Alain de Botton: "Wie Proust Ihr Leben verändern kann"
Eine Anleitung
Prousts Bücher lesen - verlorene
Zeit?
Das Mammutwerk eines bedeutenden französischen Autors verständlich und
lebenspraktisch vorgestellt
Unverständliche Bandwurmsätze,
Krankheitswahn und irgendwas mit verlorener Zeit - diese Schlagwörter verbinden
viele Leute gewöhnlich mit dem Namen des französischen Schriftstellers
Marcel
Proust. Tatsächlich lässt der Autor, der 1992 im Alter von 51 Jahren
gestorben ist, seine Sätze oft erst ausklingen, wenn der eine oder andere Leser
das Werk bereits wieder an seinen Platz zwischen die Buchstützen gestellt hat.
Wahr ist auch, dass viele Zeitgenossen die offensichtliche Hypochondrie des
Schriftstellers ankreideten, der die meiste Zeit, besonders während er schrieb,
warm eingepackt in seinem Bett verbrachte. Viele Menschen halten vermutlich die
Lektüre des berühmten 7-teiligen Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen
Zeit" vorschnell für genau das, wonach Proust seinem Werktitel zufolge Ausschau
hält. "Ich bin vielleicht komplett vernagelt, aber ich kann beim besten Willen
nicht verstehen, dass ein Mensch dreißig Seiten braucht, um zu beschreiben, wie
er sich vor dem Einschlafen hin- und herwälzt", bekannte Alfred Humblet, Leiter
eines renommierten Verlagshauses. Und ein Lektor des französischen
Fasquelle-Verlags resignierte: "Nach siebenhundertzwölf Manuskriptseiten (...)
weiß man noch immer nicht, worum es eigentlich geht." Was aber ist dran an
Marcel Proust und seinem berühmten Mammutwerk?
Durch seine gleichermaßen
gefürchtete wie geschätzte Ausführlichkeit gelingt es Proust, alle Bereiche
menschlicher Gefühle und Empfindungen zu schildern. Der Vorteil seines "N’allez
pas trop vite" (zu deutsch: Gehen Sie nicht so schnell voran) liegt darin, dass
bei minutiöser Betrachtung die Welt an Faszinationskraft gewinnt. Proust
beschreibt beispielsweise aufs Genauste, wie sich ein Mensch, dem ein typischer
Geruch aus seiner Kindheit um die Nase weht, intensiv an seine frühe
Vergangenheit erinnert. Längst vergessen geglaubte Gesichter und Situationen
erstehen wie ein Film vor seinem inneren Auge auf - wie in Prousts berühmter
Szene, in der er nach vielen Jahren erstmals wieder eine Madelaine
(=französisches Gebäck) in seinen Kaffee tunkt und sich in just diesem Moment
voll und ganz in seine Jugendzeit versetzt fühlt.
Mit derartigen Beschreibungen beschwört Proust die
Wiedergewinnung
der verlorenen Zeit durch Erinnerung herauf. Ein Mensch kann seine Erinnerungen
allerdings nicht immer willentlich herbeiführen. Vielmehr kommen und gehen sie
durch assoziative Verknüpfung von aktuellen und früheren Bewusstseinsinhalten.
Seine Aussage unterstützt Proust mit der Einführung der literarischen Form Bewusstseinsstrom,
bei der ungeordnete Gedanken, so wie sie einem Menschen durch den Kopf gehen,
möglichst wahrheitsgetreu in geschrieben Sätze verwandelt werden.
