Joseph Roth: "Das Spinnennetz"

Gläubiger waren sie, leichter entflammt, feurig, ehe sie kamen, lodernd, wenn sie aufgenommen waren. Eine Gefahr war Hitler. War Theodor Lohse eine Gefahr? Täglich nannten jenen die Blätter. Wann sah man Theodors Namen?

(Auszug aus "Das Spinnennetz")


Wege zum Faschismus

Joseph Roth beschreibt in seinem Roman "Das Spinnennetz" anhand der Figur des Theodor Lohse, einem desillusionierten Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg, den Nährboden des Faschismus. Aus seiner Analyse der Nachkriegssituation entwickelt er eine bestechende Vision auf den Nationalsozialismus in Deutschland. War die Entwicklung zur Diktatur vorhersehbar?

Theodor Lohse fällt der Wiedereinstieg ins zivile Leben schwer. Seine Familie hätte ihn lieber als toten Kriegshelden gesehen, statt als abgehalfterten Leutnant. Er ist unzufrieden, weil er die strenge und gerechte Ordnung der Armee vermisst, in der Intelligenz und Vermögen keine Rolle spielen. Als nur mäßig Begabter, aber von Ehrgeiz Getriebener, sucht er Orientierung. Seine Stelle als Hauslehrer eines jüdischen Jungen liegt ihm nicht. Er träumt von der Macht.

Bei einem Spaziergang durch die Straßen blickt er bedächtig auf ein Plakat von General Ludendorf. Seine Gedanken kreisen darum, wie er mit den Großen und Größten in Verbindung treten kann. Er schreibt einen ehrerbietigen Brief an Ludendorf und erhält auch eine Antwort. Sein Selbstwertgefühl steigt. Lohse wird Mitglied einer zweifelhaften nationalistischen Geheimorganisation, in der Befehl und Gehorsam zur ersten Pflicht gehören. Zu seiner bevorzugten Lektüre zählen revolutionäre Blätter, die ihren Teil dazu beitragen, dass er die neue Rolle annimmt und seinen Job als Hauslehrer aufgibt.

Allmählich entwickelt sich Lohse vom potenziellen zum realen Täter. So mischt er sich unter eine Gruppe von Sozialisten, die er für vaterlandslose Gesellen hält, und verrät diese nach einem Anschlag. Seine Tat für die Nation wird in den Zeitungen erwähnt und Lohse ist stolz auf sich. Für seine Karriere ist ihm jedes Mittel recht. Die Führerhörigkeit wird besonders deutlich, als er die Bemerkung des Chefs der Geheimorganisation, "Vielleicht stirbt Klitsche", in die Tat umsetzt. Lohse wird zum Mörder und avanciert durch Tatsachenverdrehung zum Held. Als Folge seiner Taten leidet er unter Verfolgungswahn. Mit Aufsätzen für den "Nationalen Beobachter" und Schuldzuweisungen gegenüber den Juden und Kommunisten will er diesen kompensieren. Er wird Mitglied der nationalsozialistischen Partei, die ihn umgarnt.

In einer konspirativen Aktion gegen kommunistische Arbeiter kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Nationalsozialisten siegen. Die Zeitungen berichten über Straßenkämpfe und den Sieg der Ordnung. Lohses Aktivitäten bei dieser nationalen Erhebung werden besonders herausgestellt und sein gesellschaftliches Ansehen wächst. Er heiratet eine Adlige und seinem weiteren Aufstieg in höchste Ämter steht nichts mehr im Wege. Er wird "Chef des Sicherheitswesens", verhaftet Pazifisten, Kommunisten und Katholiken und schreckt vor Folter nicht zurück.

Wie verhalten sich jene, die nicht zu den unmittelbaren Tätern gehören? Das Psychogramm der Mitläufer beschreibt Autor Roth perfekt in einer kleinen Szene in einer Bar: "Eine paar Kameraden seiner Gruppe umschmeichelten ihn, machten ihm Platz in der Mitte, sahen ihm auf den Mund und - erkannten sie an den ersten Sätzen, dass es eine lustige Geschichte würde, dann lachten sie und waren erschüttert von Theodors Humor."

Der Schluss der Geschichte lässt eine düstere Zukunft erahnen. Nahm Joseph Roth die Wirklichkeit vorweg? Der Roman enthält eine profunde Charakterstudie der Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus. Diese Analyse ist bemerkenswert. Der Name Hitler taucht auf und Autor Roth ahnt Anfang der 1920er Jahre, dass von ihm eine große Gefahr ausgeht. Er beschreibt in seinem Roman nicht "die" Zukunft, sondern "eine mögliche" Zukunft, wie ein ausgezeichneter Beobachter, wie er einer war, sie vorhergesehen hat. Seine Vision ist recht düster, wird aber vom realen Nationalsozialismus späterer Jahre bei weitem übertroffen.

(Klemens Taplan; 02/2004)


Joseph Roth: "Das Spinnennetz"
dtv, 2004. 127 Seiten.
ISBN 3-423-13171-3.
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