Manfred Reitz: "Schinderhannes und Spießgesellen"
Kleine Geschichte der Räuber und Raubritter
Edle,
großherzige Räuber oder skrupellose Kriminelle?
Gab es ihn tatsächlich, den idealisierten edlen
Räuber, der den Satten und Reichen aufs Haupt schlug und sie
um ihr Hab und Gut brachte, den Bedürftigen hingegen beistand?
Immerhin geisterte dieser Typus des großherzigen Verbrechers
für lange Zeit und besonders gegen Ende des 18. Jahrhunderts
durch die europäische Literatur. Karl Moor
von
Friedrich Schiller, Abällino, der große
Bandit von Heinrich Zschokke, Jean Sbogar von Charles Nodier, Zeluco
von John Moore,
Carl Zuckmayers Schinderhannes, um nur einige Beispiele
zu nennen, sie waren gewissermaßen Prototypen des
idealisierten Schurken. Meistens führten sie ein Doppelleben,
hatten zwei Gesichter, diese Freibeuter und Helden des gemeinen Volkes,
zumindest in der Literatur. Und idealisiert wurde häufig auch
die Landschaft, die Umwelt, in der diese Räuber sich heimisch
fühlten, und dies geschah nicht nur durch die Literatur,
sondern auch durch zahlreiche romantisierende Gemälde von
Räubern in ihrer vermeintlich heilen Welt, in ihrem
naturverklärten Räubermilieu, dem deutschen Wald.
Manfred Reitz versucht in seinem Buch, den Spuren nachzugehen, die
diese Räuberbanden in der Geschichte hinterlassen haben, und
es sind mit Blut und Tränen getränkte Spuren. Bei
genauerer und objektiver Betrachtungsweise schilfert die von
schwärmerischen Schönfärbern aufgetragene
Farbe schnell ab vom Bild des edlen Räubers, nichts bleibt
mehr übrig von Raubritter- und Räuberromantik. Nach
Darstellung des Autors Manfred Reitz waren es samt und sonders
Kriminelle, ob sie nun Götz von Berlichingen oder
Schinderhannes geheißen haben.
Reitz schränkt seine Räuber-Historie auf den
deutschen Geschichtsraum ein, denn hier erfuhr das Räubertum
seine höchste Blüte, da nämlich die
Kriminalität im politisch zerstückelten Deutschland
nur schwer beherrschbar war. Von den Räubern oder Gesetzlosen,
die außerhalb Deutschlands ihr Unwesen trieben, findet
lediglich Robin
Hood kurze Erwähnung, wobei es bis heute allerdings
noch nicht gesichert ist, ob es einen historischen Robin Hood
überhaupt einmal gegeben hat.
Das erste Drittel des Buches befasst sich mit dem Raubrittertum. Reitz
erläutert, wie sich dieses überhaupt entwickeln
konnte, gibt kurze biografische Porträts bekannt gewordener
Raubritter und beleuchtet dann die Umstände, die
schließlich dazu geführt haben, dass diese Plage des
ausgehenden Mittelalters zu einem Ende kam. Doch andere Räuber
und Mordbrenner traten schon bald an Stelle der Raubritter auf den
Plan. Die Söldnerheere der europäischen Armeen
sorgten für ein unerschöpfliches Reservoir an
skrupellosem Gesindel, Menschen, die aufgrund ihrer niedrigen
Hemmschwelle zum Töten zu einer gefährlichen
Landplage wurden und Land und Leute terrorisierten. Die Praktiken
dieser marodierenden Söldner waren oft von einem
unvorstellbaren Sadismus geprägt. Drakonisch waren allerdings
auch die Strafen, die ihnen nach ihrer Verhaftung drohten.
Der dritte Teil des Buches behandelt dann die Geschichte der
Räuber im 18. und 19. Jahrhundert, dem eigentlichen Typus des
romantischen Freibeuters. Reitz gibt seinen Lesern interessante
Einblicke in die Struktur und in die hierarchischen
Verhältnisse einer Räuberbande und stellt ihr
ausgefeiltes Kommunikationssystem vor. Denn sogar eine eigene
Zunftsprache, das Rotwelsch, hatten die Räuber damals
entwickelt. Einige berühmt-berüchtigte
Räuberbanden samt ihren Hauptleuten werden dem Leser
ausführlicher vorgestellt. Bekanntestes Beispiel: der
Schinderhannes. Die ganzseitigen Illustrationen mit
zeitgenössischen Darstellungen aus der Raubritter- und
Räuberzeit veranschaulichen das Gelesene noch einmal bildlich.
Der lebhafte und packende Stil, der dem Autor im
Rückseitentext des Umschlags attestiert wird, der ist mir
nicht so aufgegangen. Ich empfand den Stil eher ein wenig
spröde und trocken, die Sätze scheinen mir zu sehr
aus der Warte des Historikers formuliert und nicht aus der Sichtweise
eines Erzählers, der spannende Unterhaltung liefern
möchte. Trotzdem aber ein informatives und lesenswertes Buch,
wie ich meine.
(Werner Fletcher; 04/2007)
Manfred
Reitz: "Schinderhannes und Spießgesellen. Kleine
Geschichte der Räuber und Raubritter"
Jan Thorbecke Verlag, 2007. 160 Seiten.
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Ein
weiteres Buch des Autors:
"Das Leben auf der Burg. Alltag, Fehden und Turniere"
Wer heute Burgen und Ruinen besucht, fragt sich unwillkürlich
nach dem Leben, das sich einst hier abgespielt hat, nach dem Alltag von
Rittern und Knappen, Burgfräulein und Mägden. Was
aßen sie, wo schliefen sie, wie wurde die Burg geheizt, wie
konnte man mit den einfachen Mitteln der Zeit so mächtige
Gebäude errichten? Manfred Reitz lässt die
mittelalterliche Geschichte am
Beispiel
der Burg lebendig werden: Dabei verfolgt er das Leben von Erwachsenen
und Kindern durch Jahreszeiten und Tagesablauf, berücksichtigt
Freizeit und Mode ebenso wie Landwirtschaft und Krieg. Dieses Buch mit
seinen zahlreichen zeitgenössischen und modernen
Illustrationen macht junge und alte Leser zu kundigen Burgenbesuchern,
die die Spuren der Vergangenheit mit neuen Augen
entschlüsseln. (Jan Thorbecke Verlag)
Buch
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