Peter Prange: "Die Philosophin"
"Die Philosophin" ist der dritte Roman
von Peter Prange, in dem er sich mit der Sittengeschichte Europas über drei
Jahrhunderte auseinander setzt. Schauplatz der Handlung ist das vorrevolutionäre
Frankreich. Die junge Sophie Volland soll konfirmiert werden und zum ersten Mal
die Heilige Kommunion empfangen. Dabei möchte sie gerne, dass ihre Mutter mit
nach vorne zum Altar geht, obwohl sie schon vor einigen Jahren wegen ihres
angeblich losen Lebenswandels von der Kommunion ausgeschlossen wurde. Da die
junge Sophie sehr nervös ist, hat sie vor der Messe von ihrer Mutter einen
Beruhigungstrunk bekommen, der aber dummerweise überaus heftig mit der Hostie
reagiert, so dass sich Sophie über ihren Beichtvater erbricht und ihre Mutter
kurz darauf der Hexerei angeklagt wird. Und so ist das Letzte, was Sophie von
ihrer Mutter sieht, deren zuckender Leib auf dem Scheiterhaufen.
Über verschiedene Umwege gelangt das Mädchen schließlich
nach Paris, wo sie beginnt in einem Kaffeehaus als Bedienung zu arbeiten.
In diesem
Kaffeehaus trifft sich alles, was in philosophischer Hinsicht zu dieser Zeit
in Frankreich Rang und Namen hat. Unter den Philosophen befindet sich auch
Denis Diderot, der
seit einiger Zeit versucht, etwas wirklich Weltbewegendes zu schreiben. Etwas,
wozu ihn zunächst offenbar die noch sehr unschuldige Sophie inspiriert, die
durchaus bereit zu sein scheint, sich ihm hinzugeben. Bis sie erfährt, dass
Diderot bereits eine Mätresse und noch dazu eine Ehefrau hat.
Der weitere
Verlauf der Geschichte zeigt, wie Denis Diderot ungeahnt, aber mit Sophies
Hilfe, beginnt, eine französische Enzyklopädie zu betreuen, die zunächst nur als
Konkurrenzprodukt zu einem vergleichbaren englischen Erzeugnis gedacht ist, bald
aber an den Grundfesten Frankreichs, der Kirche und der Monarchie zu rütteln
beginnt. In einem Wirbelsturm aus politischen und geistlichen Intrigen,
philosophischen Konflikten und dem Umgang mit der Zensur treibt der Roman den
Leser an der Seite von Sophie und Denis durch die Jahrzehnte, wobei die
Schauplätze von düsteren Verliesen voller Kakerlaken bis zum Lustschloss in
Versailles reichen und allerlei bekannte bzw. berüchtigte Figuren dieser Zeit
auftreten.
Erzählerisch und handwerklich ist "Die Philosophin" ein sehr
dichter und mitreißender Roman, der durch seine vielen Verweise und Hinweise
auch anspruchsvollen Lesern historischer Texte Freude bereiten dürfte. Im Anhang
findet sich noch eine Zeitleiste zu den dargestellten Ereignissen, mittels derer
es möglich wird, alles Gelesene in größere historische Zusammenhänge zu
stellen.
Überaus spannende und lehrreiche Lektüre, die auch in der
Darstellung der historischen Begebenheiten und Lebensumstände durchwegs
anschaulich und glaubwürdig wirkt.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 12/2005)
Peter Prange: "Die
Philosophin"
Droemer/Knaur; Lübbe.
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Peter Prange, geboren 1955, studierte
Romanistik, Germanistik und Philosophie in Göttingen, Perugia, Paris und
Tübingen. Zum Dr. phil. promovierte er mit einer Arbeit zur Philosophie und
Sittengeschichte der Aufklärung. Nach Ausflügen in Wissenschaft und Wirtschaft
gelang ihm der Durchbruch als Romanautor mit der deutsch-deutschen
Familiengeschichte "Das Bernstein-Amulett". Inzwischen wurden seine Bücher in
mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Lien zu Peter Pranges Netzseite:
https://www.peter-prange.de/
Weitere Bücher des
Autors (Auswahl):
"Miss Emily Paxton"
London, 1851. Im Hyde Park,
dem Herzen der Hauptstadt, entsteht ein Bauwerk, wie die Welt noch keins gesehen
hat: der "Kristallpalast", ein glitzernder Traum aus Glas und Stahl. Hier soll
das Fest der ersten Weltausstellung gefeiert werden, das Paradies auf Erden.
Emily Paxton, Tochter des Baumeisters, ist fasziniert von der Vision. Dann aber
trifft sie Victor wieder, den vergessenen Freund ihrer Jugend, und das Drama der
Weltausstellung wird zum Drama ihrer Liebe. Denn Victor setzt alles daran, den
Traum ihres Vaters als Alptraum der Menschheit zu entlarven. In den Augen seiner
Tochter ist Joseph Paxton ein Zauberer. Nichts scheint es zu geben, was er nicht
kann. Vom einfachen Gärtner stieg er zum Architekten und Eisenbahnkönig auf.
