Belinda Rodik: "Benvenuto Cellini"
Ein Leben zwischen Intrigen und Mord, Dämonenbeschwörung und verbotener Lust
Spätestens seit dem so genannten Raub
der Saliera aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum sollte der Renaissance-Künstler
Benvenuto Cellini (1500-1571), Zeitgenosse und Freund des berühmten
Michelangelo
Buonarroti (1475-1564), auch einer breiteren Öffentlichkeit ein Begriff
sein. Und wer sich nun, aus erweckter Neugierde, zu dieser wahrlich abenteuerlichen
Figur des Benvenuto Cellini auf vergnügliche Weise vertiefen möchte, dem ist
in Gestalt des zu besprechenden Buches eine optimale Gelegenheit offeriert.
Cellinis Vita, jegliche kurze Internetrecherche deutet dies gleich an, verspricht
höchste Spannung, zumal er nicht nur ein begnadeter Künstler, sondern überdies
ein Haudegen und Heißsporn war, welcher Zeit seines Lebens in höchsten Kreisen
verkehrte, weil mitunter in der Gunst hoher Herrschaften, so des Medici und
späteren
Papstes
Clemens VII. stand, zeitweilig durch den französischen König Franz I. protegiert
wurde, ob dieser prominenten Kontakte folglich die nicht so selten kriminellen
Ränkespiele der Mächtigen nicht nur hautnah miterlebte, sondern selbst darin
verstrickt war, was sein Privatleben betraf, eben nicht ganz regulären und schon
gar nicht recht tugendlichen sexuellen Praktiken frönte, sich durch seine chronische
Unbeherrschtheit allen Orts Feinde machte und bei aller gerechten Empörung über
unlautere Praktiken seines Umfelds allerdings auch selbst vor schlimmsten Ruchlosigkeiten,
ja sogar vor Mord- und Totschlag keineswegs zurückscheute. War er doch von gar
jähzornigem Naturell, dieser Benvenuto Cellini. Zuerst zuschlagen, dann erst
denken - so und nicht anders war es bei Cellini die Manier. Dass er zudem in
aufregenden Zeiten lebte, im Jahre 1527 als dem Papst getreuer Soldat die Plünderung
Roms ("Sacco di Roma") durch deutsche und spanische Truppen erfuhr, setzt der
spannenden Handlung die Krone auf.
Welch Handlungsstoff! Ein lohnender Gegenstand für jeden
Romancier ist also
dieser
Cellini, und Belinda Rodik schöpft nicht nur aus dem sich darbietenden
Vollen eines aufreizenden Künstlerlebens, sie macht auch Volles daraus. Cellini
ist nun, bei aller Hochachtung vor seinem genialen Kunstschaffen, nicht
unbedingt ein Vorkämpfer für Recht, Sitte und Anstand. Und wie sympathisch kann
denn überhaupt ein Herr und Gebieter sein, der seine Magd bzw. seine Mägde mit
traurigem Regelmaß sexuell benutzt und, nachdem er solcherart zumindest eine von
ihnen geschwängert hat, gleich nach der Geburt eines Kindes des Hauses verweist,
da ihm Kindergeschrei unerträglich ist? Überdies ein Mann, für den Frauen
Putzlappen und Huren in Personalunion sind, und sonst nichts, weil er sie
ansonsten zutiefst verachtet, zumal sie ihm, der schöne Lustknaben noch allemal
einem jeden Weib vorzieht, im Grunde genommen in jeder Hinsicht langweilig und
zuwider sind. Wie soll die Autorin zu einem Kerl dieses Naturells stehen - als
denkende und bewusst seiende Frau? Rodik nimmt die Herausforderung zwanglos an
und meistert sie bravourös. Sie verurteilt Cellini nicht, sondern lässt sich
kompromisslos auf sein wüstes Leben ein. Nicht ein Tröpfchen Moralinsäure
verunziert auch nur eine einzige Zeile in diesem Konvolut heißer
Leselandschaften. In einer Szene setzt der Papst den verbrecherischen Cellini ob
seiner Genialität und zu dessen Genugtuung als Ausnahmekünstler über das
weltliche Gesetz - und so ist es eben, und so muss es sein. Rodik vermittelt dem
Leser an dieser Stelle das Triumphgefühl eines Benvenuto Cellini im Vollgefühl
seiner Auserwähltheit, und der Leser freut sich mit dem Auserwählten. Heißa! Das
ist noch mal gut gegangen. Die Gerechtigkeit hat gesiegt.
