Jerzy Pilch: "Andere Lüste"
Stellen Sie sich vor, Sie sind notorischer
Ehebrecher und Ihre schlimmsten Träume werden wahr. So
jedenfalls erging es dem Doktor der Veterinärmedizin Pawel
Kohoutek in Jerzy Pilchs Roman "Andere Lüste", als an einem
Novembertag des Jahres 1990 urplötzlich seine aktuelle
Freundin mit Sack und Pack sich dem Haus nähert, das er
gemeinsam mit seiner Frau, seinem Kind, seinen Eltern,
Großeltern und einigen anderen Personen bewohnt. Dies alles
passiert jedoch nicht in der Welt eines atheistischen und eine moderne
Ehe führenden Tierarztes, sondern in der
kleinbürgerlichen, protestantischen Welt des Pawel Kohoutek,
deren Zwängen er von Kindheit an erlegen war.
Mit einem Mal ist nichts mehr so wie vorher:
Kohoutek schafft es zwar, seine aktuelle Freundin, bevor sie von
anderen Hausbewohnern erspäht wird, in eine neben dem Haus
gelegene, aufgelassene Schlachterei zu verfrachten, doch muss er
jederzeit fürchten, dass sie entdeckt wird oder, noch
schlimmer, selbst bei der Familie vorstellig wird. Nun werden wir
Zeugen eines emotionalen Striptease Kohouteks, der zuerst allein, dann
mit seinem "Meister", dem alten Doktor der Veterinärmedizin
Oyermah, der ihn einst in die Kunst der Veterinärmedizin
einführte, versucht, die Ursachen seiner Leidenschaft
außerehelicher
Beziehungen
zu ergründen und nach einem Ausweg aus seiner
gegenwärtigen Situation sucht.
Welche sind nun die Ursachen seiner Leidenschaft?
Liegt es daran, dass er in jeder Frau seine Mutter sucht ? Oder daran,
dass er vielleicht ein heimlicher
Homosexueller ist? Oder sollen ihn
seine Eroberungen für seine unerfüllten
Wünsche entschädigen? Egal, welche Theorie Kohoutek
auch anstellt - auf ihn ist jede anwendbar.
Der Roman überzeugt nicht nur inhaltlich,
sondern vor allem auch stilistisch. Mit spitzer Feder nimmt Jerzy Pilch
das kleinbürgerliche Leben des Pawel Kohoutek aufs Korn. Er
lässt uns schmunzeln, als Kohoutek meint, seine Mutter habe
seine aktuelle Freundin entdeckt und er nun versucht, sich wie ein
kleiner Junge zu rechtfertigen. Er zwingt uns, gebannt weiter zu lesen,
als Kohoutek seine emotionale Beziehung zu den Frauen beschreibt. Er
stimmt uns aber auch nachdenklich, als Kohouteks Frau ihn enttarnt und
ihr gemeinsames Leben Revue passieren lässt.
Alles in allem: ein gelungener Roman mit viel Witz
und Esprit, der neben "anderen Lüsten" auch die Lust am Lesen
weckt.
Der Autor wurde 1952 in Wisla geboren, studierte Polonistik und debütierte 1988 mit dem Erzählband "Bekenntnisse eines Verfassers heimlicher erotischer Literatur". 2001 wurde er mit dem bedeutendsten Literaturpreis Polens ausgezeichnet. Er lebt in Warschau.
(Wolfgang Varga; 12/2002)
Jerzy
Pilch: "Andere
Lüste"
Aus dem Polnischen von Albrecht
Lempp.
Taschenbuch.
Luchterhand, 2002. 176 Seiten.
ISBN
3-630-62044-2.
ca. EUR 8,50.
Buch bestellen