Voller Begeisterung eifert Emily ihm nach, um von ihm das Geheimnis des Lebens
zu erfahren. Als sein Zauberlehrling wirkt sie mit an der Verwirklichung des
großen Plans, im Hyde Park einen Tempel des Fortschritts zu errichten, in dem
die Völker der Welt ihre herrlichsten Errungenschaften zusammentragen. Doch das
Wiedersehen mit Victor stellt Emilys Leben von Grund auf in Frage. Plötzlich
scheint nichts mehr so, wie es war. Durch ihren Jugendfreund, einen ebenso
intelligenten wie sensiblen Außenseiter, erfährt sie, dass das Paradies, von dem
ihr Vater träumt, eine schmutzige, dunkle Kehrseite hat. An Victors Seite lernt
sie die Elendsviertel von London kennen, und je tiefer sie in diese Unterwelt
eindringt, desto deutlicher wird ihr bewusst: Um all die Wunder zu vollbringen,
die ihre eigene Welt ausmachen, fordert der Fortschritt von den Menschen täglich
grausame Opfer. Eine bohrende Frage drängt sich ihr auf: Was ist der
Kristallpalast - ein Tempel des Fortschritts oder ein Ort der Schande? Zweimal
macht Emily sich zur Komplizin, zweimal gerät sie in Konflikt mit sich selbst.
Dann aber kommt der Tag, an dem sie sich entscheiden muss: zwischen ihrem
bewunderten Vater, der den kühnsten Traum des Jahrhunderts träumt, und ihrem
Geliebten, der diesen Traum zum bösen Alptraum erklärt. Welchen Weg wird sie
gehen?
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"Die Principessa"
Rom, 1623.
Während die katholische Welt den neuen Papst feiert, trifft in der Ewigen Stadt
eine blutjunge Engländerin ein, hungrig auf Leben und Freiheit. Umworben von
zwei genialen Architekten, erliegt sie dem Zauber der Liebe und dem Zauber der
Kunst. Sie ahnt nicht, dass es schon bald um Leben und Tod gehen wird. Im Rom
der Kardinäle und Kurtisanen erlebt Clarissa eine Welt verwirrender Gegensätze:
von Glanz und Elend, Chaos und Größe, Freizügigkeit und Sittenstrenge. Schnell
gerät sie in den Bann dieser faszinierenden Welt, in der die Künste zu nie
geahnter Blüte gelangen. Vor allem aber gerät die Principessa, als die Clarissa
inzwischen in der ersten Gesellschaft Roms bekannt ist, in den Bann zweier
junger Baumeister, die Kometen gleich ihren Weg nach oben beschreiten. Denn
Clarissas Geschichte ist zugleich die Geschichte der berühmtesten Architekten
ihrer Zeit: Lorenzo Bernini und
Francesco Borromini. Der eine von brillanter, weltgewandter Eleganz,
Liebling der Frauen und Favorit des Papstes; der andere ein in sich gekehrter
Mann, ein Getriebener auf der Suche nach Vollkommenheit. Gemeinsam wollen sie
das neue Rom errichten. Doch die Liebe zu Clarissa verwandelt die zwei Freunde
in erbitterte Feinde.
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"Das
Bernstein-Amulett. Geschichte
einer Familie aus Deutschland"
Barbara Reichenbach und ihre Familie haben
ein Schicksal, wie es nirgends sonst auf der Welt zu finden ist - außer in
Deutschland.
Die Geschichte beginnt im Oktober 1944 und endet im Oktober
1990, und sie spiegelt den Weg des geteilten Deutschlands wider. Barbaras
Familie wird nach dem Krieg auseinandergerissen und kann erst ein halbes
Jahrhundert später wieder richtig zusammenfinden.
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Leseprobe:
(...)
"Wie immer eine Tasse Schokolade, Monsieur
Diderot?" "Ja, mit viel Vanille und
Zimt." "Ist das
alles, oder haben Sie noch einen Wunsch?" "Wenn du mich so freundlich fragst -
ja, Mirzoza." "Monsieur Diderot, ich habe Ihnen schon ein Dutzend Mal gesagt,
ich heiße Sophie!" "Mag sein, Mirzoza. Aber ich weiß es besser. Du bist doch
eine Märchenprinzessin!" "Und warum arbeite ich dann hier?" "Weil man dich auf
einen falschen Namen getauft hat, Mir-zoza." Sophie wusste nicht, ob sie lachen
oder sich ärgern sollte. Dieser Diderot, ein Mann Anfang dreißig, der fast
täglich ins "Procope" kam, gehörte zu den sogenannten Philosophen, den
Stammgästen des Lokals, die hier ihr zweites Zuhause hatten und den lieben
langen Tag so heftig diskutierten, als müssten sie ganz Frankreich regieren. Als
einfache Kellnerin hatte sie keine Ahnung, was die Philosophen für Männer waren
oder was sie taten - einen richtigen Beruf schienen sie nicht zu haben -, doch
immer, wenn sie an ihren Tischen bediente, fühlte sie sich noch jünger, als sie
ohnehin war, und in ihrem Nacken kribbelte es wie ein ganzer Schwarm Mücken.
