Iwona Blazwick, Anthony Spira (Hrsg.): "Rodney Graham"
Vom Reiz des Kreislaufs und des scheinbar Absurden
Ob er mit seiner mobilen Camera Obscura, eingebaut in die Rekonstruktion einer Postkutsche, die Welt auf den Kopf stellt (so entstanden z. B. Baumporträts), Zimt auf einer elektrischen Herdplatte verglühen lässt und dieses Spektakel in Form einer filmischen Endlosschleife konserviert ("Coruscating Cinnamon Granules", 1996), des Nachts Polaroids knipsend durch Parks und Wälder geistert ("75 Polaroids", 1976), unter dem Einfluss von LSD Rad fährt ("Phonokinetoscope", 2001), schlafend auf dem Rücksitz eines Autos liegt, mit einer beachtlichen Dosis eines Beruhigungsmittels im Blut ("Halcion Sleep", 1994), und sich dabei filmen lässt oder sich musizierend betätigt: Rodney Graham spielt mit aus den gewohnten Zusammenhängen gelösten Bestandteilen der kollektiven Wahrnehmung, mit Gestalten, Insignien und Symbolen der westlichen Welt, die er in neue Bezugssysteme integriert und dem Betrachter in veränderten Erscheinungsformen darbietet.
Der reich bebilderte Band dokumentiert das lustvolle Schaffen des 1949 in Kanada geborenen Konzeptkünstlers Rodney Graham, der seit den 1970er Jahren auf Basis umfassender Kenntnisse aus den Bereichen Philosophie, Literatur, Psychoanalyse (um nur einige zu nennen) Kunstwerke in Form von Modellen, Fotografien, Videos, Musik, Klanginstallationen, Texten und Skulpturen kreiert. Aus der eingehenden Beschäftigung mit Werken Richard Wagners, Sigmund Freuds, Lewis Carrolls, Georg Büchners, Raymond Roussels sowie der Hippie- und Popkultur (um wieder nur einige zu nennen) gingen über die Jahrzehnte vielseitig interpretierbare Kunstwerke hervor. Rodney Grahams Arbeiten zeichnen sich stets durch mehrere Bedeutungsebenen sowie hintergründigen Humor aus, der Künstler rückt den Größen der abendländischen Geistesgeschichte zu Leibe, persifliert die Kulturindustrie, spielt mit Reizüberflutung und -entzug; als in einen größeren Kontext eingebundene, nichtsdestoweniger individuell agierende und reagierende Schnittmenge von Wissenschaft, Technik und Menschsein. Kreisläufe an sich, filmische Endlosschleifen (z. B. die Kostümfilmtrilogie, bestehend aus "Vexation Island", 1997, "How I became a Ramblin' Man", 1999 und "City Self / Country Self", 2000), die - wenn man so will - das Neurotische gleichermaßen wie die Logik betonen, zählen zu Rodney Grahams bevorzugten Kunstformen, wobei Selbstinszenierung neben Querverweisen auf Bekanntes und Überraschungsmomente prägende Elemente darstellen.
Diese
Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung "Rodney Graham" in
der Whitechapel Art Gallery in London (24.9.2002-17.11.2002). Die einzelnen Textbeiträge,
an das von Iwona Blazwick, Nathalie Ergino und Julian Heynen verfasste Vorwort
anschließend, sind: "Eine auf den Kopf gestellte Innen-Außen-Welt" von
Carolyn Christov-Bakargiev, "Zur Struktur von Rodney Grahams Kostümtrilogie"
von Darian Leader, "Französischer Romancier" von Russell Ferguson, "A
Little Thought - Rodney Graham im Gespräch mit Matthew Higgs", "Eine
zyklologische Reise" von Anthony Spira.
Vervollständigt wird der
Band durch den Nachweis der Künstleranmerkungen, eine Auflistung der ausgestellten
Werke, sowie eine Biografie mit Angabe sämtlicher Einzelausstellungen.
Ein gelungener Band, der Einblicke in eine Welt voller alltäglicher Wunder ermöglicht.
(kre; 03/2003)
Iwona Blazwick,
Anthony Spira (Hrsg.): "Rodney Graham"
Hatje
Cantz, 2003. 120 Seiten, 163 Abbildungen.
ISBN 3-7757-1284-4.
ca.
EUR 20,-.
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