Rüdiger Achenbach, Hartmut Kriege: "Von Savonarola bis Robespierre"
Religion und Aufklärung im Widerstreit
Glaube
oder Vernunft
Das Thema des vorliegendes Buches ist die Spannung zwischen
Scheiterhaufen und Thron. Es stellt sich dabei heraus, dass es
eigentlich die Ketzer sind, welche die Welt zum Fortschritt hin
verändern - gegen den Widerstand der fundamentalistischen
Systemtraditionalisten. Das sind die eigentlichen Spießer,
die ideologisch vernagelten Zukunftsfeinde. Allerdings trifft der
Fortschritt auch bei intellektuellen Skeptikern auf Widerstand. Und
somit ergibt sich ein pluralistisch-dialektisch-zynisches
Verhältnis zwischen Ritualgläubigen und
Systemkritikern. Oh lasset die Kindlein am Kelch vorübergehn -
denn Eurer ist die Therapie! So konsequent könnte man das
Chaos der Glaubensverwirrungen benennen. Die Frage muss in diesem
Zusammenhang doch gestattet sein: wie lange wollen / sollen wir noch
Toleranz üben gegenüber mutwilliger
fanatisch-bornierter Vergeudung menschlicher Vernunft?!
Das Buch stellt nun kirchenkonforme und ketzerische, um nicht zu sagen
revolutionäre Karrieren vor - ohne pathetisch zu werden - d.h.
die historische Objektivität dominiert (leider!) die
Ideologiekritik. Ein Kapitel ist z.B. Ulrich von Hutten (1488-1523)
gewidmet, welcher die relativ bekannten Zeilen an seinen Freund
Willibald Pirckheimer geschrieben hatte: "O Jahrhundert! O
Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben. Die Studien blühen,
die Geister regen sich. Horch auf, nimm den Strick Barbarei, deine
Vertreibung steht bevor." Hutten gilt als einer der bedeutendsten
Schriftsteller des deutschen Humanismus, für den der Grundsatz
galt: "Nie war ich im Geiste irgend jemand untertan." Heute wissen wir
auch, dass die ideologische Knebelung des Geistes ein wesentlicher
Ausdruck von Barbarei ist.
Es gibt Kapitel über
Machiavelli,
Melanchthon und Pierre
Bayle, der sich zumindest auch ein ethisches Leben ohne Religion
vorstellen konnte. Dabei wollte er Glauben und Vernunft nebeneinander
bestehen lassen - beide könnten sich gegenseitig nichts
anhaben. Ganz aktuell erscheinen Bayles Überlegungen, nach
denen der Staat alle Religionsgemeinschaften zulassen müsse:
"Einschreiten in innere Angelegenheiten der Religionen dürfe
ein Staat nur dann, wenn die öffentliche Ordnung durch die
Aktivitäten der Glaubensgemeinschaften bedroht sei" (zit. Nach
Achenbach / Kriege). Wäre da nicht allmählich die
staatliche Aufmerksamkeit zu richten auf die zunehmenden
Auseinandersetzungen zwischen (westlichem) Christentum und Islam /
Islamismus?! Die Gefährdung des Friedens in der Welt durch
neuerliche, moderne Religionskriege kann eigentlich nicht hingenommen
werden.
Das vorliegende Buch illustriert jedenfalls das schwierige
Verhältnis zwischen
Philosophie / Vernunft und
Religion /
Glaube - manchmal geht der Riss durch einzelne Personen, sprich
komplexe
Charaktere. Das verdeutlicht insofern wieder einmal, welche
unnötige Bürde die Verordnung der Metaphysik
für einzelne Menschen und für die Gattung Mensch
bedeutet. Andererseits leistet der vorliegende Band keinen aktiven
Beitrag zur Versöhnung der Gegensätze, dadurch dass
er sich weigert, Position zu beziehen - die Hingabe, ja Auslieferung
von Menschen an die Religion als subjektive Schwäche der
Vernunft einzugestehen und die Objektivität der Weltvernunft
als Existenzaxiom zu manifestieren. Man beklagt so gerne die sogenannte
Verletzung religiöser Gefühle - wie steht es aber um
die Beleidigung des freien Vernunftbewusstseins?! Dieser Konflikt ist
hier quasi personalisiert - der Leser sollte konsequenter Position
beziehen als die Autoren.
(KS; 09/2006)
Rüdiger
Achenbach, Hartmut Kriege: "Von Savonarola bis Robespierre"
Artemis & Winkler, 2006. 268 Seiten.
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