Max Gallo: "Robespierre"
Versuch
einer Bestechung
Das 18. Jahrhundert hatte der Anfang 2006 verstorbene Historiker
Reinhard Koselleck einst als das französische Jahrhundert
bezeichnet. Zu dieser Einschätzung trugen neben der
Entwicklung einer politischen Philosophie vor allem die Ereignisse rund
um die Französische Revolution bei. Doch selbst dieser heute
noch so präsente Begriff ist alles andere als einfach zu
fassen. Die Französische Revolution mit dem 14. Juli und dem
Sturm auf die Bastille gleichzusetzen ist zwar weit verbreitet, aber
sicherlich unzutreffend. Diese begann vielmehr irgendwann 1788 und
wurde am 15. September 1799 durch Napoleon für beendet
erklärt.
Ein bewährter Weg zum Verständnis einer Epoche oder
eines geschichtlichen Ereignisses ist der über Biografien der
Protagonisten. Doch damit ist der deutschsprachige Buchmarkt derzeit
keineswegs üppig ausgestattet. Es erschien zwar vor kurzem
eine interessante Biografie zu
Chamfort,
auch sind Sieyès sowie
Napoleon vertreten, doch es fehlten
Werke zu Mirabeau, Talleyrand, Danton und Robespierre. Da löst
das Erscheinen einer Biografie Robespierres große Freude aus,
zumal der Autor Max Gallo mit einem sehr engagierten Werk zu dem
Justizskandal um den Chevalier de La Barre in guter Erinnerung ist und
darin die Fahne des Liberalismus und der Menschenrechte hochhielt.
Das vorliegende Buch erschien 1968 erstmalig in französischer
Sprache und 1989 in erster deutschsprachiger Ausgabe bei Klett-Cotta;
es handelt sich also gewissermaßen um einen Klassiker.
Handwerklich entspricht es dem sehr hohen Hausstandard bei Klett-Cotta.
Im Anhang befinden sich eine sehr gute und für den
deutschsprachigen Markt bearbeitete Bibliografie, ein Nachwort der
Herausgeber sowie ein Personenregister, das auch die beiden
Gruppierungen der Girondisten und der Jakobiner beinhaltet. Ein
Sachregister, in das diese beiden Begriffe eigentlich nebst anderen
gehören, fehlt bedauerlicherweise. Ein sehr seltenes Detail
sei noch hervorgehoben, das den Leser positiv einzustimmen vermag: Die
Kapitel sind mit zwei Datumsangaben untertitelt, die den in dem
folgenden Abschnitt behandelten Zeitraum eingrenzen und das Geschehen
zeitlich einzuordnen helfen.
Maximilien François Marie Isidore de Robespierre, geboren am
6. Mai 1758 im nordfranzösischen Arras, ist eine der
Schlüsselfiguren der Französischen Revolution. Mit
einem enormen Ehrgeiz ausgestattet wurde er Jurist, entfaltete aber
auch ein überdurchschnittliches Talent sich Feinde zu
schaffen. Im Juni 1789 zog er als Vertreter des Dritten Standes in die
Nationalversammlung ein und entwickelte sich schnell zu einem der
radikalen Vordenker einer Zeit, die als "terreur" in die Geschichte
einging. Die Terrorherrschaft der
Jakobiner endete am 28. Juli 1794 mit
der Hinrichtung Robespierres, des Unbestechlichen, wie er genannt
wurde, und einer Reihe seiner Mitterroristen. In knapp 14 Monaten
wurden in Paris etwa 16.000 Menschen mit der Guillotine
getötet sowie 30.000 weitere in Lyon und der
Vendée, wie man aus dem Nachwort der Herausgeber
erfährt; doch darauf wird noch zurückzukommen sein.
Das Buch selbst bewegt sich sehr dicht an Robespierre und setzt schon
ein solides Wissen um die Zusammenhänge der
Französischen Revolution voraus. Andere Akteure wie Mirabeau,
Danton und Talleyrand werden nur insofern vorgestellt, als sie zu
Robespierre in Verbindung standen. Selbst der Caligula Saint Just
bleibt erstaunlich blass.
Gegen Ende erreicht das Buch eine unangenehme Nähe zu dem
"Menschen", der im Begriff ist "zu scheitern". Es ist von einer
richtigen Todessehnsucht Robespierres zu lesen, der auch für
die Revolution bereit gewesen wäre zu sterben, liest man. So
ist sogar von einer "Aufopferung seines Lebens" die Rede (S. 254). Das
ist für eine Biografie eines Robespierre unschicklich, findet
der Rezensent.
Robespierre wird von der Nachwelt je nach Blickwinkel als politischer
Visionär gehandelt, als Verbrecher oder irgendwo dazwischen.
