Raymond Radiguet: "Den Teufel im Leib"


Fantastischer Debüt-Roman eines siebzehnjährigen Autors

Und obwohl dieses Debüt nun schon 85 Jahre zurückliegt, hat sich dieser Roman seine jugendliche Frische und Spontaneität bis heute bewahren können. Ja, es ist schon erstaunlich und bewundernswert, was ein Siebzehnjähriger da zu Papier gebracht hat; eine Liebesgeschichte mit psychologischer Tiefe und einem Einfühlungsvermögen, das man einem Menschen in diesem Alter kaum zutrauen würde. Raymond Radiguet scheint also ein junger Mann von sowohl physiologischer als auch geistig-intellektueller Frühreife gewesen zu sein. Und überdies besaß er anscheinend auch noch die sittlich-moralische Frühreife. Obwohl der Roman nach seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1923 einen handfesten Skandal heraufprovozierte, dies vielleicht sogar in voller Absicht, und zwar im Hinblick auf eine erfolgreiche Vermarktung des Buches. Das Skandalöse des Romans lag aber nun nicht so sehr darin, dass hier ein sechzehnjähriger Jüngling ein Verhältnis zu einer - wenn auch nur wenig älteren - verheirateten Frau unterhält, nein, das Skandalöse lag in erster Linie darin, dass der betrogene Ehemann ein Frontsoldat war, der durch seinen Dienst am Vaterland sein Leben aufs Spiel setzte. Diese besonderen Umstände machten damals das Pikante und Brisante an Radiguets Erstlingswerk aus. Die Geschichte an und für sich und die Art und Weise, wie Radiguet sie erzählt, sind kaum dazu angetan, einen Skandal hervorzurufen; erzählt der Autor sie doch auf eine einfühlsame, subtile Art, frei von pornografischen oder gar sado-masochistischen Anklängen, wie der Titel vielleicht vermuten lassen könnte. Auch Nachdenkliches präsentiert Raymond Radiguet, psychologische Erkenntnisse und Einsichten, die man in Anbetracht seiner Jugend so gar nicht erwartet hätte. Viele dieser Gedanken und Einsichten haben einen stark aphoristischen Charakter. Hier dazu einige Text-Beispiele aus dem Roman: "Dabei ist die Liebe ein Egoismus zu zweit, der sich selbst alles opfert und von Lügen lebt." Oder: "Macht genießt man erst richtig, wenn man sie missbraucht." Oder: "Der Naivität entgeht kein Lebensalter. Die des Alters ist nicht die geringste." Eine feine Beobachtung in Bezug auf die Psychologie des Schenkens: "Und wenn ich ein Spielzeug geschenkt bekam, war mir der Spaß verdorben, weil man Dank von mir erwartete. Wie herrlich wäre für ein Kind ein Spielzeug, das sich selbst schenkt!" Auch zur Verantwortlichkeit und zum Verantwortungsbewusstsein machte sich der junge Raymond Radiguet seine Gedanken, vor allem, nachdem seine Geliebte schwanger geworden war: "Ich verhielt mich nie mehr so, als ob wir allein wären. Immer war ein Zuschauer mit dabei, dem wir Rechenschaft für unser Handeln ablegen mussten." Und an anderer Stelle schreibt er: "Mir fiel mein Kind ein, aber ich war traurig. War ich reif genug, dass ein Baby für mich etwas anderes sein konnte als ein Bruder oder ein Schwesterchen?"

Nein, teuflisch ist das beileibe nicht. Der Titel, im Original ebenfalls "Le Diable au Corps", also wörtlich übersetzt, mag aus markttechnischen Erwägungen so gewählt worden sein, obwohl Hinrich Schmidt-Henkel einige kleine Teufeleien des Erzählenden ausgemacht hat, um sie in seinem Nachwort zur Sprache zu bringen. Wenn auch der jugendliche Liebhaber im Roman als Ich-Erzähler auftritt, dies ist kein autobiografischer Roman, wie der Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel ebenfalls im Nachwort versichert. Lediglich einige Erfahrungen und Erlebnisse Radiguets sind in seinen Text mit eingeflossen. Was den Übersetzer betrifft, so wäre es interessant zu wissen, wie groß sein Anteil an diesem hervorragenden Text zu bewerten ist. Denn auf der Umschlag-Rückseite heißt es, Hinrich Schmidt-Henkel habe den Roman in einen neuen Ton übertragen. Um dem auf den Grund zu gehen, müsste man schon das Original oder eine frühere Übersetzung zu Rate ziehen, was mir beides nicht vorlag.

Mir bleibt festzustellen: Ein Meisterwerk von literarischem Weltrang ist der Roman "Den Teufel im Leib" gewiss nicht, weder inhaltlich noch stilistisch. Doch wer wollte das von dem Debüt eines erst siebzehnjährigen Autors auch erwarten? Aber hier war zweifellos ein Könner am Werk, ein großes, vielleicht überragendes Talent, das sich nicht entfalten konnte, da Raymond Radiguet bereits mit zwanzig Jahren an Typhus starb. Vorher brannte er jedoch noch ein kleines literarisches Feuerwerk ab, das ihm zumindest einen bescheidenen Platz am Sternenhimmel der französischen Literatur sichern sollte. Posthum erschien noch ein zweiter Roman aus Raymond Radiguets Feder: "Der Ball des Comte d’Orgel".

(Werner Fletcher; 09/2007)


Raymond Radiguet: "Den Teufel im Leib"
(Originaltitel "Le Diable au Corps")
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Hoffmann und Campe, 2007. 160 Seiten.
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Hörbuch:
Sprecher: Christian Erdmann.
Hoffmann und Campe, 2007. 3 CDs.
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Raymond Radiguet wurde 1903 in Saint-Maur bei Paris geboren. Als Fünfzehnjähriger brach er die Schule ab, um sich dem Journalismus zu widmen. Im September 1921 vollendete Radiguet den Roman "Den Teufel im Leib", der 1923 veröffentlicht wurde. Wenig später, am 12. Dezember 1923, starb er im Alter von 20 Jahren an Typhus.
Posthum erschien "Der Ball des Comte d'Orgel"
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