"Russland hören"
Eine
musikalisch illustrierte Reise durch die Kulturgeschichte Russlands.
Von
den Mythen bis in die Gegenwart.
(Hörbuchrezension)
Kluge
Köpfe haben große Ohren
Die Jury des "Deutschen Hörbuchpreises" hat auf der Leipziger
Buchmesse den
kleinen Silberfuchs-Verlag aus Kayhude für den "Deutschen
Hörbuchpreis
2007" in der Kategorie "Beste verlegerische Leistung" für die
Reihe "Länder hören" nominiert.
Kayhude? "Hier in Kayhude kann ich in der Natur leben und
arbeiten",
berichtet Corinna Hesse - eine der zwei Verlagsgründerinnen.
Seit drei Jahren lebt die
Musikwissenschaftlerin und Journalistin in dem Dorf an der Alster. 2006
gründete
sie mit ihrer Kollegin Antje Hinz den Silberfuchs-Verlag.
Beide schreiben, konzipieren und gestalten anspruchsvolle
Hörbücher über Länder
und ihre Kulturen, über Kunst, Literatur und Musik. Und alle
zeichnet ein
fundiert recherchierter Inhalt in einer spannenden, lebendigen,
abwechslungsreichen und ausdrucksstarken Aufbereitung aus. Hinzu kommt
außerdem
eine hochwertige, künstlerisch gestaltete Verpackung.
Der Sprecher - Schauspieler Rolf Becker - ist dabei eine
Idealbesetzung. Beckers
sonore und wohl modulierte Stimme ist schon fast so etwas wie das
Markenzeichen
der Hörbuch-Reihe.
Auch die neueste Produktion "Russland hören" reiht sich
nahtlos und
ohne Abstriche in die bereits erschienen
Länderporträts Chinas, Japans, der
Niederlande und
Ungarns
ein.
Die russische Kulturgeschichte ist facettenreich, so wie das riesige
Land,
welches sich über zwei Kontinente erstreckt und mit der
Gründung Kiews im Jahr
482 seinen Ursprung fand. "Kaum ein Volk ist so stolz auf
seine Dichter und
Künstler wie das russische und fühlt sich der eigenen
Kultur näher als der
Politik. Wohin sollen sie sich orientieren? In Russlands Brust schlagen
zwei
Seelen: eine östliche und eine westliche, so wie
Petersburg
als der Kopf und
Moskau
als das Herz des Landes gilt."
Russland zwischen Ost und West ist das Thema dieser knapp
80-minütigen CD.
Geht eine derartige Straffung nicht zu Lasten der Qualität? Es
funktioniert und
zwar mittels einer exzellenten Erzählstruktur, die
Wesentliches betont, Neugier
auf angerissene Themen weckt und auch den Humor nicht zu kurz
kommen lässt,
so im Kapitel über die Christianisierung Russlands: Der
alkoholfeindliche
Islam, so heißt es bereits der berühmten
Nestor-Chronik, hatte keine Chance,
denn "Trinken ist die Freude unseres Reiches, und wir
können nicht ohne es
auskommen".
Die wichtigsten geschichtlichen und kulturellen Ereignisse werden
harmonisch mit
Gesängen aus der griechisch- und
russisch-orthodoxen Liturgie oder aber Werken
großer russischer Komponisten wie Schostakowitsch,
Rachmaninow und Tschaikowski
unterlegt und verschmelzen so zu einer russlandtypischen Einheit. Auch
wenn die
Musik manchmal einen zu dramatischen Effekt erzeugt, erlebt der
Hörer eine
ungewöhnlich anregende Reise durch Zeit und Raum von den
ersten Anfängen der
Waräger bis in die moderne Neuzeit, ein Abtauchen in eine
andere Kultur.
Da gibt es prachtvolle Kirchen und mächtige Städte
wie Kiew, Nowgorod, Sankt
Petersburg und Moskau zu bestaunen, tapfere Fürsten,
blutrünstige Herrscher,
heimtückische Hexen und visionäre Helden kreuzen die
Bahn. Der Hörer lauscht
staunend den alten Volksliedern, modernen Opern und interpretierten
Texten.