Da muss jeder seinen eigenen Maßstab anlegen, doch der
Maßstab des Rezensenten klassifiziert ihn als
verantwortungslosen, wahrscheinlich hochgradig pathologischen
Verbrecher. Dafür kann es keine Rechtfertigung geben, kein
Psychologisieren zugunsten eines "Maximiliens", der doch eine schwere
Kindheit hatte. Bei der Schilderung von Kindheit oder Jugend mag ein
intimes "Maximilien" noch statthaft sein, doch einen unnahbaren und
eiskalten Menschenfresser in dieser Häufigkeit "Maximilien" zu
nennen, wirkt bestenfalls befremdend.
Robespierre betrieb nicht nur in vorindustrielle Zeiten eine
durchrationalisierte Hinrichtungsmaschinerie, er organisierte auch die
parlamentarischen und prozessualen Rahmenbedingungen, sodass kein
Beklagter oder sagen wir besser Bezichtigter eine Chance hatte. Die
elementarsten Grundsätze der Rechtswissenschaften opferte er
seinem Wahn. Es kam sogar vor, dass während eines Verfahrens
das Parlament noch schnell ein Gesetz verabschiedete, das den
Angeklagten formaljuristisch sauber auf das Schafott brachte. Doch der
heldenhafte Maximilien wählte für sich selbst die
Abkürzung und unternahm einen Selbstmordversuch, der
allerdings scheiterte, da er sich lediglich den Kiefer zerschoss.
Mit dieser Szene - "Robespierre liegt wenige Stunden vor seinem Tod auf
einem Tisch im Audienzsaal des Wohlfahrtsausschusses, und ein Soldat
legt ihm ein Holzkästchen unter den Kopf, Robespierre wischt
sich mit einem weißen Ledersäckchen vorsichtig das
Blut von den Lippen." - beginnt das Buch. Doch diese Szene ist auch der
Anfang der 1935 erschienen Robespierre-Biografie von Friedrich Sieburg,
die der Rezensent für deutlich sachlicher hält. Bei
Sieburg ist der Audienzsaal ein Vorzimmer und der eigentliche
Verwendungszweck des Holzkästleins ein anderer, aber das
weiße Ledersäckchen ist identisch. Dies ist eine
reine Feststellung. Sieburgs Buch findet man übrigens in der
Bibliografie.
Fazit
Nachdem ein Buch ausgelesen ist, lässt sich die Stoffsammlung
zumeist in ein, zwei Stunden in Form bringen, und die Rezension kann
veröffentlicht werden. In dem vorliegenden Falle dauerte das
Ganze zwei Wochen, in denen ein rundes Dutzend verschiedener Versionen
entstand. Doch es wollte sich beim besten Willen kein positives
Gesamtbild einstellen.
Eine neue Robespierre-Biografie hätte die Chance gehabt, ein
Porträt dieser Zeit und der Person zu zeichnen, die anhand
einer der Hauptakteure der Französischen Revolution dieses
schwierige Stück Geschichte erklärt. Stattdessen
präsentierte uns Klett-Cotta eine psychologisierende und
verharmlosende Biografie, die im Rahmen eines wesentlich umfassenderen
Angebots schon deutlich besser aufgehoben wäre. Dass den
Herausgebern selbst dieses Buch nicht geheuer war, kann man am Nachwort
erkennen, in dem Robespierre erstmalig mit der Zahl seiner Opfer in
Verbindung gebracht und wohl der Versuch unternommen wurde, die
unterschiedliche Rezeption Robespierres aufzuzeigen.
Als nicht zufriedenstellend beantwortet kann generell die Frage gelten,
ob Robespierre den Rousseau
nur zu Ende dachte oder diesen schlicht
pervertierte - der Rezensent tippt vorsichtig auf Zweiteres, obwohl die
meisten Autoren Ersteres favorisieren.
Das Schlusswort soll der französische Chef-Pamphletist haben:
"In Frankreich gibt es keine Historiker, sondern nur Pamphletisten."
(Jean Orieux in seiner Talleyrand-Biografie)
(Klaus Prinz; 04/2007)
Max
Gallo: "Robespierre"
Mit einem Nachwort Peter Schöttler und Daniel
Schönpflug.
(Originaltitel "L‘homme Robespierre. Histoire d‘une
solitude")
Aus dem Französischen von Pierre Bertaux und Bernd Witte.
Klett-Cotta, 2007. 288 Seiten.
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Max Gallo ist einem breiteren Publikum vor allem als Romancier und ehemaliger Pressesprecher Mitterrands bekannt. Der gelernte Historiker hat sich mit zahlreichen Sachbüchern zu historischen Themen einen Namen gemacht.