Constantin J. Vamvacas: "Die Geburt der Philosophie"
Von Thales bis Demokrit
Rationale
Spekulationen
'Der vorsokratische Geist als Begründer von Philosophie und
Naturwissenschaften' (Untertitel) wird uns hier in der
Übersetzung aus dem Griechischen von Mark Michalski
nähergebracht - dabei geht es um den spannenden Prozess der
Emanzipation einer theoretisierenden rationalen Philosophie einerseits
von mythischen
Welterklärungen, andererseits von einem
praktisch-logisch-naturwissenschaftlichem Denken. Geistiges und
historisches Kristallisationsareal war das Jonien des 6. und 5.
Jahrhunderts v. Chr. Die Basisfragen richteten sich auf die kosmischen
Ursachen und nach dem Grundstoff, aus dem alles entstanden ist. Konnte
und wollte man damals nicht streng zwischen Naturwissenschaft und
Philosophie unterscheiden, so registrieren wir heute interessanterweise
eine Annäherung der natur- und geisteswissenschaftlichen
Fragestellungen bzw. Welterklärungsmodelle. Wobei wohlgemerkt
das vorrationale mythologische bzw. parasitäre
religionistische Dogmenkonglomerat sämtlicher Konfessionen und
Konfigurationen ausgeklammert bleibt.
Ratio, Empirie und der Mut zur Spekulation gehen eine
erkenntnisförderliche Symbiose ein - fehlt nur noch die
Poesie, nebenbei bemerkt. Wobei eigentlich zu fragen wäre,
weswegen die zehn hier präsentierten Philosophen
überhaupt als
"Vorsokratiker"
bezeichnet wurden - ging es
ihnen doch um die Erkenntnis des Ursprungs und der Substanz des Seins,
während Sokrates eigentlich ein Tugendphilosoph war. Er wollte
doch durch gezielte Fragen erreichen, dass seine Schüler
selbst zur Erkenntnis gelangten, die da lautete: die Tugend ist die
Basis des Logos und Schandtaten begehe jemand nur aus Unwissen:
"Niemand tut wissentlich unrecht" - was sich freilich als eine sehr
naive Annahme erwiesen hat. Das Komplizierte an der Philosophie ist
nicht die Erkenntnissuche als solche, sondern das Bemühen der
späteren Nachgeborenen, die jeweils für sich
authentischen Vorgänge in ein stabiles Verwertungssystem zu
bannen - wobei von Interpret zu Interpret die Kriterien leider
variieren. So liest man in verschiedenen Darstellungen unterschiedliche
Zuordnungen zu dieser oder jener philosophischen Schule. Allerdings
tauchen die im vorliegenden Buch genannten zehn Philosophen
überwiegend in den meisten einschlägigen
Darstellungen auf. Nach wissenschaftstraditioneller Konvention teilt
man die sogenannten "Vorsokratiker" in drei bis vier Gruppen ein: die
milesischen Naturphilosophen (Thales, Anaximandros, Anaximenes),
Pythagoras als großen Einzelnen, die Eleaten (Xenophanes,
Parmenides, Zenon) und die Naturphilosophen des 5. Jahrhunderts
(Heraklit, Empedokles, Anaxagoras, Demokrit) - damit
entspräche die vorliegende Darstellung in etwa dem
philosophiegeschichtlichen Status Quo.
