Dr. Heiner Gillmeister, Svenja
Doering:
"In bester Gesellschaft: John Pius Boland - Reisetagebuch des
Olympiasiegers aus dem Jahre 1896"
1870 wird John Pius Boland als Sohn eines
Bäckers in Dublin geboren. Studentisch umtriebig, belegt er Jurisprudenz am
angesehenen Christ Church College in Oxford. Danach geht’s an die Londoner Universität.
Um die deutsche Sprache besser zu erlernen, verbringt der junge Ire das Wintersemester1895/96
an der Uni von Bonn. Im Rheinland besteigt er voller Idealismus die Eisenbahn
Richtung Hellas,
um den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit beizuwohnen. Seine Route führt
über München, Wien, den Semmering bis
nach
Triest. Mit dem Dampfer geht es - an Schloss Miramar vorbei - nach Brindisi,
Korfu und schließlich Athen. Dort angekommen macht ihm der Grieche Kasdaglis
ein Angebot. Boland soll am olympischen Tennisturnier teilnehmen, da erst wenige
Spieler genannt haben. John Pius willigt ein - nichtsahnend, dass er kurze Zeit
später Gold für
Irland erringen wird; im Doppel mit seinem deutschen Partner Traun, dem er die
Lorbeeren für den Erfolg überlässt: "(...) die nächsten beiden Sätze gewannen
wir 6:3, 6:3, hauptsächlich durch Trauns Netzarbeit. Das Angriffsspiel überließ
ich ihm völlig und unterstützte ihn lediglich, aber spielte selbst miserabel."
Ein Olympiasieg wie aus dem Märchenbuch, ganz ohne Doping und schweißtreibende
Vorbereitung.
Nach
Irland zurückgekehrt, heiratet Boland, zeugt einen Sohn und fünf Töchter, wird
Parlamentsabgeordneter im britischen Unterhaus und 1918 schließlich von Papst
Benedikt XV. persönlich mit dem Gregoriusorden geehrt: für seine Verdienste zur
Förderung der katholischen Erziehung in Schottland und England. 1958 stirbt er -
wie es sich für einen gläubigen Iren gehört - am 17. März, dem Tag des
Nationalheiligen St. Patrick.
1994 taucht unter mysteriösen Umständen ein
Tagebuch des Dubliner Olympiasiegers auf. Ein anonymer Absender hat es der
British Olympic Association in London geschickt. Es beinhaltet 137
handgeschriebene Seiten aus der Zeit vom 4. Oktober 1895 bis zum 6. Mai 1896.
Boland selbst nannte seinen Bericht "Journal" - anknüpfend an die Tradition der
Reisetagebücher des 18. Jahrhunderts. Der Sporthistoriker Heiner Gillmeister
arbeitet zurzeit an einer kommentierten Gesamtausgabe dieses Diariums. Für
"In bester Gesellschaft: John Pius Boland - Reisetagebuch des Olympiasiegers
aus dem Jahr 1896" hat er vorerst auf 24 Seiten die wichtigsten Eintragungen
des Olympioniken zusammengestellt. Svenja Doering verleiht dem im Format einer
45er-Vinylschallplatte-Hülle aufgelegten Büchlein das sympathische Maß an
Persönlichkeit, indem sie Illustrationen von historischen Fahrscheinen oder
Ansichtskarten einfügt oder mit Fotos des irischen Goldjungen aufwartet.
Besonderes künstlerisches Extra: Ein loses Blatt Pauspapier zeigt Bolands
Originalhandschrift.
Die illustrierte Zusammenfassung von
Gillmeister/Doering als Kinderbuch einzuordnen, wird der Sache nicht ganz
gerecht, zumal der schmale Band von der Aufmachung her durchaus auch auf
Erwachsene anspruchsvoll wirkt sowie vom Schreibstil her gewisse Anforderungen
stellt. Wenngleich nicht ganz so ausgetüftelt, erinnert "In bester
Gesellschaft: John Pius Boland - Reisetagebuch des Olympiasiegers aus dem Jahr
1896" konzeptionell an Nick Bantocks Trilogie "Griffin &
Sabine".
Warum das Buch gerade 2004 erschienen ist, bedarf wohl
keiner tieferen Grübelei: Die Olympischen Sommerspiele fanden wieder in Athen
statt. Für thematische Aufmerksamkeit war durch die Massenmedien ausreichend
gesorgt, was dem Verlag wohl einiges an Werbemitteln sparte. Außerdem mundet der
illustrierte Reisebericht im Schnelldurchlauf durchaus als Aperitif für den
Hauptgang, nämlich die einige Zeilen zuvor erwähnte in Entstehung befindliche
Komplettausgabe. Prost! ... Oder wie die Iren sagen: Slainte!
(lostlobo; 11/2004)
Dr. Heiner Gillmeister, Svenja Doering
(Illustrationen):
"In bester Gesellschaft: John Pius Boland - Reisetagebuch
des Olympiasiegers aus dem Jahre 1896"
luciamedia, 2004. 24 Seiten. (Ab 5
J. bzw. durchaus auch für Erwachsene!)
ISBN 3-9354-2831-6.
ca. EUR 13,80.
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