Zsuzsa Rakovszky: "Im Schatten der Schlange"


A magyar romlás százada - im so genannten Jahrhundert des ungarischen Verfalls (17. Jahrhundert): Die Mitte des Landes, östlich der Donau, war eine Provinz des Osmanischen Reichs, im Osten (Siebenbürgen) entstand ein Vasallenstaat unter osmanischer Herrschaft, nur der äußerste Westen und die heutige Slowakei standen unter der Herrschaft der ungarischen Könige aus dem Haus Habsburg. An den Grenzen herrschte ein permanenter Kleinkrieg. Protestanten und Katholiken rangen in jeder Gemeinde um religiöse und politische Vorherrschaft; der "Prager Narr", Kaiser bzw. König Rudolf II., überließ die Rekatholisierung des Landes eifernden Bischöfen und Emporkömmlingen, die sich in unsicherer Lage von Anbiederungen an die Macht materielle Vorteile versprachen. Doch auch Lutheranern scheint mehr an der politischen Vorherrschaft gelegen zu sein als an religiöser Überzeugung. Pest und umherziehende Söldnerhorden entvölkerten ganze Landstriche.

In dieser Zeit wächst Ursula Lehmann, Tochter des Apothekers von Leutschau (heute Levoča in der Slowakei) auf. Aus städtischem und angesehenem Hause hätte sie mit etwas Glück ein Leben in Wohlstand vor sich, sofern nicht wieder eine Seuche ausbricht oder sie Landsknechten zum Opfer fällt. Doch wie Hans im Glück entscheidet sie sich fast immer für den ungünstigeren Lebensweg.

Als greise Icherzählerin berichtet Ursula, oft ungarisch Orsolya genannt, ausführlich von ihrer Kindheit und Jugend; sie stellt ihre Welt aus ihrer sehr persönlichen Sicht dar. Träume und Überlegungen haben darin genauso Platz wie Beobachtungen und die direkte Rede der sie umgebenden Personen. Am Beginn des Romans dominiert der kindliche Blick auf die unmittelbare Nähe, auf eine Geisteswelt, in der Aberglaube und Naivität dominieren. Der Leser kann der Perspektive Ursulas nicht entkommen - in ihren Worten erschließt sich die Handlung. Die langen, nicht verschachtelten und dennoch stark ineinander verketteten Sätze erinnern an die Rede wortgewandter Erzähler, die zu unterbrechen man sich hütet.

Die Autorin Zsuzsa Rakovszky baut in diesem Lebensbericht immer wieder Vorahnungen ein, spielt gekonnt mit den Befürchtungen der Leser, schildert wie zur Beruhigung noch schlimmere Schicksale als das Ursulas und steigert die Handlung im Spannungsfeld zwischen Vermutungen und überraschenden Wendungen zu einem fesselnden historischen Roman. Vom Leser bemerkt, von der fiktiven Erzählerin verdrängt baut sich eine drohende Lebenslüge auf ...

Rakovszky wurde 1950 in Sopron/Ödenburg geboren, wo wichtige Teile des Romans handeln. Sie studierte Anglistik und Literatur in Budapest und gehört zu den bedeutendsten Lyrikerinnen Ungarns. In ihren Gedichten - wie auch in diesem Roman - zeichnet sie in feinsten Schattierungen emotionale Spannungen von Personen in einem unentwirrbaren Geflecht aus Vergangenheit und Gegenwart nach. "Im Schatten der Schlange" ist ihr erster Roman.

(Wolfgang Moser; 12/2005)


Zsuzsa Rakovszky: "Im Schatten der Schlange"
(Originaltitel "A Kigyo Arnyeka")
Aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner.
btb, 2005. 576 Seiten.
ISBN 3-442-73196-8.
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