Salman Rushdie: "Shalimar der Narr"
(Hörbuchrezension)
Ein
arabeskes Epos
In Buchform bei Rowohlt erschienen, liest uns hier Gert Heidenreich
eine gekürzte Fassung in 14 Folgen vor. Rushdie kehrt quasi zu
seinen Wurzeln zurück - er wurde in Kashmir geboren - in
dieses verlorene Paradies, in dem die Geschichte des Moslems Shalimar
und des Hindu-Mädchens Boonyi beginnt - welche viele Jahre
später in Los Angeles ein blutiges Ende nimmt. In verwirrender
Manier und mit Details überladen werden persönliche
Tragödien und politische Katastrophen miteinander verwoben.
Rushdie gehört ja zu den Autoren, die gerne zu viele Worte
machen, wobei er hier im Grunde eine Auseinandersetzung mit dem
Terrorismus moderner Prägung riskieren möchte. Er,
der seit seinen "Satanischen Versen" (1988) von der Fatwa bedroht war
(1998 offiziell
von Teheran zurückgenommen).
Rushdie ist ein sehr extensiver Erzähler - er strapaziert das
Durchhaltevermögen des Rezipienten mit zahlreichen Marginalien
- er pflanzt viele, viele Bäumchen, die letztendlich dann doch
einen Wald zu ergeben scheinen. Der vorliegende Roman ist ein
"politisches Lehrstück. Ein blutiges Märchen. Eine
Liebesgeschichte. Das Porträt eines Terroristen. Viele
Geschichten stecken in diesem Buch, Hunderte von Bildern, Legenden,
Personen, Erzählfäden, die Rushdie aufs Kunstvollste
verwebt zu einem Epos, das in Los Angeles beginnt, über die
französische Résistance zum Völkermord und
Freiheitskampf in Kashmir führt. Es endet mit einem
großen, aber stillen Showdown in L.A." (vgl. Begleitheft).
Die Titelfigur nennt sich selbst Shalimar der Narr, als betrogener
Liebhaber sucht er Rache und wird zum international gesuchten
Terroristen. Wenn die Erklärungsmuster doch immer so einfach
wären!
Rushdie entwirft also ein Psychogramm des Terrorismus und seiner
Akteure - wobei er über geografische, religiöse und
zeitliche Grenzen hinweg eine Welt beschreibt, in der zwar Einzelne
noch handeln und Ideologien zu dominieren scheinen - in Wirklichkeit
hat aber nichts mehr Bestand. Weder die großen politischen
und religiösen Konflikte noch die persönlichen
Leidenschaften bringen irgendwelche Ordnung oder Beruhigung in die
Welt. Vor allem der Fanatismus zwischen Orient und Okzident wird hier
plastisch geschildert. Rushdie gesteht in einem Interview, er habe sich
regelrecht gefürchtet, manche Szenen zu schreiben, etwa wenn
er darlegt, wie die Angst muslimischer Männer vor Weiblichkeit
und Sexualität umschlägt in öffentliche
Gewalt.
Und so ist dieser Roman auch ein Dokument des Konflikts der Kulturen
und ein sarkastisches Plädoyer für mehr Toleranz
zwischen den einzelnen Menschen und in der Politik. Das
Anhören erfordert große Geduld und Aufmerksamkeit -
also eigentlich sind diese CDs nicht für lange Autofahrten
geeignet. Mit dem Lob an Gert Heidenreich für sein
einfühlsames Durchhaltevermögen als Vorleser und
einem Appell an Salman Rushdie, mit seinen Lesern (bzw.
Hörern) gnädig zu sein, sei hier atemlos geendigt.
(KS; 07/2006)
Salman
Rushdie: "Shalimar der Narr"
Patmos, 2006. 6 CDs, Laufzeit 373 Minuten.
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Buchausgabe:
Übersetzt von Bernhard Robben.
Rowohlt, 2006. 544 Seiten.
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Ein weiterer Roman des Autors:
"Die bezaubernde Florentinerin"
1572: In den Palast Akbars im indischen Fatehpur Sikri kommt ein junger, blonder
Mann, der behauptet, er sei den ganzen Weg um Afrika herum aus der Stadt Florenz
im fernen Europa angereist. Übrigens heiße er Vespucci und sei Akbars Onkel.
Der ob der überraschenden Verwandtschaftsbeziehung verblüffte, aber von der
Neugier gepackte Moguln-Herrscher gewährt ihm Gastfreundschaft - ist er doch
einem gut gesponnenen Garn nie abgeneigt. Ja, er hat sich sogar eine fiktive
Lieblingsfrau erkoren, was für einen stets sicherheitsgefährdeten
Weltenherrscher unbestreitbare Vorteile hat. Zwei Jahre lang behält Akbar
Vespucci am Hof und lässt sich in dämmrigen Abendstunden fasziniert erzählen.
So erfährt er von Machiavelli, Botticelli, dem Admiral Andrea Doria,
Dracula,
den Medicis und
tausend Anderen. Die Schauplätze von Vespuccis weitschweifigem Bericht reichen
vom indischen Subkontinent
über
das Italien der Renaissance, die Küsten Afrikas und den Nahen Osten bis
nach Amerika. Aber in ihrem Zentrum steht stets Argalia, die zauberhafte
Florentinerin, schönste Frau der damals bekannten Welt. Und siehe da, sie ähnelt
verdächtig einer Figur auf den Bildern von Akbars Hofmaler - jener, die er sich
zur Lieblingsfrau erkoren hat ...
Rushdies Roman ist randvoll mit Geschichten: über die Liebe, über Macht und
Verrat, über Städtebau, die christliche Seefahrt, italienische Städtepolitik,
orientalische Küche, Folter, Gärten, Kleidung, Kunst - ein wahres Füllhorn
schüttet der wohl fantasiebegabteste Autor beider Welten aus. (Rowohlt)
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