Obgleich
der Roman nicht in der Ich-Form erzählt ist, handelt es sich doch um eine
hautnahe Erzählung von höchster Intimität. Keine Szene ohne Cellini, welcher von
der ersten bis zur letzten Zeile der absolute Mittelpunkt des Geschehnisses ist.
Alles um ihn ist Staffage; in deren Mitte die pure Intensität - Cellini. Seine
ausgeprägte Egozentrik harmoniert mit Stil und Sprache der Autorin, welche sich
einzig auf seine Person fokussiert. Niemals geht Rodik zu ihrem Helden auf
Distanz, hadert mit seinem Charakter, womit vielleicht dessen moralische
Verworfenheit deutlich werden könnte. Nein, denn dies ist nicht gewollt. Des
Lesers Identifikation mit Cellini ist dann auch überwältigend. Dieser Mann ist
ein Wüstling, seine Wesenszüge sind gelinde gesagt zweifelhaft, in der Tat
katastrophal, wenn nicht sogar hassenswert, doch ist er genial und immerhin, er
ist ein ganzer Kerl: derb, zupackend, ein Typ mit breiten Schultern und harten
Fäusten, einer der nicht lange fackelt, der Frauen verachtet und (gerade
deswegen?) schmachtend macht, barbarisch, zugleich aber auch feinsinnig, bei
aller ungehobelten Grobheit doch höchst kultiviert und intellektuell. Ein
Prachtkerl!
Rodik ist ihrem Cellini weder Herrin noch Richterin,
sie ist ihm in einem gewissen Sinne eine treue Magd, weicht nicht von seiner
Seite, verflucht über den Schimpf seiner Worte mal selbst noch ihr eigenes
Geschlecht, verwirft jeden Vorbehalt ob etwaiger Bedenken zur ruchlosen
Vorbildwirkung, ist kaum politisch und nicht die Spur korrekt - Cellini darf
ganz Cellini sein. Rodik erreicht damit zweierlei: Ein annähernd authentisches
Bild einer anarchischen Vita, eingebettet in einen rauschhaften Handlungsfluss,
dessen hoch gewuchtete Dramatik an keiner Stelle gebricht oder abfällt. Fürwahr,
es ist ins Wort gesetzte Atemlosigkeit - leidenschaftliche Erzählkunst, eines
Cellini würdig. Benvenuto Cellini war ein historisches und ist nunmehr ein
literarisches Dasein, jenseits von Gut und Böse, die Erzählung seines Lebens ist
bei Rodik ein dionysisches Spiel in Gefilden verbotener Lust - obgleich im
Geiste apollinischer Klarheit, ebenso streng wie nüchtern dargelegt. Ein
teuflisches Vergnügen!
(Harald Schulz; 02/2006)
Belinda
Rodik: "Benvenuto Cellini"
dtv, 2005. 400 Seiten.
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Leseprobe:
Florenz
im Jahre des Herrn 1558
"E
vivo!"
Hut mit Feder, Mantel und Degen flogen gleichsam mit ihm selbst in die
Werkstatt hinein. Der Hut zerfetzt, die Feder geknickt und der Mantel zerrissen.
Der Bart zersaust, die Haare wirr und starr vor Dreck, getrocknetes Blut
verkrustete seine Mundwinkel und Spinnweben klebten auf seinem Wams.
"E vivo!
Ich lebe noch!", brüllte er erneut aus Leibeskräften.
"Ein Wunder ist
geschehen", flüsterte Mario, bekreuzigte sich dabei gottergeben, erleichtert und
glückselig zugleich, während er vom Tisch aufsprang. Ein filigraner Goldring,
eigentlich für die Contessa bestimmt, entglitt seinen Händen, rollte über den
Tisch und über den Rand desselben und verlor sich in der Dunkelheit in dem
ausgelegten Stroh zu seinen Füßen.
Beim Anblick des Meisters vergaß Mario
seine Arbeit mit einem Schlag, den Ring ebenso, und stürzte hinkend zu seinem
Meister.
Cellini stieß ihn unsanft von sich und polterte: "Bestie! Ist das
die hinterhältige Art, deinen Herrn zu begrüßen? Deinen Herrn, der dich füttert,
dir Kleidung gibt, dich über alles liebt!?"
Mario sank auf die Knie und
umklammerte weinend die Beine Cellinis. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, ihn
lebend wieder zu sehen. Das aufbrausende Temperament, das dem Meister zu eigen
war, noch einmal mit aller Wucht zu spüren und seine geliebte, sehr laute Stimme
noch einmal zu hören. Und genau dieses Empfinden brach aus ihm heraus. "O
Meister - ich dachte, ich würde Euch nie wieder sehen!"
