Marcus du Sautoy: "Die Musik der Primzahlen"
Auf den Spuren des größten Rätsels der Mathematik
"Wir können uns eine
andere Form von Chemie vorstellen oder auch eine andere Form von
Biologie,
aber wir können uns keine andere Form der
Mathematik der Zahlen
vorstellen. Was wir über die Zahlen bewiesen haben, gilt in jedem anderen
Universum ebenfalls." (Julia Robinson, Mathematikerin, 1919-1985)
Die Geschichte der
Primzahlforschung
In dem populärwissenschaftlichen Buch "Die Musik
der Primzahlen" beschreibt Marcus du Sautoy die Entwicklung der
Primzahlforschung von der Antike bis in die Gegenwart. Primzahlen sind
natürliche Zahlen, die nur durch eins und sich selbst teilbar sind. Sautoy
bezeichnet Primzahlen als die "Atome der Arithmetik". In dieser Metapher kommt
ihre Bedeutung als Fundament der Zahlensysteme prägnant zum Ausdruck. Schüler
beschäftigen sich im Mathematikunterricht mit der Zerlegung natürlicher Zahlen
in Primfaktoren. Im Alltag jedoch werden Primzahlen ebenso wenig wahrgenommen
wie das Fundament eines Gebäudes.
Ist es dem Autor gelungen, dieses eher
trockene Thema aus dem Bereich der Zahlentheorie (Arithmetik) so interessant
darzustellen, dass eine breite Leserschaft angesprochen wird?
Das Buch
enthält Biografien zahlreicher berühmter Mathematiker, Erläuterungen zu
mathematischen Zusammenhängen, die historische Entwicklung der Primzahlforschung
und interdisziplinäre Verbindungen zur Physik, Informatik und Musik. Der Autor
verzichtet weitgehend auf Formeln. Die wenigen im Buch beschriebenen Funktionen,
Reihen und Grafiken sind für das Verständnis der Themen unverzichtbar.
In
dem Kapitel "Die Geschichte der Griechen" erläutert du Sautoy die einfach
gestrickten aber logisch einwandfreien Beweisführungen der Gelehrten der Antike.
Bereits die alten Griechen haben die Eigenschaften der Primzahlen analysiert und
herausgefunden, dass es unendlich viele davon geben muss. Pythagoras fand bei
Klangexperimenten mit unterschiedlich gefüllten Tonkrügen eine Beziehung
zwischen einfachen Brüchen und harmonischer Musik. Der Begriff Sphärenmusik hat
hier seinen Ursprung.
In späteren Jahrhunderten haben insbesondere die
Mathematiker Leonhard Euler und
Carl Friedrich Gauß die Primzahlforschung
weiterentwickelt und neue Erkenntnisse über die Eigenschaften der Primzahlen
zutage gefördert. Einen Höhepunkt erreichte die Primzahlforschung durch die
Arbeiten des Mathematikers Bernhard Riemann (Kapitel "Riemanns imaginärer
mathematischer Spiegel" und "Von zufälligen Primzahlen zu geordneten
Nullstellen").
Riemann hat die Eigenschaften der sogenannten Zeta-
Funktion, einer durch eine Reihe definierten komplexwertigen Funktion,
untersucht und einen Zusammenhang mit den Primzahlen und damit zwischen Analysis
und Arithmetik erkannt. Es gibt eine Beziehung zwischen der Anzahl der
Primzahlen und den Nullstellen der Zeta- Funktion. Riemann vermutete, dass alle
nichttrivialen Nullstellen dieser Funktion auf einer Geraden liegen. Der Beweis
dieser "Riemannschen Vermutung" wird von Kennern als der Heilige Gral der
Mathematik bezeichnet und dürfte ähnlich anspruchsvoll sein wie der Beweis für
"Fermats letzten Satz", der erst vor wenigen Jahren von Andrew Wiles aufgestellt
wurde.
Ein Beweis für die Riemannsche Vermutung steht bis heute aus,
obwohl zehn Billionen Nullstellen der Zeta-Funktion untersucht worden sind und
keinen Widerspruch erzeugt haben. In den empirischen Wissenschaften würde das
als Verifizierung einer Hypothese genügen; Mathematiker beschäftigen sich
vorwiegend mit abstrakten Objekten und trauen keinen numerischen Daten. Nur ein
Beweis bringt die notwendige Sicherheit. Nach Kurt Gödels
Unvollständigkeitstheorem ist es auch denkbar, dass ein Beweis unmöglich
ist.
