Hans Fricke: "Der Fisch, der aus der Urzeit kam"
Die Jagd nach dem Quastenflosser
Der Kopf stehende Urfisch
Im Jahre 1938 verfing sich ein Exemplar des bis dahin als ausgestorben
erachteten Quastenflossers per Zufall in einem Fischernetz. Eine
Sensation für die Wissenschaft! Denn diese bereits vor circa
400 Millionen Jahren existierende Art galt als
längst
ausgestorben, vor etwa 65 Millionen Jahren hatten die letzten
Quastenflosser sich von diesem Planeten verabschiedet, so glaubte man
jedenfalls bis zu jenem 1938er Sensationsfang eines
südafrikanischen Fischerbootes. Ein lebendes Fossil, ein
Dinosaurier unter den Fischen war da vor der Ostküste
Südafrikas ins Netz gegangen, tatsächlich auch ein
entfernter Urahn des Menschen. Nach und nach wurden weitere Exemplare
gefunden, aber bis vor kurzem war es noch niemandem gelungen, einen
lebenden Quastenflosser in seiner natürlichen Umwelt vor die
Kameralinse zu bekommen. Dieser Aufgabe hat sich Hans Fricke,
Tierfilmer und Zoologe, ehemaliger Schüler und Mitarbeiter von
Konrad Lorenz
und Wolfgang Wickler, angenommen.
Hans Fricke ist ein unermüdlicher Beobachter, der sich
für alles interessiert, was die Natur bietet, wobei seine
besondere Liebe dem Leben im
Meer
gilt. Seine Jagd nach dem Urfisch
wurde ihm zur Obsession, zu einer Lebensaufgabe. Und von dieser
abenteuerlichen Jagd handelt das Buch. In der unterseeischen Lavawelt
der Komoreninseln haben Hans Fricke und sein Team ihn dann
aufgespürt, den 'Quasti', wie sie ihn liebevoll getauft haben.
Und 1987 gelangen dem Team die ersten echten Unterwasseraufnahmen eines
lebenden Quastenflossers. Hans Fricke wurde später im Zuge
seiner tierfilmerischen Pionierleistung zu einer Art Wanderprediger in
Sachen Quastenflosser, in sechzehn Ländern hielt er seine
Vorträge ab, zahlreiche Dokumentar- und Fernsehfilme von Hans
Fricke wurden weltweit ausgestrahlt. Zum ersten Mal konnten nun
Verhaltensstudien des Urfisches vorgenommen werden, konnte Bildmaterial
verglichen und ausgewertet werden.
Eines dieser Verhaltensmuster, der Kopfstand des Quastenflossers, ein
bis heute nicht gelöstes Rätsel im
Verhaltensrepertoire des Fisches, wurde quasi zum Symbol für
Latimeria, so der wissenschaftliche Name dieses Urfisches. Und zu einem
derart meditativ anmutenden Verhalten passen dann auch die scheinbar
stoische Gelassenheit des Quastenflossers sowie seine in den
Stoffwechselansprüchen geradezu asketische Lebensweise, die
vermutlich mitursächlich dafür ist, dass die Art bis
heute überleben konnte. Ein hundert Kilogramm schwerer Fisch
vermag immerhin mit nur siebzehn Gramm Beute pro Tag auszukommen! Ein
wahrer Hungerkünstler also.
Aber was macht dieses schlafmützige Geschöpf so
interessant, wie soll es einem Autor gelingen, seine Begeisterung
für diese Schlafmütze unter den Fischen auf die
Leserinnen und Leser zu übertragen? Dies scheint in der Tat
ein Problem, und auch auf mich konnte der Funke der Begeisterung nicht
so ganz überspringen. Gewiss schreibt Fricke interessant und
auch gut, er ist nicht nur ein hervorragender Filmemacher sondern auch
ein glänzender Erzähler, doch sein 'Quasti' wird beim
Durchschnittsleser kaum ein gleichrangiges Interesse erwecken
können wie Hai, Delfin
oder Riesenkalmar
dies
vermögen. Dafür ist der Quastenflosser einfach zu
unspektakulär, trotz seiner immensen Bedeutung für
die Wissenschaft. Dennoch habe ich das Buch mit wachsendem Interesse
gelesen und möchte es auch uneingeschränkt
weiterempfehlen. Das Wissenschaftsabenteuer 'Quastenflosser' war ja
auch nicht nur auf die Jagd nach dem Urfisch beschränkt, auch
andere Aufgaben und Schwierigkeiten waren zu bewältigen. Der
Jagd nach dem Quastenflosser voraus ging wie bei allen
wissenschaftlichen Unternehmungen zunächst einmal die Jagd
nach Sponsoren und Forschungsgeldern, dann waren zum Teil langwierige
Kämpfe gegen die Willkür einiger Behörden
auszufechten, und auch im Rahmen der internationalen Forschung selbst
hatte man es oftmals mit Neidern und Intriganten zu tun. Der
Quastenflosser drohte zum Streitobjekt der Wissenschaftler zu werden.
