Verena Gassner, Sonja Jilek, Sabine Ladstätter:
"Am
Rande des Reiches. Die Römer in Österreich"
Mit diesem Titel ergänzt der Carl Ueberreuter Verlag die nun schon neun Folgen umfassende Bücherreihe zur "Österreichischen Geschichte in 10 Bänden" - ein vor seiner Vollendung stehendes wahrhaftiges Jahrhundertwerk - des Herausgebers Herwig Wolfram um einen weiteren - allgemein eher unbekannten - historischen Aspekt, der den Zeitraum von 15 vor Chr. bis 378 nach Chr. umfasst. Nämlich um die erste umfassende Gesamtdarstellung der Römerzeit in Österreich.
Die Archäologinnen Verena Gassner, Sonja Jilek und Sabine Ladstätter, die nebst der Archäologie auch noch Geschichtswissenschaften und Altertumskunde als ihre Fachgebiete nennen, haben sich mit der äußerst schwierigen Materie eingehend beschäftigt und das zum Buchtext verdichtete Ergebnis ihrer Forschungsarbeiten solcherart verfasst, dass Jedermann, also selbst noch der unbedarfte Laie, diesen wohl als leicht verständlich und hoch interessant empfinden mag. In den Ausführungen werden nicht nur die Österreich betreffenden Gebiete des ehemaligen Römischen Reiches abgehandelt, sondern darüber hinaus auch weite Teile Europas, da römische Reichspolitik und kulturelle Wechselwirkungen natürlich nicht auf das heutige österreichische Staatsgebiet beschränkt waren. Die Materie ist eben nur im historischen Gesamtkontext richtig betrachtet.
Es ist allgemein unumstritten, dass Ur- und Frühgeschichte primär von der Archäologie her zu betreiben ist, insofern auch gegenständliches Buch notgedrungen ein archäologisches Buch ist. Gerade aus jener Zeit sind uns zwar durchaus literarische Quellen - etwa von Tacitus oder von Julius Cäasar - überliefert, doch handelt es sich hierbei nur um isolierte, teils offenkundig recht phantastische und, vor allem was Österreich betrifft, sehr kärgliche Bestandsaufnahmen, die kein brauchbares Geschichtsbild jener Zeit ergeben. Es ist ganz so, als wollte man unter Heranziehung von tausend Schlagzeilen einer Boulevardzeitung Gegenwartsgeschichte schreiben. Das Ergebnis wäre dann wohl ebenso dürftig wie phantastisch, doch alles andere als wissenschaftlich. Die zu wählende Methode musste folglich die archäologische sein. Schlussendlich liegt uns somit eine Geschichtsschreibung vor, die sich von der Ruinenforschung der Archäologenzunft ableitet.
Wissenschaftliche Zielsetzung des Autorenteams war die Rekonstruktion römischer Alltagswirklichkeit im Gesamtkontext von Zentrum und Peripherie. Die Betrachtung römischer Lebensart gilt nicht nur der politischen Geschichte, sondern versucht auch das Leben der Menschen unter damaligen Bedingungen nachzuzeichnen, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Glaubensvorstellungen zur Anschauungen zu bringen. Eigene Abschnitte sind der Verwaltungsstruktur, der militärischen Besatzung und den römischen Städten im Raum des heutigen Österreichs gewidmet. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Ruinen ehemaliger Militärbauten zu erachten, da Rom politologisch betrachtet immerhin doch als Militärdiktatur erkannt werden muss, dessen von uns im verklärten Rückblick so hoch gewürdigte Praxis der Romanisierung vor allem vermittels einer gewaltigen Heeresmacht betrieben wurde. Die römische Kultur war - wir übersehen es wohl gerne - zu aller erst immer noch eine Kultur des Schwertes. Und bei der mit Eifer betriebenen Politik der Romanisierung handelte es sich - kritischer betrachtet - um puren Kulturimperialismus, der wenn nötig auch über Leichen unbotmäßiger Völkerschaften ging.
Wir wissen heute, dass die in österreichischen Landen stationierte Donauarmee als überaus schlagkräftige Elitetruppe galt, von der auch so manche politische Initiative ausging; gleich, ob jetzt erwünscht oder unerwünscht. Nichtsdestotrotz - es mag überraschen - stellen sich die schriftlichen Heeresquellen der Donauarmee als äußerst kärglich dar. Um so mehr lässt sich jedoch aus der archäologischen Hinterlassenschaft dieser römischen Heeresmacht erlesen, in etwa, dass der berühmte Grenzwall gegen die wilden Germanen - der Limes - in der Tat nicht als eine Art von "Eisernem Vorhang", als abweisende und unüberwindliche Grenzlinie, gedacht werden darf, sondern viel eher als Linie der Begegnung zwischen römischen Hinterland und Vorderland. Denn keineswegs endete hier römisches Kulturland und begann hier germanisches Barbarenland. Die historische Wirklichkeit stellt sich weniger deutlich dar und der Grenzbegriff des Limes war weniger strikt, als man es lange Zeit vermeinte. Jenseits des Limes befanden sich Kontaktzonen mit partiell romanisierten germanischen Völkerschaften und selbst dort, in diesem Jenseits des Limes, durfte sich ein Römer durchaus noch zuhause fühlen. Zumindest während der ersten Zeit seines Bestehens, denn die Zeiten wurden rauer.
