John Allen: "Kardinal Ratzinger"
Der 1927 geborene
Joseph Ratzinger ist seit 1977 Kardinal, seit 1981 als Präfekt der Kongregation
für Glaubensfragen einer der höchsten Beamten des Vatikan und enger
Vertrauter von Papst Johannes Paul 2. Auf der anderen Seite ist er eine der
umstrittensten Figuren an der Spitze der katholischen Kirche und hat sicherlich
das Seine dazu beigetragen, die derzeitige Kluft zwischen fortschrittlichen
und konservativen Katholiken zu vergrößern. Seinen Anhängern
erscheint er als mächtiger Fels in der Brandung moderner Wertelosig- und
Wertebeliebigkeit, von seinen Gegnern wurde er schon als Kuhtreiber der Wahrheit
(und Schlimmeres) bezeichnet, seine Methoden mit denen der
Heiligen
Inquisition und (was ihn wohl stärker verletzt haben wird) des
KGB verglichen, hohe Intelligenz, eine blendende Rhetorik und ein fänomenales
Gedächtnis werden ihm von allen, die ihn kennen, zugebilligt.
John
Allen, als Korrespondent einer liberal-katholischen Zeitung aus den USA ebenfalls
öfters im Vatikan tätig, versucht in seinem Buch, sich der Person des
Kardinals möglichst vorurteilsfrei zu nähern und damit das Seine dazu
beizutragen, oben erwähnte Kluft durch Verständnis für die andere
Seite etwas zu verkleinern. Zu diesem Zweck breitet er vor dem Leser minutiös
den Werdegang des Kardinals aus, trägt verschiedenste Zeugnisse seines Tuns
und Stellungnahmen Anderer über ihn zusammen.
Kardinal
Ratzinger hat seine Karriere nicht als Bewahrer und Legalist begonnen, war vielmehr
am 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) als junger, innovativer und damals liberale
Positionen vertretender Theologe maßgeblich beteiligt. Dass Kardinal Ratzinger
sich um des raschen Aufstiegs in der Kirchenhierarchie willen so rasch von vielen
dieser Positionen verabschiedete, wie er es dann tat, lässt Allen mit dem
Argument der Unschuldsvermutung nicht gelten, geht leider auch in keiner Weise
darauf ein, dass ein Amt mit einer delikaten Aufgabe wie das des Leiters der Kongregation
für Glaubensfragen (welches in früheren Zeiten tatsächlich vom
Großinquisitor ausgeübt wurde) von sich aus eine andere, größere
und längerfristige Verantwortlichkeit mit sich bringt als die Arbeit eines
Professors der Theologie. Ein wenig sei es die überschwängliche Aufbruchsstimmung
vieler Katholiken nach dem 2. Vatikanum gewesen, vor allem aber die Bedrohung
durch das kommunistisch-materialistische Osteuropa (im Besonderen eine Auseinandersetzung
mit dem Marxismus von Ernst Bloch) und der Anarchismus der Hippiebewegung, die
Ratzinger als Professor für Dogmatik an der Universität Tübingen
in den späten 1960er-Jahren hautnah miterlebte, die zu seiner - aus Sicht
liberalerer Katholiken - Gegenreaktion der Verhärtung geführt hätten.
Vollends
verständnislos steht Allen der Tatsache gegenüber, dass Kardinal Ratzinger
quasi im Alleingang dem Fänomen der lateinamerikanischen Befreiungstheologie
die Flügel gestutzt hat, indem er ihren wichtigsten Vertretern (unter anderen
Leonardo Boff) die Lehrerlaubnis
entzog. Hier tritt laut Allen als besonders erschwerend hinzu, dass
Papst
Johannes Paul 2. aufgrund seiner sehr positiven Erfahrungen mit einer
ähnlichen Bewegung, der polnischen Solidarnosz, gern eine moderatere Linie
gegen die lateinamerikanischen Brüder verfolgt hätte, Kardinal Ratzinger
aber, der angeblich weniger an den guten Absichten seiner Bischofskollegen zweifelte
als eine sich schleichend dem Kommunismus annähernde Bewegung in Lateinamerika
befürchtete und dortige Tendenzen, das Wort der Heiligen Schrift zu unter-,
die Möglichkeiten der Politik und Geschichte zu überschätzen, für
gefährlich ansah, sich durchsetzte und seine Macht unbarmherzig exekutierte.
Ähnlich negativ äußert sich Allen bezüglich der Stellung
Ratzingers zur Ökumene und zum Thema Frauen und Kirche, wo Ratzinger vehement
gegen weibliches Priesteramt auftritt und den Ausstieg der katholischen Kirche
aus der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung in Deutschland veranlasst hat.
So kommt trotz seiner
sine ira et studio-Absicht John Allen bei seinem Kardinal Ratzinger-Porträt
auf wenig Positives, bescheinigt dem Porträtierten immerhin persönliche
Integrität und hofft im Übrigen auf einen den Anliegen der katholischen
Basis gewogeneren
nächsten
Papst.
(fritz; 01/2003)
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Joseph Kardinal Ratzinger: "Werte
in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen"
In seinem Dialog mit Habermas setzt Ratzinger an der Wurzel des Problems an:
Kein Weltfrieden ohne Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Vernunft und
Glauben. Angesichts aktueller Bedrohungen sind Religion und Rationalität in
ihrer Beziehung neu zu bestimmen. Eine eminent politische Wortmeldung. (Herder)
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Jürgen
Habermas; Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.): "Dialektik der Säkularisierung.
Über Vernunft und Religion"
Der Kurienkardinal im Gespräch mit dem wohl bedeutendsten Gegenwartsphilosophen
über Grundlagen einer freiheitlichen und friedlichen Gesellschaftsordnung. Wie
ist zu verhindern, dass Modernisierung entgleist? Kann Religion der Vernunft
Grenzen setzen - und umgekehrt? Das Dokument einer zukunftsweisenden Begegnung
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Lien: eine Schrift Kardinal Ratzingers über den Wahrheitsanspruch des Christentums