Nikolaj Rubcov: "Komm, Erde"


Der Name Nikolaj Michajlowitsch Rubcov ist bei uns bislang ein weitgehend unbekannter geblieben. Dies kann sich nun mit dem vorliegenden Buch ändern, das in repräsentativer Auswahl, zweisprachiger Ausgabe (möge dies bei Lyrik zur Regel werden) und einem einführenden Nachwort einen großen russisch-sowjetischen Dichter des 20. Jahrhunderts dem deutschsprachigen Publikum nahebringt.

Nikolaj Rubcov wurde am 3. Jänner 1936 in dem im Archangelsker Gebiet gelegenen nordrussischen Dorf Emeck geboren. Da die Mutter früh verstarb und der Vater sich nicht um ihn kümmerte, wuchs Nikolaj in einem Waisenhaus auf. In der Folgezeit führte er ein unstetes Wanderleben, arbeitete unter anderem als Heizer, Schlosser, Fabriksarbeiter, seinen vierjährigen Präsenzdienst leistete er als Marinesoldat. Schon früh begann er zu schreiben, der Durchbruch erfolgte 1962, als ihn das Moskauer Literaturinstitut zum Studium aufnahm, woran auch ein zeitweiliger Ausschluss des Unbequemen, der sich beispielsweise für die Aufnahme Sergej Jessenins in den Literaturkanon verwendete, nichts mehr änderte. Immer häufiger erschienen in den Sechziger Jahren Texte von Rubcov in angesehenen Literaturzeitschriften - als er am 19. Jänner 1971 nach einem Eifersuchtsdrama frühzeitig aus dem Leben schied, war er in der Sowjetunion bereits ein berühmter Mann.

Heute zählt Rubcov zu den populärsten Dichtern russischer Zunge, wozu die zahlreichen Vertonungen seiner Gedichte erheblich beigetragen haben. Es liegt auch an der Thematik Rubcovs, welche weniger politisch-ideologische Themen in den Mittelpunkt rückt, sondern die großen bleibenden Themen, Leben und Tod, Moral und Untugend, der Mensch und seine Stellung in Gesellschaft und Natur, behandelt. "Tichaja Lyrika", "Leise Lyrik" wird die Stilrichtung genannt, der mit Einschränkungen auch Rubcov zugerechnet wird und die im Gegensatz zu ihrer gröberen Schwester ("Gromkaja Lyrika") auf formale Experimente weitgehend verzichtet. So ist die Poetik Rubcovs relativ konventionell, sie operiert mit behutsamen Brechungen von metrischer Sprache und freien Rhythmen, echten und unechten Endreimen, was auf klanglich-rhythmischer Ebene des Dichters Spannungen und Vermittlungsversuchen zwischen Tradition und Moderne, Stadt- und Landleben, Natur und Technik, entspricht, mit eindeutigen Zwischentönen der Skepsis und Kritik an der jüngeren Hälfte der Gegensatzpaare. Herausragend die selbstsichere Symbolik des Dichters: in seinen Streifzügen durch die nordrussischen Landschaften seiner Heimat durchdringen einander äußeres Erscheinungsbild und innerer Seelenzustand weitgehend, Warnungen werden klar vernommen, Orte, Szenen und Ereignisse spiegeln sich ebenso klar, wenn auch oft subtil, in den emotionalen Reaktionen des lyrischen Ich, alte Erinnerungen (persönliche wie historische und kollektive) werden wachgerufen, oder einmal mehr Zeugnis abgelegt für den ewigen Pulsschlag des Lebens, wie er in Handlungen, Ritualen oder selbstredend der Abfolge der Jahreszeiten vernommen werden kann. Besonders in Rubcovs Naturbeschreibungen tritt ein geradezu frommer Grundton zu Tage, der sich im übrigen mit einem leicht bitteren Humor, kleinen Derbheiten, einem vorsichtigen Optimismus gegenüber menschlichem Fortschrittsdrang und einem heftigen Temperament, das sich stolz darauf zeigt, seine Seele unverletzt erhalten zu haben, gut verträgt. Die Poesie vergleicht Rubcov mit einem Schneesturm, einer unzähmbaren Naturgewalt, sich selbst sieht er - ganz im alten klassischen Sinn - als besonders feinen Nerv der Gesellschaft und des Landes. Nicht zuletzt gilt Rubcov auch als slawofiler Dichter, der über geschichtliche Abschnitte und künstlerische Moden hinweg seiner Liebe zu Russland, einer nicht nur weiten, sondern ebenso dunklen, stillen und der Erweckung harrenden Heimat ein bleibendes Denkmal setzte.