Demjenigen, der sich nicht die Zeit nehmen kann oder möchte, die
vielen Proustschen Originalseiten zu lesen, aber dennoch die ausgesprochen
lebensklugen und -praktischen Gedanken kennen lernen möchte, sei Alain de
Bottons Buch "Wie Proust Ihr Leben verändern kann" ans Herz gelegt. Auf nur 234
Seiten hat der Schweizer ein realistisches Bild des Autors und seines
monumentalen Werks der literarischen Moderne zusammengestellt und dabei die
Ikone grundlegend entstaubt und ihr Leben eingehaucht. In Form einer Anleitung
fasst de Botton Kapitel für Kapitel zusammen, wie man nach Proust das Leben
lieben kann, wie man sich Zeit nimmt, wie man in der Liebe glücklich wird und
Freundschaften pflegt. Im Kapitel " Wie man erfolgreich leidet" zeigt de Botton
zum Beispiel, dass man nach Proust nur aus Schmerz und Problemen wirlich etwas
für sich und über das Leben lernen kann: "Glück stärkt den Körper, doch nur
Kummer fördert die Kräfte des Geistes". Die meisten gültigen Aussagen über den
Sinn des Lebens stammen nach Proust bezeichnenderweise von den "Verdammten und
Ausgestoßenen dieser Welt". Doch Leiden allein genügt nicht um zu lernen,
nämlich dann nicht, wenn von Proust so genannte " Leidensdilettanten" eine Reihe
ruinöser Abwehrmechanismen gegen das Leiden entwickeln, beispielsweise auf
unerfüllte Hoffnungen oder eigenes Unvermögen mit Arroganz, Selbsttäuschung,
Härte oder Bosheit reagieren. Demgegenüber kann man von Proust einen produktiven
Umgang mit dem Leiden erlernen - Alain de Bottons Anleitung hilft dabei.
(Almuth Weinberg; 04/2004)
Alain de Botton: "Wie Proust Ihr Leben
verändern kann"
(Originaltitel "How Proust Can Change Your
Life")
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Alain de Botton, 1969 in der Schweiz geboren, hat in Cambridge Geschichte und Philosophie studiert und lebt in London.
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Ergänzende Buchtipps:
"Statusangst"
Der hastige Blick, der besorgt registriert, ob wir wirklich das
bekommen, was uns zusteht, ist das Zeichen unserer Zeit: Statusangst steht in
unseren Augen, wenn wir auf Statussymbole, Brieftaschen und Ranglisten schielen
- aber das Leben verpassen. Ehrgeiz und Ambition sind gut, wenn sie sich nach
selbstgesteckten und vernünftigen Zielen richten, aber sie vergiften, wenn sie
uns blind für uns selber machen. Vom vernünftigen Umgang mit allen dreien, mit
Ehrgeiz, Ambition und Statusangst, berichtet Alain de Botton.
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"Romantische Bewegung. Sex,
Shopping, Liebesroman"
Welcher Zauber, welches Glück, welche Verheißung!
Alain de Botton räsoniert über die große Liebe, ihre Launen, Verwirrungen und
Verwerfungen - geistreich, charmant und umwerfend komisch.
Zwischen Sex und
Shopping versteckt sich die Sehnsucht nach dem einen Blick, der an den Grund des
Herzens rührt - und alles wäre verzaubert. Die Kollegen weniger nervig,
Blumen
lägen vor der Tür und
Regen wäre weniger nass. Alles wahr und alles falsch.
Keiner hat unsere Illusionen, mit denen wir doch an die große Liebe, die
romantische, glauben, so witzig analysiert und einfühlsam erzählt wie Alain de
Botton.
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"Isabel"
Die meisten
Biografien handeln von Leuten, die berühmt sind, berüchtigt oder tot. "Isabel
und ihr Biograph" handelt von Isabel Rogers, die unbekannt ist und sehr
lebendig. Aber aus dem Objekt der Lebensgeschichte wird das Subjekt einer
Liebesgeschichte.
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"Trost der Philosophie. Eine
Gebrauchsanweisung"
Alain de Botton, Autor des Bestsellers "Wie Proust Ihr Leben verändern kann",
ist in seinem amüsanten und geistreichen Buch der Frage nachgegangen, welche
Tröstungen bei den Lebensproblemen moderner Zeitgenossen die Philosophie bereithält,
genauer: welche Hilfsangebote
Sokrates,
Epikur, Seneca,
Montaigne,
Schopenhauer und Nietzsche machen könnten,
wenn man denn deren Leben und Werk zu Rate zöge.
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