Dalai Lama: "Ratschläge des Herzens"

Die Summe der Gedanken des Dalai Lama - ein Handbuch, mit Anregungen für alle Lebenslagen, für jeden von uns. Denn ein sinnerfülltes Leben ist möglich, man muss nur lernen, mit dem Herzen zu denken ...


Es handelt sich um eine alte Tradition, große Meister um eine Reihe einfacher Ratschläge zu bitten, die sich an alle Menschen richten, egal welchen Charakter, welchen Beruf oder welche gesellschaftliche Stellung diese haben. Vor allem in Tibet wurden solche Ratschläge in Büchern gesammelt und dann manchmal "Ratschläge des Herzens" genannt. Das Buch, das Matthieu Ricard aus den Aussprüchen des Dalai Lama zusammengestellt hat, ist somit eine Fortsetzung alter Werke anderer Weiser. Es entstand dadurch, dass dem Kundun, dem "Gegenwärtigen", wie die Tibeter den Dalai Lama respektvoll nennen, eine Liste von Themen vorgesetzt wurde, die er nach Lust und Laune aufgreifen oder verwerfen konnte, wobei er von sich aus Themen beisteuerte, an die die Herausgeber nicht gedacht hatten.

Den Namen Kundun trägt er zu Recht, denn er ist immer, wenn er mit jemandem in Kontakt kommt, unmittelbar präsent, voll und ganz, mit diesem Blick, der ihm eigen ist und in dem sich sowohl Güte wie Einfachheit als auch viel Humor widerspiegeln. Erwartet man sich von diesem Buch hochintellektuelle und theologisch spitzfindige Argumente, so wird der Leser und die Leserin enttäuscht werden, denn der Dalai Lama ist ein Mensch des Herzens und bedient sich einer einfachen Sprache, um seine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen und ihnen so pragmatisch wie möglich zu helfen, ein glückliches Leben zu führen. Und so ist im Wesentlichen seine Botschaft immer dieselbe: "Jedes Wesen, selbst eines, das uns feindlich gesinnt ist, fürchtet wie wir das Leiden und strebt nach Glück. Es hat wie wir das Recht, glücklich zu sein und nicht zu leiden. Kümmern wir uns also aufrichtig um die Anderen, um unsere Freunde genauso wie um unsere Feinde. Das ist die Grundlage wahren Mitgefühls."

Wenn er spricht, flüchtet er sich nicht in schwer verständliche Begriffe, um eine Verlegenheit oder ein Zögern zu umgehen, sondern ist bereit, seine Verwirrtheit zuzugeben und auch ein einfaches "Ich weiß nicht" von sich zu geben. Der Dalai Lama übergab seine Aufzeichnungen, geschrieben in Tibetisch, Christian Bruyat und Matthieu Ricard in Dharamsala, wo seine Residenz im Exil liegt, und wo sich die unendlichen Ebenen Indiens vor den Fenstern ausbreiten.

In seiner Einleitung geht der Dalai Lama darauf ein, dass alle Lebewesen nach Glück streben und Leid vermeiden wollen, Tiere wie Menschen. Der Mensch jedoch besitzt die Gabe der Reflexion und sollte diese Fähigkeit auch weise einsetzen. Das Wichtigste für den Menschen ist die innere, die geistige Zufriedenheit, zu der nur wenige Tiere fähig sind, und sie wurzelt in Großzügigkeit, Ehrlichkeit und moralischem Verhalten, einem Verhalten, welches das Recht auf Glück der anderen Menschen achtet. Da wir meist nur unsere unmittelbare Befriedigung vor Augen haben und nicht die langfristigen Vor- oder Nachteile für uns selbst und Andere berücksichtigen, entsteht Leid durch diese ungesunde Art zu denken. Manchmal ist Leid aber auch unausweichlich, so bei der Geburt, bei Krankheit, im Alter und im Sterben. Durch das Einnehmen einer gesünderen geistigen Haltung können wir aber die Angst davor verringern und so viele Probleme vermeiden, angefangen bei Konflikten im vertrautesten Kreis bis hin zu verheerenden Kriegen.

Danach ist das Buch in fünf Abschnitte gegliedert. Das Kapitel über die Lebensalter wendet sich an junge Menschen, an Erwachsene und alte Menschen. Im Kapitel über die Lebenslagen spricht der Dalai Lama Männer und Frauen an und wendet sich an alle, die ein Familienleben führen, an die Unverheirateten, sowohl an die, die im Überfluss, als auch an die, die in Armut leben, an die Kranken, an die Behinderten und an alle, die sie pflegen, an die Sterbenden und an alle, die ihnen beistehen, an die, die im Gefängnis sind, und an die, die sie dorthin bringen, und an die Homosexuellen. Ebenso wendet er sich im Kapitel über die Funktionen in der Gesellschaft an Menschen, die für das Geschick der Welt von wesentlicher Bedeutung sind, wie etwa Politiker oder Menschen, denen das Schicksal des Planeten am Herzen liegt. Im Kapitel über Lebensweise und Gesinnung spricht er alle nur erdenklichen menschlichen Erfahrungen an, die leid- ebenso wie die freudvollen.
Im letzten Kapitel über das spirituelle Leben zeigt der Kundun, der Gegenwärtige, wie tief seine spirituelle Reife ist und wie sehr seine Worte Menschen jedweder Religionszugehörigkeit erreichen können. Somit sind die "Ratschläge des Herzens" allen zu empfehlen, deren Geist offen für Weisheit und Menschenliebe ist.

(Ivan Kristianof; 04/2003)


Dalai Lama: "Ratschläge des Herzens"
Originaltitel: "Conseils du Coeur"
Aufgezeichnet und mit einem Vorwort von Matthieu Ricard
Aus dem Französischen von Ingrid Fischer-Schreiber.
Diogenes, 2003. 208 Seiten. 
ISBN 3-257-06338-5.
ca. EUR 12,90.
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