Alessandro Piperno: "Mit bösen Absichten"
Ungekürzte Lesung - Sprecher: Mathieu
Carrière
(Hörbuchrezension)
Italien steht
Kopf
Allesandro Piperno, anerkannter
Proust-Spezialist, gelang gleich
mit seinem Romandebüt der Einstieg in die italienischen Verkaufsranglisten, was
allein genommen noch keinen Hinweis auf literarische Qualitäten bedeutet.
Weitaus bedeutender ist, dass er die beiden renommierten Literaturpreise "Premio
Viareggio" und "Premio Campiello" gewann. Die eigentliche Handlung des Romans
ist schnell zusammengefasst:
Der Erzähler heißt Daniel Sonnino, Italiener
jüdisch-katholischer Abstammung, und lässt drei Generationen derer von Sonnino
Revue passieren, deren letztes Glied er ist. Dabei beginnt er bei seinem
Großvater Bepy, exzessiver Bacchus-Enkel und Tuchhändler, der lieber an einem
Blasenkrebs zugrunde geht, statt sich operieren zu lassen. Denn es besteht die
Chance, dass er hinterher impotent ist, und für ihn ist ein Leben ohne Sex nicht
vorstellbar.
In einem munteren Reigen lässt Daniel seine
Familienmitglieder vorbei defilieren und vermeidet dabei keine Gelegenheit, sein
Gift gegen die Verwandtschaft zu versprühen. Dass er dabei auch an sich kein
gutes Haar lässt, schwächt die böse Absicht der Bloßstellung seiner Familie in
keiner Weise ab, sondern führt auf Grund der plakativen Dekadenz und
Degenerierung des Enkels zu einem kumulativen Effekt.
Dabei macht er auch
vor deftigen Schilderungen der verschiedensten sexuellen Praktiken keinen Halt.
Gerade der schonungslos-offene und drastische Umgang mit dieser Thematik führte
im erzkonservativen Italien zu einem Aufschrei - der Erlösung. So entlarvt er
sich selbst als Fetischist, der nur durch Schnüffeln an gebrauchter
Mädchenunterwäsche oder Strümpfen sexuelle Befriedigung findet.
Ein
Trend schwappt über den Atlantik
Auch in anderer Hinsicht geht der Autor
für europäische Verhältnisse neue Wege. In Amerika gibt es schon seit längerer
Zeit bei den jungen Schriftstellern jüdischer Herkunft den Trend, die
Unsicherheit über die eigene Identität literarisch zu verarbeiten, wie unlängst
Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss. Dieser Trend scheint mit Piperno jetzt
auch nach Italien übergeschwappt zu sein, denn er ist, gleich seinem Romanheld,
jüdisch-katholischer Abstammung.
Piperno seziert genüsslich die
Verdrängungspolitik des Familienclans. Im Roman entgeht Davids Großvater dem
Holocaust. Doch wird dieses Thema in der Familie nie angesprochen, ja es gilt
fast schon als Tabubruch, auch nur an diese Zeit zu denken. Wieder einmal spinnt
der Autor hier den literarischen Faden weiter als seine schriftstellernden
Landsleute. Statt es bei der Beschreibung des Tabus zu belassen, verleiht er
gerade dem Großvater Bepy genau jene klischeehaften Charakterzüge, mit denen man
gemeinhin Menschen jüdischer Abstammung verunglimpft: Raffgier, eitle
Geltungssucht und Schlitzohrigkeit, die auch, und gerade, vor den eigenen
Verwandten nicht haltmacht, wenn dabei nur ein gutes Geschäft herausspringt.
Piperno nimmt man all dies nicht übel, sondern hakt es unter "literarischer
Freiheit" ab.
Doch was bleibt jenseits der plakativen Anprangerungen und
Tabubrüche? Der Hörer/Leser sollte keinen Galsworthy,
Mann,
Proust oder Doderer erwarten. Eher erinnert der Roman an eine Mischung aus Henry Miller,
Bukowski und einem zynischen Italo Svevo, portiert auf die Bedürfnisse einer
veranstaltungsorientierten Massengesellschaft.
Ein Kavalier liest
Entgleisungen
Bei der Wahl des Sprechers hat der Argon Verlag wieder
einmal ein glückliches Händchen bewiesen. Der als Schauspieler distinguiert,
zurückhaltend und kultiviert wirkende Mathieu Carrière liest "Mit bösen
Absichten" gegen seinen Ruf voller zynischer Anspielungen und
verbaler Erotik.
Dabei verstärkt gerade seine gelassene Art des Vortrages noch die abgründige
Wirkung des Hörbuches, ohne dabei schnoddrig zu wirken oder dem Roman die nötige
Hochachtung abzusprechen. Denn "Mit bösen Absichten" ist nicht nur Unterhaltung
auf gehobenem Niveau, sondern eine genussvoll zelebrierte Abrechnung mit der
italienischen Bourgeoise. Man hat beim Hören häufig das Gefühl es bereite
Mathieu Carrière besonderen Genuss, gerade jene Stellen mit naivster Unschuld zu
lesen, welche die explizitesten Beschreibungen enthalten. Der Hörer dankt es mit
diebischer Freude, hämischem Händereiben und zotigem in sich hinein
Lachen.
Fazit:
Mathieu Carrière zelebriert genussvoll die Demontage
einer römischen Familie über drei Generationen hinweg. Der Roman ist zynisch,
hämisch und niederträchtig und unterhält dabei den Hörer auf exzellente Weise.
Zu höchsten literarischen Weihen reicht es noch nicht ganz. Aber erstens handelt
es sich hier um einen Debütroman und zweitens ist das doch von untergeordneter
Bedeutung, solange ein böser Roman so gut unterhält.
(Wolfgang Haan; 03/2006)
Alessandro Piperno: "Mit bösen
Absichten"
(Originaltitel "Con le peggiori intenzioni")
Aus dem
Italienischen von Marianne Schneider.
Hörbuch:
Argon Verlag, 2006. 9 CDs,
Laufzeit 690 Minuten.
Sprecher: Mathieu Carrière.
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Buch:
S. Fischer Verlag, 2006. 368 Seiten.
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Alessandro Piperno, 1972 in Rom geboren, lehrt französische Literatur an der Universität Tor Vergata in Rom.