Philip Roth: "Jedermann"
Vollständige Lesung von Peter Fitz
(Hörbuchrezension)
"Das Alter ist kein
Kampf; das Alter ist ein Massaker"
Philip Roth nimmt in seinem Roman "Jedermann" das Ende gleich vorweg:
Er beginnt mit der Beerdigung seines 73-jährigen namenlosen
Protagonisten, eben
eines "Jedermanns". Auf 173 Seiten schrumpft Roth dieses (lange) Leben
ein. Doch als Hörer hat man nicht das Gefühl, um
Inhalte betrogen worden zu
sein. Die Kunst Roths besteht darin, lakonisch und doch vielsagend ein
Leben aus
der Perspektive eines Gealterten zu beschreiben; es ist ein
Rückblick, befreit
von allem Belanglosen und Sekundärem. Wäre der
Erzähler ein vielleicht Mittvierziger,
so könnten beruflicher Erfolg und materielle Statussymbole
wichtige Themen
sein. So jedoch sind es bei Roths Protagonisten zutiefst menschliche,
anrührend-unsentimental
erzählte Dinge, auf die "Jedermann"
zurückblickt: Die
Vereinsamung
im Alter, der Verlust liebgewonnener Freunde, Gesundheit bzw.
Krankheiten und
die Hoffnung, die Menschen, die man liebte, nicht zu sehr verletzt zu
haben.
Es ist keine zynische Abrechnung mit Gott, der Welt, allem und jedem
wie in
Yasmina Rezas "Eine Verzweiflung", keine Rechtfertigungstour nach dem
Motto "Wenn ich noch einmal zu entscheiden hätte, dann
würde ich alles
anders machen", sondern die stille, aber nicht resignierte
Erzählung eines
Mannes, der es eben nicht anders machen würde. Von seiner
beruflichen Laufbahn
erfahren wir nur soviel, dass er als fast
Fünfzigjähriger seine Laufbahn als
Ehebrecher begann - seine Frau weiß von Beginn an von seinen
Seitensprüngen,
toleriert sie zunächst, bis er mit seiner aktuellen Geliebten
ein Wochenende in
Paris verbringt; die Scheidung ist unausweichlich. Seine Söhne
aus dieser Ehe
hassen ihn bis zu seinem Tod dafür, dass er ihre Mutter
verletzt und sie
verlassen hat; er bereut nichts.
Die Lesung von Peter Fitz kann man nur als kongenial bezeichnen. Zu
leicht
besteht die Gefahr, bei einem derart "tiefsinnigen" Inhalt in einen
bedeutungsschwangeren Ton zu verfallen, der dem Roman in keiner Weise
gerecht würde.
Auch vermeidet er, ins Gegenteil, ins Trotzig-Kämpferische
oder Rechtfertigend-Aggressive
zu verfallen. Im Gegenteil: seine Lesung ist keines von allem und doch
ein
bisschen von jedem, aber in einer dermaßen ausgefeilten
Balance, dass jede noch
so feine Nuance der Romanvorlage erfasst, verdeutlicht und mit Leben
gefüllt
wird. Und dies ist letztendlich "Jedermann" auch - ein Erkenntnisbuch
der nicht neuen Erkenntnis, dass das
Sterben mit dem Tag der Geburt
beginnt;
dass es jedoch lohnt, dieses auszukosten trotz Krankheit, Fehlern,
trotz
schmerzhafter Erfahrungen; im Grunde ein lebensbejahender Roman, der von Peter Fitz auch so
vorgetragen wird:
ohne falsches Pathos, aber anrührend und doch den lakonischen
Ton des Buches aufgreifend und vertiefend. Perfekt und geradezu prädestiniert
als Kandidat für den Deutschen Hörspielpreis.
Geradezu vorbestimmt für den neuzuschaffenden Preis
für "das beste neue
geflügelte Wort" ist der bereits als Überschrift
zitierte Satz aus Roths
Roman: "Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker."
(Wolfgang Haan; 10/2006)
Philip
Roth: "Jedermann"
(Originaltitel "Everyman")
Übersetzt von Werner Schmitz.
Gebundene Buchausgabe: Hanser, 2006. 173 Seiten.
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Hörbuch: Der Hörverlag, 2006. 4 CDs, Laufzeit ca. 300
Minuten.
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