Geradeso wie jetzt, als Diderot sie mit seinen unglaublich hellen blauen Augen
anschaute, ein freches Grinsen auf den Lippen, und sein kleiner Kopf mit dem
blonden Schopf auf den breiten Lastenträgerschultern ruckte wie ein Wetterhahn
auf einem Kirchturm. "Sie sagten, Sie hätten noch einen Wunsch?", fragte sie, so
streng sie konnte. "Richtig!", rief er, und sein Grinsen wurden noch eine Spur
unverschämter. "Hast du heute Abend etwas vor?"
Ohne eine Antwort zu
geben, kehrte Sophie ihm den Rücken zu und ging zum Büfett. Was war nur mit den
Männern? Schon in der Tabakschenke, in der sie früher gearbeitet hatte, einer
verräucherten Höhle im Faubourg Saint-Marceau, hatten sie ihr nachgestellt, aber
das waren nach Branntwein stinkende Kutscher, Soldaten oder Kloakenreiniger
gewesen, und Sophie wusste, wie man mit ihnen umgehen musste. Doch hier? Wenn
die gelehrten Herren im "Procope" solche Reden führten, dann lag es
wahrscheinlich an den hitzigen Getränken, die sie in so ungeheuren Mengen
tranken - vor allem am Kaffee, der solches Herzrasen machte. Ihr eigenes
Aussehen, dachte Sophie, könne der Grund jedenfalls nicht sein. Sie fand sich
mit ihren struppigen roten Haaren, den tausend Sommersprossen und den grünen
Augen alles andere als hübsch.
Am Büfett stellte sie das Geschirr bereit,
um die Bestellungen auszuführen. Von hier konnte sie das ganze Lokal übersehen,
während sie aus großen offenen Kannen der Reihe nach Tee, Kaffee und Schokolade
in die Tassen füllte. Die Abendvorstellung im Theater gegenüber hatte gerade
erst begonnen, sodass die Tische nur zur Hälfte besetzt waren, und doch
herrschte in dem Saal ein Geschnatter wie auf dem Wochenmarkt. Zwei Jahre war
Sophie inzwischen in Paris, doch sie staunte immer noch, wie schnell die Leute
hier sprachen, doppelt so schnell wie in ihrer Heimat, und alle redeten auf
einmal, als hätten sie Angst, ihre Sätze nicht zu Ende zu bringen, bevor die
anderen ihnen ins Wort fielen. Ob sie hier wohl jemals das Glück fand, von dem
sie träumte? Einen einfachen rechtschaffenen Mann, der sie ein bisschen lieb
hatte und sie in den Hafen der Ehe führte? Sophie stellte die Kanne mit der
heißen Schokolade ab und brachte ihr Tablett an den Tisch. "Bitte sehr, Monsieur
Diderot. Mit viel Vanille und Zimt." "Danke, Mirzoza." Er nahm die dampfende
Tasse und führte sie an die Lippen. "Hast du inzwischen nachgedacht, wo wir zwei
uns amüsieren? Im Ambigu-Comique geben sie Tartuffe. Oder magst du
lieber
tanzen?" Während er mit einer Inbrunst seine Schokolade trank, als schlürfe er
Nektar, blickte er sie über den Rand der Tasse an. Sophie spürte plötzlich
wieder den Mückenschwarm in ihrem Nacken, und für eine Sekunde durchströmten
ihren jungen Leib jene seltsamen Gefühle, die ihr manchmal im Kloster die Sinne
verwirrt hatten, in langen Nächten sehnsuchtsvoller Einsamkeit. "Nun?" Diderot
stellte die Tasse ab, seine Oberlippe zierte jetzt ein feiner Schnurrbart. "Wann
soll ich dich abholen?" Sophie nahm das Ende ihrer Schürze und wischte ihm die
Spuren der Schokolade aus dem Gesicht. "Statt ins Theater oder zum Ball sollten
Sie lieber zum Barbier gehen, Monsieur Diderot! Oder rasiert man sich in Ihrer
Märchenwelt etwa nicht?" Unter dem Gelächter der anderen Philosophen hob sie ihr
Tablett vom Tisch und ging weiter. Dieser Diderot hatte ihr gerade noch gefehlt!
(...)