Hannelore Dittmar-Ilgen: "Wie der Kork-Krümel ans Weinglas kommt"
Physik für Genießer und Entdecker
Ist
es Ihnen auch schon passiert, dass Sie einem alltäglichen
Phänomen zum vielleicht hundertsten oder tausendsten Mal
begegneten und sich plötzlich fragten, warum dieser Vorgang
ausgerechnet in der vertrauten Weise abläuft und in keiner
anderen, und was dabei auf einer Ebene geschieht, die wir mit unseren
Sinnen nicht wahrnehmen können?
Die Tendenz eines Korkkrümels, sich an das Weinglas zu heften,
statt mitten in der Flüssigkeit zu schwimmen - sie stand
für den Titel des hier besprochenen Buchs Pate -, die
Stabilität von Eischnee und ihre Beeinträchtigung
durch Eigelbreste, das lästige Tröpfeln von Kannen
beim Ausschenken von Getränken, die schillernden Farben von
Schmetterlingen: das alles ist recht einfach zu erklären, denn
es handelt sich nur um Physik.
Nur? - Das Angenehme an der Physik ist, dass man fast alles, was sich
von uns beobachten lässt, anhand relativ weniger, oft
einfacher Gesetze allgemeinverständlich interpretieren kann.
Die vielseitige Physik des Weins füllt einen sehr
abwechslungsreichen Abschnitt des Buchs. Und die scheinbare
Zielstrebigkeit des besagten Korkkrümels wird durch die
Oberflächenspannung des Wassers als wesentlichem
Weinbestandteil hervorgerufen. Ebendiese Oberflächenspannung
ermöglicht übrigens auch die Lebensweise des Insekts
namens Wasserläufer.
Das Eiklar enthält Proteine, die sich durch das Schlagen so
verändern, dass sie feine Luftbläschen stabilisieren
können. Weitere uns aus dem Alltag vertraute Schäume,
darunter Bier, Luftschokolade, Soufflé und die Crema auf dem
Espresso, kommen teils auf ähnliche, teils auf
gänzlich andere Weise zustande.
A propos Kaffee:
der Physik rund um den allseits beliebten Muntermacher ist ein ganzer
Abschnitt gewidmet. Wie wird Kaffee hergestellt? Welche Stoffe
bestimmen Geruch, Geschmack und anregende Wirkung, und wie gelangen sie
letztlich in die Tasse? Wie kühlt man aus physikalischer Sicht
das kochend heiße Getränk am effektivsten? Was
bewirkt die eigenartigen Muster, die man manchmal auf heißem
Kaffee beobachtet? Und warum tröpfeln manche Kannen, andere
nicht?
Die letztgenannte Frage lässt sich über die
Strömungslehre beantworten, ebenso wie die Strukturen, die
auftreten, wenn Wasser ein Hindernis umfließt. Ein Abschnitt
des Buchs ist daher verblüffenden Mustern und Strukturen
gewidmet. Beispielsweise geht es um die Frage, warum sich im Inneren
vieler Eiszapfen ein dünner Hohlraum mit flüssigem
Wasser befindet. Auch die farbenfroh schillernden Muster auf
Schmetterlingsflügeln werden in diesem Abschnitt im wahrsten
Sinne des Wortes unter die Lupe genommen, denn es sind in den meisten
Fällen keine Pigmente dafür verantwortlich, sondern
sehr feine Strukturen auf der Flügeloberfläche.
Im Abschnitt "Physik in der Natur" geht es um Phänomene, die
mit Wasser zu tun haben, um Polarlichter und Kometen. Wie wird ein
Kiesel rund? Und warum können geschickte Werfer einen flachen
Stein dazu bringen, vor dem Versinken auf der Wasseroberfläche
mehrere Sprünge zu vollführen? Welche Ursachen haben
Monsterwellen und Tsunamis?
Und auch das Leben selbst steckt voller Physik. Die Evolution
hat deren Gesetze für sich ausgenützt. So beruhen die
Beweglichkeit der Forelle und die Schnelligkeit und Ausdauer des Hais
auf "Anwendungen" aus der Strömungslehre. Spinnennetze
könnten ebenso wie Spinnenfüße Impulse
für technische Entwicklungen geben. Auch die Orientierung von
Tierarten mit Wandertrieb
scheint auf einfacher Physik, nämlich dem Erdmagnetfeld, zu
basieren, und das Ohr tut nichts anderes, als Schallwellen
über mechanische in elektrische Impulse umzuwandeln.
Nach "Warum platzen Seifenblasen?" und "Wie
das Salz ins Meerwasser kommt und warum es keine Eisblumen mehr gibt"
ist "Wie der Kork-Krümel ans Weinglas kommt" das dritte Buch
der Autorin über alltägliche physikalische
Phänomene, und auch hierfür hat sie viele scheinbar
unbeachtliche Vorgänge zusammengetragen, die beim genauen
Hinsehen interessante Fragen aufwerfen, welche sich spannend und
dennoch unkompliziert beantworten lassen. Es ist also keineswegs
"Murphys Gesetz" am Werk, wenn Sie als Gastgeberin beim
Kaffeekränzchen kleckern, sondern ein Druckgefälle an
der Tüllenkante, das die Anhaftung des Kaffees an der Kanne
auslöst. Und dieses Druckgefälle lässt sich
ganz leicht erklären.
Das Buch ermutigt wie seine "Vorgänger" zum Fragenstellen und
dazu, dem Leben mit offeneren Augen zu begegnen, zumal die Autorin
häufig Vorschläge und Anleitungen für
unkomplizierte, pfiffige kleine Experimente einflicht. Der Themenbogen
ist weit gespannt, doch die einzelnen Phänomene und
Beobachtungen werden so gründlich erläutert, dass der
Leser sie auch begreifen kann, wenn er in der Schule alles andere als
eine Leuchte in Physik war. Zudem versteht es die Autorin, die
physikalischen Hintergründe des nur scheinbar Banalen wirklich
spannend zu vermitteln. Zahlreiche Skizzen und Fotos veranschaulichen
den Text.
Es lohnt sich übrigens, den sorgfältig erstellten
Anhang mit Literaturempfehlungen und Internetadressen zum Thema
durchzusehen.
Dieses Buch ist der Autorin ebenso vorzüglich gelungen wie die
vorausgegangenen. Alle drei Titel wenden sich zwar vorwiegend an
Erwachsene, doch könnten sie dank ihrer Lebendigkeit und
Alltagsbezogenheit auch den schulischen Physikunterricht auf
sympathische und anregende Weise ergänzen und bereichern.
(Regina Károlyi; 09/2006)
Hannelore
Dittmar-Ilgen: "Wie der Kork-Krümel ans Weinglas kommt"
S. Hirzel Verlag, 2006. 172 Seiten.
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