Thomas Bauer: "Wo die Puszta den Himmel berührt"

Auf Umwegen durch Ungarn


In Westeuropa, insbesondere in Deutschland, verbindet man mit Ungarn Paprika, Puszta und Csárdás. Vielleicht auch noch billigen Urlaub am Plattensee. Doch diese paar Klischees werden dem Land, das schon immer im Spannungsfeld zwischen Ost und West lag, nicht gerecht.
Der Autor und begeisterte Reisende Thomas Bauer hat, nicht zuletzt auf die Initiative seiner ungarischstämmigen Lebensgefährtin hin, Ungarn mehrmals bereist. Die Eindrücke einer Reise kreuz und quer durch das Land hat er in seinem neuen Buch zusammengefasst.

Schon im ersten Kapitel, das den Besuch bei der Familie der Lebensgefährtin in einem Dorf nahe der Grenze schildert, lernt der Leser einige ungarische Wesenszüge und Teile der Geschichte des Landes kennen, insbesondere die Landnahme unter Fürst Árpád. Im sich anschließenden Kapitel über Budapest präsentiert sich die Donaumetropole den Besuchern in ihrer ganzen Vielseitigkeit und mit ihren starken Widersprüchen. Im geschäftigen Herzen des Landes finden sich fast an jeder Ecke Spuren der vielen Niederlagen, die das Volk über Jahrhunderte hinnehmen musste, und seiner Helden. Zugleich verbreitet Budapest trotz seines k. u. k. Charmes den Eindruck einer sich dynamisch entwickelnden Stadt.

Den Reiseabschnitt im Donauknie nutzt der Autor, um seinen Lesern den Großteil der bewegten ungarischen Geschichte auf abwechslungsreiche Weise nahezubringen. Anschließend geht es (endlich, würde der von Klischees geleitete Tourist sagen) in die Puszta, wo man sich auch trefflich über einige klassische ungarische Gerichte informieren kann - Gulasch ist in seinem Stammland nicht einfach Gulasch, wie der Autor anschaulich ausführt.

Im Süden Ungarns wird der Besucher schließlich intensiv mit dem uralten Konflikt zwischen Okzident und Orient konfrontiert und mit dem besonderen Schicksal der Ungarn, in Bedrängnis von ihren Verbündeten allenfalls verbal unterstützt zu werden, was sich beispielsweise in der Türkenschlacht bei Mohács und während des Aufstands von 1956 als fatal erwies. Dennoch haben die Ungarn, wie der Autor im Verlauf seiner Reise mehrmals erfährt, ihre opulente Gastfreundschaft bewahrt - und sich einen gewissen Fatalismus angeeignet.

In seiner Lebensgefährtin, die sehr am Land ihrer Eltern hängt, hat der Autor eine ideale Reiseführerin. Das Buch enthält zahlreiche Dialoge, in denen sie ihm Land und Leute schildert; die Dialoge sind auf den Ungarn-unerfahrenen Leser zugeschnitten, denn etliche der Fragen dürfte Thomas Bauer nach sechs vorangegangenen Ungarn-Reisen nicht mehr gestellt haben. Auf diese Weise erhält der Leser in kurzweiliger Form viele Informationen, die in einem Reiseführer nicht zu finden sind. Der Autor hat eine vortreffliche Beobachtungsgabe und weiß überdies Stimmungen sehr gut wiederzugeben. Dass er zudem reichlich Humor in die Darstellung mancher Situation einbringt, verleiht dem Buch eine Spritzigkeit, die in angenehmem Kontrast zu den sensibel dargestellten, durchaus bedrückenden Episoden aus der ungarischen Geschichte und der Haltung der Ungarn gegenüber ihrer Vergangenheit und ihren tragischen Helden steht. Auch seine Versuche, in der wahrlich vertrackten ungarischen Sprache heimisch zu werden, werden fröhlich beschrieben und lassen sich von jedem, der dies selbst probiert hat, gut nachempfinden (da verzeiht man bereitwillig eine Reihe von Orthographiefehlern in ungarischen Ausdrücken).

Eingeflochtene ungarische Märchen und spannend aus der Perspektive damaliger Beobachter dargestellte historische Ereignisse wie zum Beispiel die flammenden nationalistischen Reden des Dichters Petőfi sowie zahlreiche repräsentative Fotos, viele vom Autor selbst "geschossen", tragen ebenfalls zu dem vielfarbigen, authentischen Ungarnbild bei, das bei der Lektüre dieses Buchs entsteht.

Vielleicht vermisst man, sofern man bereits in Ungarn war, nach Beendigung der Lektüre die eine oder andere Region, die nicht berücksichtigt werden konnte. Doch Thomas Bauers Buch ist kein klassischer Reiseführer, es möchte einen mosaikartigen Gesamteindruck vermitteln, und genau dies gelingt, auch wenn der Autor am Ende zu Recht feststellt, dass sich das "wahre", "typische" Ungarn nicht finden lässt - mithilfe eines charmanten und informativen Buchs wie diesem kann man sich ihm annähern.

(Regina Károlyi; 06/2007)


Thomas Bauer: "Wo die Puszta den Himmel berührt. Auf Umwegen durch Ungarn"
Herbig, 2007. 204 Seiten.
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