Es kam sogar das Gerücht auf, die in dieser Hinsicht sowieso
verrufenen Japaner wollten aus dem Fisch eine Langlebigkeitssubstanz
gewinnen, ähnlich dem Aphrodisiakum aus dem Horn der
Nashörner. In seinem
zwölften Kapitel geht Fricke
ausführlicher auf diese Problematik ein, gibt seinen Lesern
Einblicke in dubiose Machenschaften im Bereich von Forschung und
Wissenschaft. Er beklagt, dass Methoden und Resultate
verfälscht werden, dass Daten erfunden oder unter den Tisch
gekehrt werden, oder dass man Bilder einfach manipuliert. All diese
Tricksereien werden natürlich begünstigt durch die
nahezu unbeschränkten Möglichkeiten moderner
Computertechnik. Für Hans Fricke aber stand von jeher die
Sorge um das Wohlergehen und die Erhaltung der Art im Zentrum seiner
Forschungen. Anders scheint dies bei den aufgeblasenen
bürokratischen Apparaten der großen internationalen
Organisationen zu sein, deren an vorderster Front und vor Ort
kämpfende Mitarbeiter zwar ihr Bestes geben, während
jedoch andererseits in den Führungsetagen Lippenbekenntnisse,
Eigennutz und Korruption offenbar an der Tagesordnung sind.
Viele Fragen harren noch ihrer Beantwortung, viele Rätsel sind
noch zu lösen, was diesen enigmatischen Urfisch angeht. Die
interessantesten und wichtigsten davon behandelt Hans Fricke im
vierzehnten und letzten Kapitel 'Einsichten und Ausblicke'. Eines
scheint klar, das berühmte 'missing link'
der
Entwicklungsgeschichte zwischen den Fischen und den vierbeinigen
Wirbeltieren ist der Quastenflosser wohl nicht, obwohl viele
Publizisten ihm diese Rolle zuschreiben wollten.
Bleibt noch festzuhalten, dass Hans Frickes bewusst
populärwissenschaftlich gehaltenes, reich bebildertes Buch
nach des Autors eigenem Bekunden als keine umfassende Zusammenstellung
der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern mehr als ein
persönliches Fazit zu sehen ist. Mein Fazit nach der
Lektüre bleibt unter dem Strich eindeutig positiv.
Übrigens wurde am 8. April 2007 im Zweiten Deutschen Fernsehen
der neue Dokumentarfilm Hans Frickes 'Die Herren der Canyons'
ausgestrahlt.
Für diejenigen, die noch tiefer in das Thema 'Quastenflosser'
eintauchen möchten, erscheint am Schluss des Bandes eine Liste
mit weiterführender Literatur. Anerkennung verdient auch die
Form der Danksagungen. Es handelt sich dabei nicht einfach um eine
Aufzählung von Namen, nein, man erfährt auch, wer
hinter diesen Namen steckt und was der- oder diejenige zum Gelingen des
Projekts bzw. des Buches beigetragen hat.
(Werner Fletcher)
Hans Fricke: "Der Fisch, der aus der Urzeit kam. Die Jagd nach dem
Quastenflosser"
dtv, 2010. 304 Seiten.
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Hans Fricke, geboren 1941, ist Honorarprofessor für Zoologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitete Forschungsprojekte am Max-Planck-Institut in Seewiesen. Fricke hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Artikel für "Geo" und "National Geographic" sowie zwei Bücher verfasst. Für seine über 30 Dokumentar- und Fernsehfilme erhielt er zahlreiche internationale Preise und Auszeichnungen, darunter den "Goldenen Nautilus".