Primzahlen waren über Jahrhunderte Gegenstand theoretischer
Betrachtungen ohne praktische Anwendung. Das änderte sich im Zeitalter weltweit
vernetzter Computer. Die besonderen Eigenschaften der Primzahlen haben die
Methoden der
Kryptografie geprägt
(Kapitel "Das Knacken von Zahlen und Codes").
Die RSA-Verschlüsselung, benannt nach ihren Entwicklern Adi Shamir, Ron Rivest
und Leonard Adleman, nutzt für ihr System die Erkenntnis aus, dass große Zahlen
nicht auf einfache Weise in Primfaktoren zerlegt werden können. Der Schlüssel
zum Verschlüsseln (Primzahlprodukt) kann daher veröffentlicht werden, ohne
Gefahr zu laufen, dass der Schlüssel zum Entschlüsseln (Primfaktoren) von
irgendeinem Hacker berechnet werden kann.
Im Kapitel "Von geordneten
Nullstellen zum Quantenchaos" werden Verbindungen zur Physik dargestellt. Der
Mathematiker Hugh Montgomery und der Physiker Freeman Dyson haben erkannt, dass
zwischen der Verteilung der Primzahlen und den Energieniveaus schwerer Atome ein
Zusammenhang besteht. Diese Verbindung zur empirischen Wissenschaft lässt die
Schlussfolgerung zu, dass Primzahlen mehr sind als nur ein theoretisches
Konstrukt der Mathematiker.
Die Kurzbiografien der Mathematiker und die
Aufarbeitung der historischen Entwicklung der Primzahlforschung haben mich
überzeugt. Die Ausführungen sind interessant, verständlich und lesenswert. Dem
Autor ist es gelungen, die Faszination, die von ungelösten Problemen der
Mathematik ausgeht, zu vermitteln. Defizite sehe ich allenfalls bei der
Vermittlung der "Riemannschen Vermutung", die viel Raum einnimmt, ohne dass
dadurch die Zusammenhänge anschaulicher geworden sind. Vielleicht eignet sich
dieses Thema nicht so gut für eine populärwissenschaftliche
Darstellung.
Marcus du Sautoy,
Professor für Mathematik an der
Universität von Oxford und Research Fellow der Royal Society, genießt in seinem
Fach hohes Ansehen. Er lebt in London, schreibt regelmäßig
populärwissenschaftliche Beiträge für die "Times" und den
"Guardian" und ist
häufiger Gast in Rundfunk und Fernsehen.
(Klemens Taplan; 04/2006)
Marcus du Sautoy: "Die Musik der Primzahlen"
(Originaltitel "The Music of the Primes")
Übersetzt von Thomas Filk.
dtv, 2006. 400 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:
"Das Geheimnis der Symmetrie. Mathematiker entschlüsseln ein Rätsel der
Natur"
Marcus du Sautoy hat die wunderbare Gabe, die Abenteuer des mathematischen
Denkens einem breiten Publikum nahezubringen. In diesem Buch erzählt er von
seiner persönlichen Suche nach dem Geheimnis der
Symmetrie,
von dem schon die Naturforscher der Antike mutmaßten, dass mit seiner
Enthüllung auch das Rätsel der Natur gelöst sei.
Du Sautoy beginnt seine Suche an seinem 40. Geburtstag; sie wird ihn zwölf
Monate lang rund um die Welt führen: durch die Wüste Sinai ebenso wie ans
Mathematische Institut der Universität Princeton, in die Gärten der Alhambra
ebenso wie ins Paris der Französischen Revolution. Der Leser begegnet auf den
Reisen des Autors zahlreichen ebenso brillanten wie skurrilen mathematischen
Köpfen, etwa dem weltberühmten Zahlentheoretiker John Horton Conway. Die
größte Herausforderung aber ist "monstrous moonshine",
monströser Mondschein, so der Name einer der aufregendsten mathematischen
Entdeckungen der letzten Jahrzehnte. Damit könnte der entscheidende Schritt zur
Entschlüsselung des Geheimnisses der Symmetrie gemacht sein. (dtv)
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