Pubertät bricht in ihre Freundschaft ein wie ein Meteorit. Julia erobert die Herzen der Jungen im Sturm, sie schläft mit den meisten sofort, ohne jemals groß etwas dabei zu empfinden, während Louise eher still vor sich hin schwärmt und lange von der erfüllenden Liebe eher träumt.
Doch als David, ein junger, attraktiver Mann, in ihrem Leben auftaucht, nimmt das Leben Louises und auch Julias eine andere Qualität an.

Drei Tage nach einem sonnigen Sommertag, den die drei gemeinsam verbringen - David ist mittlerweile mehr von Louise angetan als von Julia -, setzt Julia ihrem Leben ein Ende. Mit einem kirschfarbenen Lippenstift schreibt sie Louise eine Botschaft auf den Badezimmerspiegel:
"Louise, alles wird gut. Mir geht es bestens. Ich liebe dich."

Sie hat es nicht geschafft, es nicht schaffen können und wohl auch nicht gewollt. David und Louise hingegen treffen sich lange Zeit nach Julias Tod wieder, und man ahnt am Ende, dass eine lange und stabile Beziehung beginnt.

Monica Sabolo ist ein traurig-schöner Roman über das Erwachsenwerden und dessen immer mögliches Scheitern gelungen. Obwohl Sabolo an keiner Stelle explizit darauf hinweist, gewinnt man bei der Schilderung der Elternpaare der beiden Mädchen den Eindruck, der Brüchigkeit von Julias Seele und Leben liege auch die Unverbindlichkeit und Oberflächlichkeit ihres Elternhauses zugrunde, während Louises Vater zumindest ihr immer, manchmal überfordert, aber in seiner Treue und Liebe zu seiner Tochter stabile Bezugsperson geblieben ist.
Das einfühlsame und dennoch eindringliche Ausleuchten der Gefühlswelt dieser beiden Mädchen wird bei manchem Leser persönliche Erinnerungen an die turbulenteste Phase wecken, die ein junges Menschenleben bewältigen muss, soll das Erwachsenwerden gelingen.

Fazit: "Alles wird gut, ich liebe dich" ist ein wirklich empfehlenswertes Buch.

(Winfried Stanzick; 08/2007)


Monica Sabolo: "Alles wird gut, ich liebe dich"
(Originaltitel "Jungle")
Aus dem Französischen von Katrin Müller.
Goldmann Verlag, 2007. 240 Seiten.
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Monica Sabolo wurde 1971 in Mailand geboren und absolvierte ihr Studium in der Schweiz. Sie entschied sich gegen einen Eintritt in den diplomatischen Dienst zugunsten der Mitarbeit an einem Rehabilitationsprogramm für Gibbons in Thailand. Es folgten Naturschutzprojekte in Französisch-Guyana und Québec, bis sie sich Mitte der 90er Jahre in Paris etablierte, wo sie zunächst als Journalistin für das Magazin "Océans et Mer" tätig war. Heute arbeitet sie als Journalistin für die "Elle".