Becker skandiert Manifeste und zitiert Gedichte. So klingt
Kulturgeschichte
lebendig, wird die Suche nach der russischen Seele zur ebenso
unterhaltsamen wie
lehrreichen Entdeckungsreise.
Aber auch die Schattenseiten des Landes werden beleuchtet. Ein eigenes
Kapitel
widmet sich den Folgen der Herrschaft Stalins
bis ins Jahr 1953, einer
von grausamen Hungersnöten und Zwangsarbeit geprägten
Zeit.
Ergänzt wird alles durch ein sehr liebevolles und
aufwändig gestaltetes
sechzehnseitiges Begleitheft mit russischen Ikonenbildern und
historischen
Darstellungen aus der Geschichte Russlands. Eine Zeittafel der
Geschichte des
Landes zum Nachschlagen ergänzt die Erzählungen.
Den Hörer erwarten anspruchsvolle
Informationen in zwanzig kurzen etwa fünfminütigen
Kapiteln.
Dieses Hörbuch ist ein guter Einstieg, ein erster
Überblick für
Russland-Neulinge. Aber auch für Russlandkenner bietet es
genügend Neues,
macht Lust, Vergessenes oder noch Unbekanntes nachzulesen.
Der mittlerweile wirtschaftlich selbstständige Verlag, dessen
Name sich aus
einer indianischen Mythologie ableitet, dessen Schöpfer - mit
Namen Silberfuchs
- die Welt durch Gesang (die einzige Kunst, die aus dem Inneren des
Menschen
kommt) schuf, arbeitet bereits an weiteren interessanten Projekten. Die
"Edvard-Grieg-Gesellschaft" hat für ein Hörbuch zum
100. Todesjahr des
Komponisten angefragt. Auch ein Hörbuch über
Johannes Brahms ist geplant.
Man darf gespannt sein.
Fazit:
Der Begründung der Jury zu Nominierung für den
"Deutschen Hörbuchpreis
2007" kann kommentarlos zugestimmt werden: "Diese
hochwertigen Reiseführer
fürs Ohr verbinden Information, Literatur und Musik auf ganz
besondere Weise
und sind zudem wunderschön ausgestattet."
"Russland hören" gehört unbedingt dazu!
(Heike Geilen; 08/2007)
"Russland
hören"
Sprecher: Rolf Becker.
Silberfuchs Verlag, 2007. 1 CD; Laufzeit ca. 80 Minuten.
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Ein
Buchtipp:
Gabriele
Krone-Schmalz: "Was passiert in Russland?"
Die deutsch-russischen Beziehungen sind an einem Tiefpunkt angelangt. In
der aktuellen Berichterstattung über die Großmacht
im Osten werden Feindbilder aus der Zeit des
Kalten Krieges aus der
Versenkung geholt. Doch ein differenzierter Blickwinkel ist
nötig, um das heutige Russland verstehbar zu machen
und die Gefahr neuer Missverständnisse und Konfrontationen
abwenden zu können.
Gabriele Krone-Schmalz, die als "ARD"-Korrespondentin die Jahre des
Umbruchs in der Sowjetunion miterlebt und die darauffolgende
Entwicklung Russlands genau beobachtet hat, wendet sich gegen das
verzerrte Russlandbild. Sie stellt sich der Herausforderung, bewusste
und unbewusste Verfälschungen in unserer Wahrnehmung
aufzuzeigen. Dafür zeichnet sie die Entwicklungsprozesse an
den russischen Brennpunkten nach: den Aufbau der Zivilgesellschaft, der
Parteienlandschaft, der wirtschaftlichen Stabilität auf der
Grundlage einer neuen Energiepolitik. Und sie stellt sich auch den
Problembereichen, wie den Themen Pressefreiheit und Tschetschenienkrieg - denn Verständnis und deutliche kritische Worte
schließen sich nicht aus.
Das neue Buch der Russlandexpertin ist ein Appell für eine
Streitkultur jenseits von Reizworten und Klischees und gegen eine
Bewertung allein nach westlichen Maßstäben.
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