In seinem 'Geleitwort' verweist Alfred Stückelberger auf die
menschliche Fähigkeit zur Abstraktion und zur Systematisierung
- und darauf, dass Erkenntnis mit Staunen beginnt. Auch seien die
Vorsokratiker ein Beispiel gewesen für interkulturellen
Austausch, indem sie bereits Anregungen von den Ägyptern,
Babyloniern und Persern aufgenommen hatten. In seinem Vorwort betont
Vamvacas den Einfluss der Vorsokratiker auf die heutige Philosophie und
Naturwissenschaft und möchte den Anteil an der "Grundlegung
und Entwicklung des europäischen Denkens" seitens der
Vorsokratiker würdigen - wobei sicherlich bezweifelt werden
darf, ob und wie sehr diese "europäische" Dimension diesen
besagten Denkern bewusst und überhaupt wichtig gewesen sein
dürfte. Was Karl Jaspers als die "Achsenzeit der
Weltgeschichte" bezeichnete, war das 7. Jahrhundert v. Chr. in dem in
China (Lao-Tse,
Kon-Fu-Tse), Indien
(Buddha), Persien (Zarathustra) und
Griechenland (Vorsokratiker, Sokrates,
Platon,
Aristoteles) Menschen zu
der Erkenntnis gelangten, dass sie mittels eigenem kritischen Denken
die Wahrheit herausfinden können.
Die Griechen hatten ein Problem weniger bezüglich der
Entstehung der Welt und jedwelcher göttlicher Funktion dabei:
die Welt ist für sie auf natürlichem Weg entstanden,
und zu dieser Welt gehörten Gott bzw. die Götter -
und bereits in den homerischen Epen fanden sich "Elemente der
Götterparodie", der Entmythologisierung. Das vorsokratische
Denken charakterisiert Vamvacas folgendermaßen: In der Welt
gibt es Ordnung, Einheit und Beständigkeit - letztere "liegt
in dem ursprünglichen Grundstoff beschlossen, aus dem die Welt
hervorgegangen ist" und welcher "ausschließlich auf
natürlichen Ursachen" beruht, welche der Mensch "auf rationale
Weise" erforschen kann. Ebenso werden die Methodik, die
Assoziationskraft und die Fähigkeit zur logischen
Schlussfolgerung seitens der Vorsokratiker als Fundament auch noch der
heutigen Wissenschaft
und Philosophie gesehen.
Im 6. Jahrhundert suchen die drei Milesier hinter der Vielfalt der
Natur einen Urstoff, ein Grundelement, aus dem alles hervorging und
welches weiterhin die Evolution vorantreibt. Für Thales war es
das Wasser, für Anaximander das Unendliche und für
Anaximenes die Luft. Pythagoras suchte nach der
unveränderlichen Form und wollte die Verhältnisse der
Dinge zueinander mit Zahlen bestimmen. So vollzog sich die
"entscheidende Wende des Geistes von der Suche physikalischer
Erklärungen zu abstrakteren, mathematischen Begriffen." Von
den sogenannten Eleaten war es Xenophanes, der als erster
ausdrücklich Gott negiert und den Menschen mit seiner Vernunft
aufruft, stets zum Besseren voranzuschreiten. Sein Schüler
Parmenides sieht das Seiende als unveränderlich, weil sich das
Seiende nicht in etwas (noch) nicht Seiendes verwandeln könne.
Die Naturphilosophen des 5. Jahrhunderts, Heraklit (sieht das Feuer als
ewig bewegendes Element), Empedokles (sieht vier Elemente: Erde,
Wasser, Luft, Feuer), Anaxagoras (etabliert erstmals den Geist als
Movens der Materie) und Demokrit (nimmt unteilbare Atome als kleinste
Grundkörper an) haben im Kern schon recht modern anmutende
Ideen.
Vamvacas sagt ganz klar: "Die Vorsokratiker stellten als Erste die
entscheidenden philosophischen und wissenschaftlichen Fragen, die
seitdem das abendländische Denken beschäftigen. (...)
Sie begründeten als Erste die Tradition der kritischen - und
nicht dogmatischen - Forschung, ohne die es Wissenschaft nicht
gäbe." Das sollte schon Motivation genug sein, sich mit dem
vorliegenden Buch eingehender zu beschäftigen - vielleicht
hilft es ja dadurch dem Anspruch "Erkenne dich selbst" des weisesten
der Sieben Weisen, Thales von Milet, gerecht zu werden.
(KS; 02/2007)
Constantin
J. Vamvacas: "Die Geburt der Philosophie"
Artemis & Winkler, 2006. 400 Seiten.
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