Pablo Picasso: "Gedichte"


Selbstbildnis Sprache

Als kleine Sensation konnte dieses Buch am 24. 3. 2007 in der Galerie am Sachsenplatz im Rahmen der Leipziger Buchmesse vorgestellt werden - eingeführt vom Übersetzer Holger Fock und gelesen von Friedhelm Eberle (Schauspiel Leipzig). Dass Pablo Picasso (1881-1973) auch Gedichte geschrieben hat, war bisher kaum bekannt. Sie sind zwischen 1935 und 1959 als Tagebuchnotizen entstanden. Freilich wusste man, dass Picasso Freundschaften mit einer Vielzahl von Schriftstellern pflegte, für die er auch buchillustrative Arbeiten schuf. Umfangreiche Bestände sind erhalten in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und im Grafik-Museum Pablo Picasso Münster - wobei die meisten Manuskripte Picassos im Archiv des Picasso-Museums Paris aufbewahrt werden. Es existierte auch bereits seine 'Poèmes et Litographies'-Serie mit surrealistischen Darstellungen und Texten. Picasso soll einmal gesagt haben: "Im Grunde genommen bin ich ein Dichter, der auf die schiefe Bahn gekommen ist." Wobei es ja auch andere malende Dichter bzw. dichtende Maler gibt (z.B. auch Peter Weiss und Günter Grass). Im übrigen existieren auch über 300 Gedichte zu Picasso-Werken von 190 Autoren aus 30 Ländern, unter ihnen Neruda, Arp, Kaschnitz, Cummings, Ferlinghetti und Pasolini.

Seine doppelte Begabung bringt Picasso wohl mit folgendem Satz zum Ausdruck: "Ein Bild kann ebenso gut mit Worten geschrieben werden wie man Gefühle in Gedichten malen kann." Neben drei Theaterstücken existieren rund 350 Gedichte von Picasso, von denen etwa 100 für den vorliegenden Band ausgewählt wurden. Schriften ('Ecrits') von Picasso wurden schon 1989 in Frankreich herausgegeben, der vorliegende Band erschien im französischen Original im Jahr 2005 - wobei Picasso sowohl auf Spanisch (meist Langgedichte) als auch auf Französisch (meist Experimentelles) schrieb. Picasso verweigert sich bewusst der Grammatik und schafft sich seine eigenen Regeln. Vom Druckbild her muten viele Texte wie Prosa an, thematisch schöpft Picasso seine Stoffe oft aus Spaniens Politik und Gesellschaft. Alle Gedichte tragen als Titel ein Datum. Im übrigen hat er auch seine Bilder nummeriert und datiert: "Sie sind ein Experiment in der Zeit", so seine Begründung.

Die Texte sind durchweg surrealistisch, man könnte auch sagen hypermetaphorisch, metatranszendierend. Entrückt, ungeheuerlich, mit geradezu wahnwitzig-assoziativer Bildkraft. Als suggestives Beispiel sei zitiert '16. Dezember 1935 (I)': "nichts als Farbe / die Biene nagt an ihrem Zaumzeug / nichts als Geruch / der Vogel melkt seine Sichel / nichts als zusehen wie sie sich auf dem Kissen winden / die Liebe schmilzt den Stahl des Gleises der Schwalbe / nichts als ein Haar." In den Texten stößt sich lapidar, was in der vordergründigen Realität nicht zusammengehört - das sind womöglich Traumbilder, die Picasso nicht malen konnte ob ihrer Dynamik. Man wünscht sich hier, dass man Träume verfilmen könnte - etwa wie die kurze Skizze '13. April 1936': "winziges Boot aus Gewürznelken das mit pastellfarbenen Rosas und Grüns bestreut ist bindet glänzt und schimmert aromatisiert und färbt bezaubert und gießt geflügelte Flagge in seine Schale seine Schärpe ..."

Zweifelsohne ein Höhepunkt des Sprachspiels ist hier der Text '15. Juni 1936': "lacht der Knoblauch über seine Sternenfarbe welkes Laub / / lacht über sein spöttisches Rosengesicht der Dolch / den seine Farben hineinstößt der Sternenlauch / als welkes Laub // lacht über sein verschmitztes Rosendolchgesicht der / Geruch des Sterns der als welkes Laub / herabfällt // der geflügelte Knoblauch." Die Sprache bildet sich gewissermaßen selbst ab, sie verweigert den naiven Außenbezug, ohne den wir Menschen aber so gut wie nichts verstehen. Wir sind auf Relationen angewiesen, dadurch wirken solche absoluten Texte sperrig. Dies Buch zu lesen ist eine aufwändige Herausforderung an Fantasie, Geduld und Improvisationsvermögen. Wir müssen die quasi-bürokratische Sprache des Alltags ausblenden und uns den Texten wahrlich wie Bildern nähern. Die in unserem Kopf entstehenden Bildsequenzen werden Fragmente bleiben - wie hatte doch Picasso selbst über seine Malerei geurteilt: "Ich male nie ein Bild als fertiges Kunstwerk. Jedes Bild ist eine Suche." Da kann man nur ausrufen: begeben wir uns mit auf die Suche und machen wir uns gefasst auf vielfältige, aber auch verwechselbare Eindrücke.

(KS; 04/2007)


Pablo Picasso: "Gedichte"
Mit einem Vorwort von Michael Androula.
(Originaltitel "Poèmes")
Aus dem Französischen von Holger Fock.
DVA, 2007. 188 Seiten.
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