Seth Godin: "Purple Cow"
So infizieren Sie Ihre Zielgruppe durch Virales Marketing
Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf
dem Land durch eine wunderschöne Gegend, in der es einige Bauern gibt, die
Viehwirtschaft betreiben. Sie fahren die Wiesen entlang und bewundern die netten
Kühe, die auf der Weide stehen. Wenn Sie als Stadtmensch selten Kühe sehen,
werden Sie sich an ihnen besonders erfreuen. Vor allem Kinder werden recht
begeistert sein. Doch irgendwann wird Ihnen die Lust daran vergehen, sich die
Kühe anzusehen, denn irgendwie sehen ja doch alle gleich aus. Auch die Kinder
werden früher oder später die Lust an den Kühen verlieren.
Was aber, wenn
plötzlich eine purpurrote Kuh am Wegrand weidet. Sie werden hinschauen,
wahrscheinlich sogar Ihr Auto anhalten und aussteigen. Heutzutage werden Sie zu
Ihrer im Mobiltelefon eingebauten Kamera greifen, ein Foto von dieser Kuh machen
und es an Ihre Freunde verschicken.
Seth Godin, der Autor von "Purple
Cow", bringt diese Metapher, um den heutigen Waren- und Dienstleistungssektor
darzustellen. Wir leben in einer Welt des Überangebots. Egal was wir kaufen
wollen, es gibt jedes Produkt in den vielfachsten Ausfertigungen. Nur
beeindruckt uns meist nichts davon allzu sehr. Die Produkte ähneln sich in ihrem
Äußeren, sie ähneln sich im Geschmack, sie ähneln sich in ihrer Art. Etwas
Besonderes ist selten dabei.
Und trotzdem gibt es
Marken, die mehr in den
Köpfen der beworbenen Menschen präsent sind als andere. Die klassische
Marketingstrategie besteht darin, mit Hilfe von Werbespots im Fernsehen,
Plakaten und Slogans auf das Produkt aufmerksam zu machen. Aber jeder
Werbefachmann weiß, wie schwer es ist, in der Menge überhaupt noch
aufzufallen.
Befragt, an welche Werbespots vom Vortag sich Personen noch
erinnern können, fällt ihnen kaum einer ein. Es ist also eine Tatsache, dass die
klassische Werbung fast keinen Effekt mehr erzielt. Und trotzdem geben Firmen
immer noch Unsummen aus, um irgendwie aufzufallen.
Seth Godin schlägt
jedoch einen radikal neuen Weg vor. Anstatt enorme Summen für die Werbung
auszugeben, sollte dieses Geld für die Produktion außergewöhnlicher Waren
verwendet werden. Außergewöhnliche Produkte, die zuerst nur einem kleinen
Kundensegment zugänglich gemacht werden. Die speziellen Kunden bezeichnet Godin
als Sneezer. Es handelt sich um Menschen, denen es wichtig ist, als erste
etwas ganz Besonderes zu besitzen, und dann mit allen ihren Bekannten darüber zu
reden und es weiterzuempfehlen.
Wer kennt nicht jemanden, der immer das
neueste Handy besitzt, der das kleinste Notebook verwendet, etc. und der es
gleichzeitig mit Stolz herzeigt und erzählt, was das kleine Ding nicht alles
könne.
Natürlich ist diese Strategie für spezielle Produkte geeignet.
Zumindest in der Anfangsphase. Handelt es sich aber um ein interessantes
Produkt, so ist leicht möglich, dass auf diese Weise auch viele andere Käufer
davon erfahren und der Kundenstock mit der Zeit immer größer wird.
Godin
fordert also die Entwicklung außergewöhnlicher Produkte, wobei er gleichzeitig
darauf hinweist, dass diese natürlich auch ein Flop sein können. Ob es ein
Renner wird oder ein Flop wisse man nie im Voraus. Hier spielt es eine große
Rolle, den Kunden, also den zukünftigen Anwender oder Verbraucher
miteinzubeziehen. Dies entspricht durchaus einem neuen Zeitgeist.
Auch wenn die Idee sowohl für kleinere als auch größere Unternehmen interessant
ist, so schreibt Godin sein Buch doch in erster Linie für die größeren. Godin
versucht sein Buch mit einer Fülle von Beispielen anzureichern und aufzulockern.
Dies mag bei seinen amerikanischen Lesern gut ankommen, jedoch schreibt er meist
über Firmen, die in Europa kaum jemand kennt, was die Lesebereitschaft doch
wesentlich einschränkt. Für einen in Wien Lebenden ist das Beispiel einer us-amerikanischen
Café-Kette womöglich recht interessant. Die Kette ist weltweit
erfolgreich, weil sie eine gewisse Wohnzimmeratmosphäre vermittelt, den Kunden
also das Wohnzimmer zwischen der Arbeit und zu Hause zur Verfügung stellt. Wir
kennen die Cafés anderer Städte, in denen selten gemütlich verweilt wird. Wien
ist in dieser Hinsicht jedoch ganz anders. Wien hat eigentlich die gemütliche
Kaffeehauskultur erfunden (gemeinsam mit seinen
k.k. Schwesternstädten
Prag und
Budapest natürlich). Wie in Torbergs "Tante
Jolesch" nachzulesen ist, hielten sich die Intellektuellen und Beamten Wiens
in den Kaffeehäusern öfter und länger auf als in ihren Wohnzimmern. Oft ging
man nur zum Schlafen nach Hause.
Dafür möchte die Kette stehen. Soll dies in anderen Ländern gelingen, so möge
doch Wien davon verschont bleiben und auf das zurück greifen, was schon längst
in guter Tradition vorhanden ist.
Das Buch zu lesen, ist überwiegend recht
kurzweilig, kann aber streckenweise auch sehr fad werden. So schweift man leicht
ab, wenn der Autor von einer Firma nach der anderen erzählt, die allesamt dem
europäischen Leser unbekannt sind. Ebenso mutet sich die Aneinanderreihung der
unzähligen Kapitel streckenweise lähmend an. Immer glaubt man, man müsse das
nächste Kapitel noch lesen, um Interessantes zu erfahren, aber selten hat man
das Gefühl, ein Thema wäre abgeschlossen.
Die These des Autors ist recht
interessant, jedoch hätte diese auch in einem deutlich kürzeren Buch dargestellt
werden können. Besser wäre es gewesen, wenn es noch mehr Anregungen, wie eine
"purple cow" herzustellen wäre, gegeben hätte. Aber das einzige kreative
Beispiel von Seiten des Autors wirkt eher verwirrend und wenig überzeugend auf
den Rezensenten.
Aber immerhin ist es Seth Godin mit dem Titel gelungen, auf
jene Art und Weise Aufmerksamkeit zu erregen, wie er es den Lesern für deren
Produkte empfiehlt.
(Dr. Hans-Peter Oberdorfer; 07/2004)
Seth Godin: "Purple
Cow"
Übersetzt von Birgit Schöblitz.
Campus Verlag, 2004. 202
Seiten.
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