Erika Pluhar: "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?"


"Wie bitte? Weil alle Leute aussteigen - ich hab Sie gefragt, ob das hier die Endstation ist. Nein, nein. Ich fahre ja auch noch weiter. Bis zur Endstation. Ach so. Danke."

Auf diese sicherlich sehr banale Art lernen sich die vierundfünfzigjährige Pragerin Nelly Tomasová und der sechzigjährige Dr. Smelik, ein Wiener, in der Straßenbahn nach Grinzing kennen. Ein interessanter Dialog beginnt, ein Gespräch vorerst an der Oberfläche, sich gegenseitig abtastend, dann immer intensiver werdend - eine Entdeckungsreise der besonderen Art. Eine wunderbare Liebesgeschichte, die durch völlige Offenheit beginnt. Diese beiden Fremden erlauben sich, dem Anderen innerhalb einer Nacht ein ganzes Leben zu offenbaren, Dinge auszusprechen, die vorher nie gesagt wurden, die sie sich selbst in dieser Aufrichtigkeit noch nie eingestanden haben.

Zwei Menschen treffen scheinbar zufällig aufeinander und sind bereit, sich voll und ganz auf das Gegenüber einzulassen. Plötzlich spielt Zeit keine Rolle mehr, Eitelkeiten und Beschönigungen werden über Bord geworfen - längst verdrängte Erlebnisse kommen in einer Intensität zum Vorschein, die jeden Leser fesseln muss. Die großen Lieben und Enttäuschungen eines ganzen Lebens bekommen in dieser Nacht einen anderen Stellenwert, beleuchten die Menschen aus einer liebevollen und kritischen Perspektive, ohne zu werten. Vorerst lauscht Smelik der Geschichte Nellys - ihrer ersten großen Liebe - ihrer Erzählung über eine sehr distanzierte Ehe und das kurze Glück einer nochmaligen Verbindung, die kurz aber leidenschaftlich war.

Dann öffnet auch er sich seiner Gesprächspartnerin und erzählt eine berührende Geschichte von Helene, der Liebe seines Lebens, die er auf tragische Weise verloren hat, als er gerade im Begriff war zu erkennen, wie viel diese Frau für ihn bedeutet. Aber auch Letta, die Frau, mit der er jahrelang gelebt hat, in einer Art Gleichförmigkeit, Betäubung, findet Eingang in ihr intensives Gespräch, und auch seine Trunksucht.

Diese sehr offene und intensive Konversation, die in Dialogform geschrieben wurde, bringt die beiden so nahe, dass letztendlich seitens Nelly lediglich die Frage offen bleibt: "Werden Sie - bei mir liegen können - ohne an Helene zu denken?"

Eine bewegende Liebesgeschichte der besonderen Art, voller Poesie und Versöhnlichkeit - ein Buch, das Erika Pluhar ihrer Tochter Anna gewidmet hat. Ein Roman, in den auch das eigene Schicksal mit eingewoben wurde, und der wahrscheinlich deshalb unglaublich berührend auf den Leser wirkt. Ein Versuch, die menschliche Existenz in ihren Höhen und Tiefen zu beleuchten und den Schmerz, aber auch das Glück zweier Leben, transparent zu machen. Eine Geschichte, die aber keineswegs in erster Linie traurig stimmt, sondern Hoffnung macht, dass das Leben trotz schier unerträglicher Grausamkeiten immer wieder wunderbare Momente und vor allem Liebe bereit hält.

(Margarete Wais; 03/2003)


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