"Über Literaturkritik" gelesen von Marcel Reich-Ranicki
(Hörbuchrezension)
Marcel
Reich-Ranicki, der "Literaturpapst", wie er oft genannt wird,
veröffentlichte bereits 1970 die in "Über
Literaturkritik" erschienenen Texte als Einführung zu seinem
Buch "Lauter Verrisse". 2002 erschienen diese, um die Passagen
hinsichtlich der Auswahl in "Lauter Verrisse" gekürzt, als
eigenständiges, 80 Seiten umfassendes Buch. Im Mai 2007 nahm
sich die "Random House-Verlagsgruppe" schließlich dieses Essays
an und veröffentlichte ihn auf zwei CDs als
ungekürztes Hörbuch, gelesen vom Autor selbst.
Reich-Ranicki lädt den Hörer hierbei zu einer Reise
quer durch die deutsche Literaturkritik im Verlauf der Zeit ein,
zitiert bekannte Kritiker und deren Kritiker. Schon hier wird deutlich,
dass die Literaturkritik in Deutschland ein besonders schwieriges Thema
ist. So ziemt es sich demnach einerseits schlichtweg nicht, die Werke
Dritter zu kritisieren, denn Kritik ist, so wird es besonders in diesem
Bereich aufgefasst und entspricht dem Gehorsamkeitsdenken der Deutschen
im Verlauf der Zeit, im Grunde stets negativ behaftet. Chancen durch
Kritik werden nicht deutlich oder nicht erkannt, und
schließlich gilt der Kritiker vornehmlich als jemand, der
durch die Beurteilung der Werke Dritter seine eigenen
Unzulänglichkeiten zu verbergen sucht, sind Kritiker doch
oftmals Menschen, die entweder nicht selbst veröffentlichen
oder aber, wohl häufiger anzutreffen, selbst publizieren, aber
nicht genügend anerkannt und gewürdigt werden.
So zeigt sich die Geschichte der deutschen Literaturkritik als
großes Streitthema und als eines, das besonders durch - teils
vermeintliche - Missgunst genährt wird.
Doch der Autor und Sprecher zeigt ebenfalls auf, dass dies nicht die
einzigen Aspekte sind, an denen die Literaturkritik krankt. Vielmehr
lassen wiederkehrend überschwängliche Lobreden wie
"Das beste Buch der letzten zehn Jahre" beispielsweise an der
Seriosität von Kritik zweifeln, aber auch insgesamt ist die
Kritik ein schwierig zu bedienendes Feld. Lobt man zu arg, so wirkt
dies letztlich unseriös, ist man kritisch, so verletzt man
gegebenenfalls (und zumeist) die Gefühle des Autors. Stellt
man seine negativen Anmerkungen deutlich heraus, gilt man als
unhöflich und verletzend, verpackt man selbige in Ironie und
Doppeldeutigkeiten, so erreicht die Kritik nicht mehr jeden Leser. Wie
man es auch angeht, so scheint es, macht man es falsch.
Dennoch spricht sich Reich-Ranicki deutlich für klare Kritiken
aus, die für sich stehen und unabhängig bleiben
können, die ihrerseits Verrisse ertragen können, denn
sonst sei das Feld der Literaturkritik schlicht nicht sinnvoll.
Immerhin hält der Autor außerdem fest: "Aber man
müsste blind sein, um nicht zu sehen, dass alle ihre
Bemühungen ein gemeinsames Fundament haben - und es ist nichts
anderes als die Liebe zur Literatur. Was immer ein Kritiker zu
bemängeln und zu beanstanden hat, wie nachdrücklich
er auch schimpfen mag - er hört nicht auf, sich insgeheim nach
dem Guten zu sehnen."
Diese Ausführungen Reich-Ranickis, die in der vorgetragenen
Form etwa 105 Minuten Laufzeit aufweisen, sind ein mit Sicherheit
informatives und wichtiges Werk zum Thema, weshalb sich die Kenntnis
eben dieses Essays für Literaturinteressierte, und
insbesondere natürlich für Kritiker, empfiehlt.
Einziges Manko des Hörbuches ist allerdings, dass der Autor
selbst es vorträgt. Reich-Ranicki ist teils schwer zu
verstehen und bei aller gekonnten Betonung - immerhin liest er seinen
eigenen Text ein - machen die holpernde Aussprache, das Poltern der
Stimme und das stets allzu hörbare Einatmen das Hören
zu einer ziemlich anstrengenden Unternehmung. Besser wäre
gewesen, man hätte den Text von jemand Anderem einlesen lassen.
So ist es auch hier wieder die
Liebe zur Literatur und deren Kritik, am
Ball zu bleiben und beide CDs komplett anzuhören. Ein
großer Verlust in Anbetracht der Wichtigkeit des Textes.
(Tanja Elskamp; 06/2007)
"Über Literaturkritik" gelesen von Marcel Reich Ranicki
Random House Audio, 2007. 2 CDs, ca. 105 Minuten Laufzeit,
ungekürzte Lesung.
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Noch ein Buchtipp:
Marcel Reich-Ranicki: "Meine Geschichte der deutschen Literatur. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart"
Herausgegeben von Thomas Anz.
Marcel Reich-Ranicki über die ihm wichtigsten Werke der deutschen Literatur.
Zeit seines Lebens trat Marcel Reich-Ranicki für die Literatur ein und scheute
sich dabei nie, eine ganz eigenwillige Auswahl der bedeutendsten Autoren und
ihrer Werke zu treffen. Denn "der Verzicht auf einen Kanon", so seine
Überzeugung, "würde den Rückfall in die Barbarei bedeuten".
Erstmals erscheint nun eine umfassende Sammlung der wichtigsten und besten
Essays dieses leidenschaftlichen Kritikers. Sie ist in der Weise geordnet, dass
sie ein so provozierendes wie begeisterndes Bild jener deutschen
Literaturgeschichte vermittelt, in der er seine Heimat fand, von den
Minneliedern im
Mittelalter bis hin zu den großen Romanen der Gegenwart. Der Band, herausgegeben
von Thomas Anz, einem langjährigen Begleiter Marcel Reich-Ranickis und
versierten Kenner seines Werkes, weist neue, immer wieder überraschende Wege auf
der Suche nach einer Literatur, die so intelligent, fesselnd und schön ist, dass
man sie ein Leben lang lieben kann. (DVA)
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