(fritz; 06/2005)


Nikolaj Rubcov: "Komm, Erde"
Gedichte Russisch/Deutsch
Übersetzt und herausgegeben von Raymond Dittrich, Tamara Kudrjavceva und Hartmut Löffel
Wiesenburg Verlag 2004
160 Seiten; ISBN: 3937101411

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 Weiterer Literaturtipp:

Nikolaj Kljuev: "O Russland - das bist du!"
Ausgewählte Gedichte. Russisch und Deutsch
Nikolaj Kljuev (1884-1937) war mit Sergej Jessenin befreundet, konnte aber nie dessen Publizität erreichen. Bis heute ist fast gar nichts von ihm ins Deutsche übersetzt. In Russland selbst  wurde er nach seiner Erschießung durch den Geheimdienst lange Zeit totgeschwiegen. Erst 1960 rehabilitierte man ihn posthum, und 1976 erschien wieder ein Buch von ihm.
Hartmut Löffel
übertrug 28 Gedichte ins Deutsche. Die Auswahl erscheint mit 3 Gedichten von Valerij Domanskij, dem Schriftsteller und Kljuev-Forscher in Tomsk.
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Я люблю судьбу свою,

Я бегу от помрачений!

Суну морду в полынью

И напьюсь,

Как зверь вечерний!

Сколько было здесь чудес,

На земле святой и древней,

Помнит только темный лес!

Он сегодня что-то дремлет.

От заснеженного льда

Я колени поднимаю,

Вижу поле, провода,

Все на свете понимаю!

Вот Есенин -

          на ветру!

Блок стоит чуть-чуть в тумане.

Словно лишний на пиру,

Скромно Хлебников шаманит.

Неужели и они -

Просто горестные тени?

И не светят им огни

Новых русских деревенек?

Неужели

     в свой черед

Надо мною смерть нависнет,-

Голова, как спелый плод,

Отлетит от веток жизни?

Все умрем.

Но есть резон

В том, что ты рожден поэтом.

А другой - жнецом рожден...

Все уйдем.

Но суть не в этом...

Ja, mein Schicksal liebe ich,
komme aus der Nacht gelaufen,
steck`s Gesicht ins Eisloch tief,
trinke stark,
wie Tiere saufen!
Wieviel Wunder gabs hier doch
auf der heilig-alten Erde,
nur der Wald steht dunkel noch,
und er träumt von jener Ferne.
Auf dem Eis nur leichte Last,
steh ich auf und schaue um mich,
seh das Feld, den Leitungsmast,
alles auf der Welt begreif ich!
Windsbrautgleich -
Jessenin, sieh!
Blok steht dort, ist kaum zu hören.
Chlebnikov, wie überflüssig hier,
will bescheiden uns beschwören.
Sollten sie denn Schatten sein,
nichts als Schatten? Wenn`s so wäre!
Lockt sie nicht der Feuerschein
unsrer neuen Dörfer näher?
Sollte sich auch über mir
Tödliches zusammenballen?
Sollte ich, schon reif dafür,
bald vom Baum des Lebens fallen?
Jeder stirbt.
Doch liegt ein Sinn darin,
daß du geboren bist als Dichter,
andere - als Feldbeschicker ...
Ab tritt jeder.
So war`s seit jeher ...

 

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