Marios Schluchzen
wurde von den Beinlingen Cellinis gedämpft und drang nur leise an dessen Ohr.
Dennoch berührten ihn die Worte zutiefst und so stieß er noch einmal in nahezu
animalischer Intensität aus: "E vivo!", und fügte gleich darauf, etwas leiser
und in bitterem Ton, hinzu: "Wenn auch nicht mehr lange."
Marios
tränenreiche Erleichterung verflog augenblicklich. Er lockerte vor Schreck die
Umklammerung, setzte sich auf den Hosenboden und starrte zu seinem Meister
hinauf.
"Wie meint Ihr das?"
Seine Stimme war nicht mehr als ein Hauch in
das schummrige Licht der Werkstatt hinein, dennoch vermochten seine Worte
Cellini zu besänftigen und so sagte dieser lächelnd: "Erhebe dich, mein Sohn.
Mein Augenlicht. Und bring mir zu essen. Danach werde ich dir alles
berichten."
Mario stolperte in die Küche, brauchte nur die Dauer von zwei
Ave-Maria, um Wein, Brot, Käse, Oliven, Pastete und kaltes Gebratenes zu holen
und das karge Mahl vor dem Meister anzurichten. Er setzte sich zu ihm an die
Seite, in seiner Haltung einem treuen Hund nicht unähnlich, was Cellini mit
Wohlwollen bemerkte, bevor er den Krug ansetzte und gierig daraus trank. Das
flüssige Gold rann wohltuend seine ausgetrocknete Kehle hinab, brachte seine
immense Erregung zur Ruhe, und so konnte er erleichtert einen herzhaften Rülpser
tun und dann zu seiner Erzählung ansetzen, die ihm so sehr auf der Seele
brannte.
"Diese Schurken! Diese Mörder haben mich zum Tode verurteilt.
Mich! Den größten Goldschmied, den besten Künstler aller Zeiten und aller
Welten! Mich - Cellini!«"
Mario zuckte zusammen.
"Warum seid Ihr dann
hier?", entfuhr es ihm unwillkürlich.
Cellini versetzte Mario eine schallende
Ohrfeige und ließ sich lediglich durch den entsetzten Ausdruck in den Augen
seines Lehrlings besänftigen.
Mit einem schnaubenden Geräusch ließ er von ihm ab, brach die Brotkugel und
biss dann in einen Hühnerschenkel. Das Fett troff in seinen Bart, er spülte
einen weiteren Bissen mit noch mehr Wein hinab, rülpste erneut, lehnte sich
zurück und hob dann zu seinem Bericht an: "Nun ist es also geschehen. Die Verschwörer
haben es endlich geschafft. Mit bösen Worten und Verleumdungen haben sie das
zu Ende gebracht, was weder
Gift
noch schlecht geführte Degen vermochten: Sie werden mir den Garaus machen. Mich
umbringen. Henken? Oder köpfen? Ich weiß es nicht."
"Wer sind sie?"
"Du Ausgeburt an
unübertroffener Dummheit! Bist du nicht schon lange genug bei mir, um zu wissen,
wer die Feinde deines Meisters sind? Nein? Nein? Sprich!"
Cellinis Stimme
schwoll zu einem Donnern an und brachte Mario dazu, mit einem Schlag von der
Fragerei abzulassen. Dabei hätte er so gerne etwas über den grausamen Kerker
gehört, in dem der Meister in den vergangenen Wochen gedarbt hatte. Hatten doch
die Goldschmiede in der Strada Julia hinter vorgehaltener Hand davon berichtet.
Und Donna Camilla hatte sich eilends und kopfschüttelnd bekreuzigt, als die
Sprache auf den inhaftierten Meister gekommen war. Was hatte ihn, Mario, seit
diesen belauschten Gesprächen nach einem Bericht gedürstet! Und nun war der
Meister wieder da. Gott sei’s gedankt.
Dennoch hätte der Meister mehr über seine Kerkerzeit erzählen können, statt
ihn zu schelten. Schließlich hatte er große Angst gehabt, so allein als Lehrling
in der Werkstatt. Die Angst vor Plünderern oder Dieben in der Nacht, da er doch
völlig allein die Werkstatt und mit ihr die kostbarsten Edelsteine und wertvolles
Gold hütete. Dazu
kam die Angst, mit dem Tod des Meisters kein Auskommen, kein Dach über dem Kopf
mehr zu haben. Und alles, was er dafür erntete, waren eine Schelle und rüde
Worte?
