"Picasso. Malen gegen die Zeit"
Hrsg.
Werner Spies, Albertina, Wien, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen,
Düsseldorf
Text von Werner Spies, Georg Baselitz, Jean Clair,
Marie-Noëlle Delorme, Christine Ekelhart, Ann Hindry, Norbert
Miller, Maria Müller, Kerstin Thomas, Martin Warnke
Bilder
gegen die Vergänglichkeit
Entweder wir feiern Picassos 125 Geburtstag - oder seinen 33. Todestag,
was ja auch originell wäre - oder wir nehmen das Modell des Citroen
C4 Picasso als Großraumauto auf dem Pariser
Autosalon zur Kenntnis. Oder wir nehmen den vorliegenden opulenten Band
eben als das, was er schlichterdings ist: als Ausstellungskatalog der
'Albertina' in Wien (21.9.2006-7.1.2007) bzw. der K20 Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf (3.2.-28.5.2007). Ein
beeindruckendes Dokument mit 305 Abbildungen von Picassos "furiosem
Spätwerk, das den größten Künstler
des 20. Jahrhunderts im Wettlauf mit der ihm noch verbleibenden Zeit
zeigt" (vgl. Vorwort). Der Herausgeber und Kurator der Wiener
Ausstellung Werner Spies war vormals Leiter des Pariser
Musée National d'Art Moderne im Centre Pompidou und
gehörte zu den Wenigen, die persönlichen Kontakt zu
Picasso in seinen letzten Lebensjahren hatten - denn der hatte sich
rigoros aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Picasso hatte ja seine Perioden - die "blaue" (schwermütige
Figurenbilder), die "rosa" (heitere Zirkusmotive), die kubistische
(geometrische Strukturen und Abstraktionen), die surrealistische
(Verschlüsselung und mythologische
Überhöhung psychischer Erfahrungen). Daneben und
dazwischen schrieb Picasso auch dadaistische Theaterstücke
(z.B. 'Wie man Wünsche am Schwanz packt' - 1941 unter der
Regie von Albert
Camus uraufgeführt) und fertigte Lithografien
sowie Keramiken. Zwar gab es bereits 1995 im Benedikt Taschen Verlag
eine zweibändige Präsentation des Gesamtwerks -
überraschenderweise oder auch nicht findet sich im
vorliegenden Band aber doch vieles dort nicht dokumentiertes Neues an
Bildmaterial - und sowieso eine Menge Erläuterungen zum
Alterswerk, was diesen Band quasi unentbehrlich macht.
'Guernica' und die 'Friedenstaube' sind wohl Picassos
populärste Ikonen - er war Kommunist, Mitbegründer
des Kubismus, ihm sind zwei große Museen in Barcelona und
Paris gewidmet, und er liegt im Garten seines eigenen Schlosses
Vauvenargues begraben. Der vorliegende Band zeigt Picasso als
"präzisen Zeichner" und "detailversessenen Grafiker", bei dem
im Alterswerk nun seine verschiedenen Perioden zusammenzulaufen
scheinen. Für Picasso wurde in den letzten zehn bis
zwölf Lebensjahren ein Sujet geradezu zur Obsession: der
Verfall der Schönheit im Alterungsprozess. Er ist quasi ein
gieriger Voyeur, zeigt vulgäre Akte oder starrende Augen. Das
Alterswerk erscheint wie ein
Widerstand
gegen den Tod, eine "Meuterei
gegen die Vergänglichkeit."
Die hier versammelten Bilder stammen aus der Zeit von 1961-1972 im
Landhaus zu Mougins (oberhalb von Cannes). In manischem Arbeitstempo
entstehen Hunderte von Bildern und Grafiken, alle penibel datiert. Die
Gesichter zeigen Schmerz und Klage - die Not der letzten Jahre. Spies
dokumentiert auch die z.T. verletzende Kritik an Picassos
Spätwerk - man warf ihm vor, dass er sich zwar
ändere, aber nicht entwickle. Picasso wird häufig
gegen Matisse und
Duchamp
ausgespielt, die Museen halten sich mit Ausstellungen zurück.
Der Sammler und Kunsthistoriker Douglas Cooper klassifizierte das
Alterswerk als "unzusammenhängende Schmierereien,
ausgeführt von einem rasenden Greis im Vorzimmer des Todes."
Seit den 1980er Jahren setzt eine gewisse Rehabilitation Picassos in
der Kunstszene ein - es gibt sogar eine Ausstellung im Papstpalais zu
Avignon. Dabei kämpfte Picasso
mit seiner "Unzufriedenheit mit der Realität, von der er im
Werk ausgeht, und mit der Realität, die er als
Künstler schafft." Man muss Kunstliebhabern diesen Band
empfehlen, um sich selbst eine persönliche Bewertung zu
erarbeiten - denn Arbeit bedeutet die Beschäftigung mit diesem
Bildmaterial und etlichen flankierenden Aufsätzen.
(KS; 10/2006)
"Picasso.
Malen gegen die Zeit"
Hatje Cantz, 2006. 304 Seiten.
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