Die
Markomannenkriege im späten 2. Jahrhundert beendeten den Traum vom ewigen Frieden,
den Rom garantieren zu können schien. Der zunehmende militärische Druck auf die
römische Militärgrenze manifestiert sich für den Archäologen im massiven Ausbau
des Limes zu einer waffenstarrenden Wehranlage. Gleichzeitig wurde die Zivilbevölkerung
sukzessive abgesiedelt, so dass sich die einstmalige Linie der kulturellen Begegnung
mehr und mehr zur Frontlinie wandelte. Wo einst Kulturen aufeinander trafen, trafen
nun nur noch Krieger auf einander. Aus einer Kulturzone wurde eine Todeszone.
Das
Ende der römischen Kultur in Österreich besiegelten im 6. Jahrhundert gemeinsam
die einfallenden Slawen, Awaren und Germanen. Der Band endet dann auch mit der
Übernahme der römischen Provinzen durch die völkerwanderungszeitlichen Gentes
und die Slawen.
Das
Buch untergliedert sich in drei große Abschnitte, welche die Römerzeit auf österreichischem
Boden in chronologischer Abfolge abhandeln:
1.
Die Frühzeit: Kelten, Raeter, Römer,
die Okkupationsphasen im Zeitalter von
Augustus
und Tiberius, Eroberungszüge und Provinzeinrichtungen, Erbauung von Straßensystemen,
Städtegründungen bis zur Einrichtung des bekannten Limes.
2. Die mittlere
Kaiserzeit: Von
Hadrian bis zu
den Markomannenkriegen, die Severerzeit und die Krisen der politischen Entwicklung
im 3. Jahrhundert n. Chr.
3. Die Spätantike: Von Diokletian bis zur Schlacht
von Adrianopel und das Ausklingen der römischen Epoche. Den Abschluss bilden letztlich
Ausführungen über das
Frühchristentum;
von den Verfolgungen bis zur Staatsreligion.
In den einzelnen Abschnitten wird neben der jeweiligen politischen Situation auch
auf die konkrete Lebenswirklichkeit der Menschen in Stadt und Land - (religiöse
Kulte, Rechtswesen, Erwerbsleben, kriegerische Konflikte) - eingegangen, wobei
dem archäologisch so ergiebigen Bestattungswesen besonderes Augenmerk gilt.
Wissenschaftlich
fundiert, doch angenehm leserlich geschrieben und durch zahlreiche Abbildungen
aufgelockert, bietet sich dem Leser ein abgerundetes Bild der Menschen und ihrer
Zeit am Rande des Römischen Reiches dar. Abenteuer Geschichte der besten Sorte.
(Dr. Hans Schulz; 01/2003)
Verena Gassner, Sonja Jilek, Sabine
Ladstätter:
"Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich"
Ueberreuter, 2002. 550 Seiten.
ISBN 3-8000-3772-6.
ca. EUR 51,90.
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Ergänzender Buchtipp; ebenfalls
in der Reihe "Österreichische Geschichte" erschienen ist:
"Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Österreichs" von Otto H.
Urban:
Für den ältesten Abschnitt der Menschheitsgeschichte stehen ausschließlich
archäologische Quellen zur Verfügung, was grundlegende methodische Unterschiede
zur Arbeit der Historiker mit sich bringt. Eine Urgeschichte Österreichs zu
schreiben ist nur dann sinnvoll, wenn sie als Teil einer Universalgeschichte
verstanden wird, die an Fallbeispielen - in unserem Fall anhand archäologischer
Funde aus der Republik Österreich - dargestellt wird. Das Buch stellt den Versuch
dar, die historische Essenz aus den bisher entdeckten Bodenfunden zu ziehen
und Rolle und Bedeutung der unterschiedlichen österreichischen Regionen im Laufe
der Jahrtausende vor Christus aufzuzeigen. Die verschiedenen Kulturen, ihre
Wirtschaftsweisen und Abhängigkeiten von natürlichen Gegebenheiten, die gesellschaftlichen
Vorstellungen, soweit sie sich in den Gräberfeldern widerspiegeln, und die Bewertung
der diversen Kulturlandschaften als Kernraum, Durchzugsgebiet oder Peripherie
zeigen den "langen Weg zur Geschichte" Österreichs, der in der Kälte und Finsternis
der vorhistorischen
Eiszeit einsetzt, über die Venus von Willendorf und einen
Mann namens Ötzi bis Hallstatt und die Kelten mit ihrem Königreich Norikum führt.
Das Buch stellt die aktuellen Ergebnisse der rund 100-jährigen wissenschaftlichen
Erforschung der Stein-, Bronze- und Eisenzeit dar und ermöglicht durch einen
ausführlichen Anmerkungsapparat den Einstieg in die Fachliteratur. An die 1000
österreichische Fundstellen sind durch das Ortsregister gut erschlossen.
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