Rainer Rother: "Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents"
Leni
Riefenstahl, die am 22.08.2002 ihren einhundertsten Geburtstag begeht, gehört
zu den umstrittensten Persönlichkeiten der Nachkriegszeit. Kein anderer Künstler
hat die kontroverse Diskussion zwischen der Freiheit der Kunst und der moralischen
Verpflichtung des Künstlers so herausgefordert wie "Hitlers Lieblingsregisseurin"
und Schöpferin des "Jahrhundertfilms Olympia". Aufgrund ihrer das Regime verherrlichenden
Filme zu den NS-Parteitagen auf der einen Seite und ihrer gänzlich apolitischen,
von ihrer eigenen Karriere als Schauspielerin beeinflussten Werke "Der Blaue Berg"
und "Tiefland" auf der anderen Seite scheinen die Widersprüche unüberwindbar.
Riefenstahl selbst wurde nie müde, sich in Memoiren und Interviews als
unpolitisch und lediglich an ihrer Arbeit interessiert zu bezeichnen und ihre
durchaus engen Kontakte zur Führungsspitze des NS-Regimes zu verharmlosen.
Zahlreiche
Veröffentlichungen beschäftigen sich seit dem Ende des Dritten Reiches mit der
Riefenstahl und ihrer Kunst, und so meint man, ein weiteres Werk über die Regisseurin
der NS-Propagandafilme könne nichts Neues bringen.
Der Filmwissenschaftler
Rainer Rother wählt jedoch im Gegensatz zu den Biografien und Aufsätzen der "gelernten"
Historiker einen etwas anderen Ansatz. Er analysiert Leni Riefenstahls Leben und
Charakter anhand ihres gesamten künstlerischen Werkes, man kann fast meinen, nicht
die Person, sondern eben das Werk steht hier im Vordergrund. Persönliche Informationen
über den Menschen Riefenstahl sowie historisches Hintergrundwissen gibt der Autor
lediglich in einer Zeittafel im Anhang.
Rother beginnt mit der kurzen
und mäßig erfolgreichen Karriere der Riefenstahl als Tänzerin, da er deren Bedeutung
für die spätere filmische Arbeit als Regisseurin erkennt. Er begegnet Leni Riefenstahl
bereits in dieser Phase durchaus kritisch und nimmt wiederholt Bezug auf ihre
eigenen, erwiesenermaßen geschönten Memoiren.
Durch eine Knieverletzung bedingt,
muss Leni Riefenstahl die Tanzkarriere aufgeben und wird eine - ebenfalls eher
durchschnittliche - Schauspielerin unter Arnold Fanck. Auch hier konzentriert
sich Rother im wesentlichen auf Riefenstahls Tätigkeit in den damals sehr populären
Bergfilmen, wobei aber durchaus deutlich wird, dass die ambitionierte junge Frau
eine außergewöhnliche Persönlichkeit ist.
Ein großer Teil des Buches ist
dann der Arbeit Leni Riefenstahls für die Nationalsozialisten gewidmet, wobei
Rother sich nicht nur auf den Inhalt der Filme, sondern insbesondere auf die stilistischen
Besonderheiten und die Entwicklung der Künstlerin konzentriert. "Filmtechnische"
Besonderheiten werden dem Laien verständlich erläutert, und selbst wenn man weder
"Sieg des Glaubens" noch "Triumph des Willens" gesehen hat, bekommt man nach Rothers
Ausführungen eine ungefähre Vorstellung.
Dem heute unumstritten als Meisterwerk
anerkannten "Olympia"-Film widmet Rother naturgemäß die größte Aufmerksamkeit
und schildert unter anderem die Arbeit am Set und den für die damaligen Verhältnisse
ungeheuren finanziellen und personellen Aufwand.
Schließlich werden auch die
Nachkriegsaktivitäten der Riefenstahl und ihr Kampf um künstlerische Anerkennung,
belegt durch zahlreiche von ihr geführte Verleumdungsprozesse, geschildert.
Fazit:
"Wenn
sie ins Rampenlicht trat, dann nicht als Nebenfigur," sagt Rother über Leni Riefenstahl,
und so ist auch sein Buch konzipiert. Rother begreift die Regisseurin als künstlerisches
Genie, getragen allein von ihrem Willen und frei von Beeinflussungen Dritter in
einer von Männern dominierten Welt. Ob er damit der historischen Bedeutung Riefenstahls
gerecht wird ist fraglich, war aber auch nie Anspruch des Autors. Er bemüht sich,
die Künstlerin oder zumindest ihr Werk objektiv zu betrachten, wobei er eine gewisse
Bewunderung und Sympathie für Leni Riefenstahl nie verbergen kann.
Rainer
Rothers Buch ist durchaus lesenswert, allerdings sollte man über relativ fundiertes
historisches Wissen verfügen, um die Ausführungen im Kontext zu erfassen. Auch
bestimmte beiläufige Äußerungen des Autors sind nur so zu verstehen.
So erwähnt
er zum Beispiel den angeblichen Hass zwischen Propagandaminister Goebbels und
der Riefenstahl, der Gegenstand zahlreicher Diskussionen war. Dazu sollte man
wissen, dass
Goebbels und Leni Riefenstahl aufgrund ihren Funktionen im Dritten
Reich recht häufig aufeinander trafen und kein Zeitzeuge von solchem Hass berichtet.
Auch hat sich Goebbels in seinen Tagebüchern fast überschwänglich über die Riefenstahl
geäußert.
Ein wenig fehlt vielleicht auch die Beschreibung der Beziehung
Hitler-Riefenstahl,
denn letzten Endes ist davon auszugehen, dass ihre politischen Filme nicht nur
durch ihren Ehrgeiz, sondern ebenfalls durch ihr Verhältnis zu Hitler motiviert
waren. Sie gehörte immerhin dem illustren, quasi persönlichen Kreis um Hitler
auf dem Obersalzberg an, und man kann fast sagen, dass Hitler - zumindest zu
Beginn ihrer Beziehung - ein wenig für die Riefenstahl schwärmte. Ob Rother
die Auseinandersetzung mit diesen Tatsachen bewusst oder unbewusst vermieden
hat, bleibt letztlich sein Geheimnis.
(Maike Domke; 08/2002)
Rainer Rother:
"Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents"
Gebundene
Ausgabe:
Henschel, 2000. 286 Seiten.
ISBN 3-8948-7360-4.
ca. EUR 15,-.
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Broschiert:
Heyne,
2002. 288 Seiten.
ISBN 3-4532-1177-4.
ca. EUR 9,95.
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