Aber hatte der Meister nicht gesagt, dass sie ihn zum Tode
verurteilt hatten? Der erneute Schreck, der Mario nun in die Glieder fuhr, war
wie von tausend feinen Nadeln ausgeführt und machte sein Herz rasen. Noch war er
nicht in Sicherheit. Und der Meister ebenso wenig. Was würde aus ihnen werden?
Die Anklage, derer sich der Meister möglicherweise tatsächlich schuldig gemacht
hatte, war zu groß, zu enorm, zu widerwärtig, als dass sie einfach fallen
gelassen werden konnte. Er würde sterben. Und er würde auch ihn mit seinem Tod
ins Elend reißen. Was für eine düstere Aussicht.
Und so erschrak er
plötzlich selbst über seine eigenen Worte, die er so unbedacht ausgesprochen
hatte. Er senkte rasch den Kopf und murmelte: "Doch, Meister, ich weiß um Eure
Feinde."
"Na also", brummte Cellini. Es war ein Elend mit diesem Jungen.
Nicht nur, dass er hässlich war und obendrein noch hinkte. Nein, er war darüber
hinaus kreuzdumm. Cellini bedachte Mario mit einem düsteren Blick, nahm von den
Oliven, spuckte die Kerne in seine Hand, warf sie ins Feuer des Kamins und
starrte mit finsterer Miene in die Flammen.
Zum Tode
verurteilt.
"Sie haben mir Zeit gegeben, meine Dinge zu ordnen. Deshalb
bin ich hier", sprach er leise, kaum hörbar, nach einer geraumen Weile, in der
Mario fast nicht gewagt hatte zu atmen.
Cellini sah die Tränen nicht, die
Mario aus den Augen quollen. Er konzentrierte sich auf die Farben des
flackernden Feuers. Welche Dinge gab es noch zu ordnen? Wie lange hatte er Zeit?
Das hatten sie nicht gesagt. Kein Wort über die Zeit. Und wie viele Tage
benötigte er, um zu ordnen, was zu ordnen war?
Funken stoben auf. Ein
Holzscheit brach krachend auseinander und richtete sich auf wie ein Fingerzeig
Gottes.
Cellini starrte auf das Holzscheit, ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Plötzliche Klarheit überkam ihn. Sie dachten, sie hätten ihn gebrochen. Aber dem
war nicht so. Und nun wusste er auch, welche Dinge es zu ordnen galt. Jene
Dinge, die seine Feinde betrafen. Und es gab einen Weg, der der schmerzhafteste
für sie sein würde.
Nichts hielt ihn mehr auf seinem Stuhl. Ungestüm sprang
Cellini auf, sein Stuhl polterte nach hinten, Mario zuckte zusammen, aber die
Werkstatt wirkte mit einem Schlag heller und sicherer als
zuvor.
"Schnell! Hol Papier, Feder und Tinte!"
Mario starrte ihn
an.
"Glotz nicht so dumm - du Esel. Bring, was ich befohlen
habe!"
Mario rutschte von seinem Hocker, hinkte eilends hinaus, den Kopf
schildkrötenhaft zwischen den Schultern eingezogen, und kam, so schnell sein
krankes Bein es eben zuließ, mit dem Gewünschten wieder. Beflissen, eilfertig
und über alle Maßen ehrerbietig stellte er alles bereit, während Cellini den
Stuhl wieder aufrichtete, sich niederließ und geradezu gierig nach der Feder
griff, überprüfte, ob sie auch gut angespitzt war, spitz genug, die Worte zu
Papier zu bringen, die seinen Feinden den Todesstoß versetzen würden. Was er
sonst mit dem Degen zu erledigen pflegte, würde nun die Feder vollbringen. Er
grunzte befriedigt, begann zu schreiben, bemerkte jedoch, dass Mario noch hinter
ihm stand und über seine Schulter lugte.
"Geh! Lass mich allein. Ich muss
meine Gedanken ordnen."
Mario huschte, einem
Schatten gleich, zur Tür, legte
die Hand auf die Klinke, hielt inne, bedachte, dass er weit genug vom Meister
entfernt stand, um zumindest einer Schelle zu entgehen, und haspelte, nicht ganz
frei von der Befürchtung, der Meister könnte den Stuhl nach ihm werfen:
"Schreibt Ihr einen Brief?"
Cellini lächelte selten milde.
"Nein,
etwas Besseres. Etwas weit Wirksameres und Besseres."