Joachim Ringelnatz: "Sämtliche Erzählungen und Gedichte"
Bücher, die man einfach haben muss
Wer Joachim Ringelnatz lesen will,
sollte auch etwas über das Leben des Autors wissen. Joachim Ringelnatz, der
eigentlich Hans Bötticher heißt, wird 1883 in Leipzig geboren. Sein Vater ist
der Jugendschriftsteller Georg Bötticher.
Im Alter von 14 Jahren heuert
Ringelnatz als Schiffjunge bei der Marine an, wo er bis 1905 als Schiffsjunge
und Matrose arbeitet. In dieser Zeit beginnt er auch zu schreiben. Zurück am
Festland, absolviert er eine kaufmännische Lehre, arbeitet als Hausmeister und
in einem Reisebüro. Er trägt Gedichte im Künstlerlokal "Simplicissimus" vor und
erwirbt einen Tabakladen. Seine Karriere als Trafikant dauert nicht lange. Nach
nur zehn Monaten schließt er seinen Laden.
Ein Teil seiner Werke wird zwischen 1912 und 1914 erstmals veröffentlicht; unter
ihnen auch sein bekanntes Gedicht "Die Schnupftabakdose". Da er von dem, was
seine Gedichte und Erzählungen einbringen, nicht leben kann, verdient er sich
seinen Lebensunterhalt als Bibliothekar, Fremdenführer und Schaufensterdekorateur.
1914 wird er eingezogen und leistet bis 1918
seinen Kriegsdienst bei der Marine. 1919, nach Kriegsende, lässt er seinen Namen
von Hans Bötticher in Joachim Ringelnatz ändern. Kurz darauf werden weitere
Texte von ihm veröffentlicht. Er erhält die Gelegenheit zu mehreren Tourneen
durch Deutschland. Bei seinen Auftritten kann er eigene Gedichte und Erzählungen
vortragen. In den Jahren 1922 bis 1932 werden weitere Werke veröffentlicht.
Darunter "Die Woge", "Mein Leben im Krieg" und "Die Flasche". 1933 erhält er von
den Nazis Auftrittsverbot. Im Jahr 1934 stirbt Joachim Ringelnatz verarmt an
einer Lungenkrankheit. Auf seinen Wunsch hin wird er in Berlin zu den Klängen
des Matrosenliedes "La Paloma" zu Grabe getragen.
Seine Werk umfasst unzählige
Gedichte
und Erzählungen, von denen vor allem die ernsthaften und traurigen leider immer
mehr in Vergessenheit geraten. So die Geschichte von der Zigeunerin, die von
allen verspottet, ausgestoßen und getreten wird, und die doch in Wirklichkeit
niemand anders ist als ein verkleideter, eleganter junger Herr, der einen Maskenball
besucht hat.
Bekannt hingegen ist "Der
Bumerang":
War einmal ein Bumerang
War ein weniges zu lang
Bumerang
flog ein Stück
Aber kam nicht mehr zurück
Publikum noch
stundenlang
Wartete auf Bumerang.
Das Besondere am Werk von Joachim
Ringelnatz ist nicht das Lustige und nicht das Ernsthafte. Es ist nicht die
Geschichte von der Zigeunerin, oder die von der wilden Miss vom Ohio, die ihn zu
einem besonderen Autor macht, sondern seine Vielschichtigkeit.
In seinem
Werk findet man Gedichte und Erzählungen zu jeder Situation und zu jedem Gefühl.
Ringelnatz kann einen aufheitern und zum Lachen bringen. Er zeigt aber auch die
andere Seite des Lebens auf. Die traurige Seite, jene Seite, auf der eine
Zigeunerin gequält wird. Aber Ringelnatz erzählt uns auch wunderliche
Geschichten und Träume. So zum Beispiel im Ostermärchen, in dem der Leser mit
dem kleinen Fritz auf eine Traumreise gehen darf und mit ihm den Meister Lampe
kennen lernt.
Die Art und Weise, wie Ringelnatz erzählt, hält den Leser
bei der Stange. Denn es bedarf schon einer großen Überwindung, das Buch aus der
Hand zu legen, bevor man eine Geschichte oder ein Gedicht beendet hat. Aber
ebensowenig ist es möglich, Ringelnatz in einem Zug zu lesen. Freilich könnte
man sich anstrengen und würde über einige seiner Gedichte lachen, wenn man sie
schnell nebenbei liest. Aber dann würde einem etwas Besonderes entgehen. Nämlich
der besondere Zauber, der von seiner liebvoll bösartigen Art und Weise zu
schreiben ausgeht. Jener Zauber, der uns mit dem Autor eine längst vergangene
und trotzdem noch allgegenwärtige Gesellschaft und Zeit bereisen
lässt.
Die Ausgabe des Diogenes-Verlages entspricht mit ihrer liebevollen Gestaltung
dem Bild, das man sich beim Lesen vom Autor macht. Was mir besonders gut gefällt,
ist die kleine Biografie am Ende des Bandes "Sämtliche Erzählungen", in der
Alfred Polgar über Ringelnatz schreibt, er habe den Stein der
Narren entdeckt,
der dem der Weisen zum Verwechseln ähnlich sieht. Es ist überraschend, wie gut
dieser Satz Joachim Ringelnatz beschreibt und wie wenig er diesem Menschen entspricht.
Joachim Ringelnatz hatte meiner Meinung nach
nicht den Stein der Weisen entdeckt. Vielmehr hat er den Stein der Weisen
umgedreht und seine lustige Seite erkannt. Seine Texte lassen uns Einblick
nehmen in seine Zeit. Wir dürfen mit ihm lachen, weinen und werden getröstet,
damit wir wieder lachen und weinen können. Joachim Ringelnatz' Werk sollte in
keinem Bücherschrank fehlen. Es ist das Werk eines Clowns mit Tiefgang.
(Anna Mehlmann; 12/2003)
Joachim Ringelnatz: "Sämtliche
Erzählungen und Gedichte"
Diogenes, 2003. 1232 Seiten.
ISBN
3-257-06358-X.
ca. EUR 29,90.
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Die Bände sind auch einzeln erhältlich:
"Sämtliche Erzählungen"
Zur
Rezension
"Sämtliche Gedichte"
Die
Ausgabe bringt die Texte und Illustrationen der Erstdrucke sowie Bilder und
Manuskripte aus dem Nachlass. Mit einem Register der Gedichtüberschriften und
-anfänge.
Diogenes, 2003. 864
Seiten.
ISBN 3-257-06145-5.
ca. EUR 17,90.
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"Das Gesamtwerk"
Band 1: Gedichte 1, Band 2: Gedichte 2, Band 3: Dramen, Band 4:
Erzählungen, Band 5: Vermischte Prosa, Band 6: Mein Leben bis zum Kriege, Band
7: Als Mariner im Krieg.
Herausgegeben von Walter Pape.
Diogenes,
2004. Sieben Bände im Schuber; ca. 3000 Seiten.
ISBN 3-257-06441-1.
ca.
EUR 49,-.
Sieben auf einen Streich
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