Mischa Meier (Hrsg.): "Pest"
Die Geschichte eines Menschheitstraumas
Wie Seuchen im Lauf der Geschichte auf menschliche Gesellschaften einwirkten
Die Pest: auch fast 200 Jahre nach ihrem letzten größeren
Auftritt in Westeuropa hat der Name dieser einst so verheerenden
Krankheit einen sehr bedrohlichen Klang. "Pest - Die Geschichte eines
Menschheitstraumas" besteht aus mehreren Artikeln über verheerende
Seuchen aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickpunkten.
Zwar steht die eigentliche Pest in diesem Buch im Vordergrund, doch da die altgriechische Bezeichnung "loimos"
und ihr lateinisches Pendant "pestis" ganz allgemein für Massenerkrankungen galten, beziehen sich frühantike
Schilderungen eines "loimos" sicher nicht auf die Krankheit, die im Mittelalter etwa ein Drittel der Bevölkerung
das Leben kostete.
Zunächst erfolgt eine Betrachtung der schriftlich erwähnten
Seuchen in der Antike. Vor allem die "Pest" in Athen 430-426 v. Chr.,
die Thukydides eindrucksvoll dokumentierte, und die so genannte
"Justinianische Pest" Mitte des fünften nachchristlichen
Jahrhunderts (vermutlich die erste "echte" Pestepidemie) werden
ausführlich behandelt. Im Abschnitt über das Mittelalter geht
es um Massenerkrankungen wie Mutterkornvergiftungen, Durchfälle
und den "Schwarzen Tod" im 14. Jahrhundert. Die mittelalterlichen
Epidemien in Byzanz und in der arabischen Welt werden gesondert
erläutert. Ein großer Abschnitt befasst sich mit der Pest in
der Neuzeit einschließlich der Aufklärung der
Übertragungsmechanismen und der Identifikation des Erregers.
Abschließend wird aufgezeigt, wie vielseitig und dramatisch das
Phänomen Pest sich in Kunst und Literatur niederschlug.
In den historischen Abschnitten stellen die Autoren den Erklärungsversuchen
der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Völker und Kulturen - meist
sah man Seuchen als Gottesstrafen an - die aus heutiger Sicht anzunehmenden
Ursachen gegenüber. Der Leser lernt die Übertragungswege sowohl in biologischer
als auch in geografischer Hinsicht kennen, die typische Suche nach Sündenböcken
und deren Bestrafung (z.B.
Verdächtigung der
Juden als Brunnenvergifter) sowie Bekämpfungsstrategien: Die Erkenntnis,
dass strenge Maßnahmen wie etwa Absonderung der Erkrankten, Hygiene, Abschottung
gegenüber Reisenden und Quarantänebestimmungen für Schiffsladungen und -mannschaften
aus befallenen Gebieten vor der Seuche schützten, führte letztlich zur Herausbildung
der modernen, bürokratisch verwalteten Staatlichkeit. Zuvor mussten sich diese
Vorgaben freilich gegen die vielfältigen religiös motivierten Handlungsweisen
der Bevölkerung durchsetzen, die einem wirksamen Schutz oft diametral zuwiderliefen.
Bedeutsam sind auch die politischen Folgen der großen Epidemien und Pandemien.
Nicht zuletzt ging Byzanz aufgrund der zahlreichen Pestzüge unter; die Schwächung
Byzanz' und Persiens machte die Ausbreitung des Islam im Mittelalter möglich.
Und Seuchen im Gefolge von Kriegen erzeugten manchen Pyrrhussieg.
Den Autoren gelingt es, die gewaltige Auswirkung der über weite
Phasen der Menschheitsgeschichte in jeder Generation präsenten
Bedrohung durch Seuchen in all ihren Ausprägungen zu
verdeutlichen. Sehr positiv fällt der behutsame Umgang mit antiken
und mittelalterlichen Quellen auf, die sonst gern ohne den jeweiligen
kulturellen und religiösen Kontext herangezogen werden.
Trotz der streng sachlich verfassten Texte ist das Buch auch für
interessierte Laien gut verständlich und spannend zu lesen, zumal
man eine Fülle von teils sehr überraschenden Erkenntnissen
über die heute noch spürbaren Folgen lange
zurückliegender Massenerkrankungen daraus beziehen kann.
Bei einer derart gründlichen Synopse kommt es manchmal
zwangsläufig zu inhaltlichen Überschneidungen, die sich
jedoch im Rahmen halten. Die Aufmachung des Buches ist hochwertig und
ansprechend, wozu auch die zahlreichen farbigen und
Schwarzweiß-Illustrationen beitragen. Eine Vielzahl von
Anmerkungen und
bibliografischen Hinweisen sowie mehrere detaillierte Register
ergänzen den sehr positiven Gesamteindruck.
(Regina Károlyi; 11/2005)
Mischa Meier (Hrsg.): "Pest"
Klett-Cotta, 2005. 478 Seiten.
ISBN 3-608-94359-5.
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Mischa Meier studierte Klassische
Philologie und Geschichte an der Universität Bochum. 1998 Promotion über das
frühe Sparta; 1999 bis 2004 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Alte
Geschichte an der Universität Bielefeld. Seit 2004 Professor für Alte
Geschichte in Tübingen.
Noch ein Buchtipp:
Stefan Winkle: "Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen"
Pest und Pocken, Aussatz und Tuberkulose, Syphilis und
Aids
- immer wieder wird die Menschheit von furchtbaren Seuchen heimgesucht. Der
große Medizinhistoriker Stefan Winkle hat darüber das umfassende Standardwerk
veröffentlicht. Es schildert mit einzigartiger Sachkenntnis und Informationsdichte
die großen Epidemien von der Antike bis heute.
Die aktualisierte Neuauflage des 1997 zum ersten Mal erschienenen Buches berücksichtigt
auch die bedrohlichen Entwicklungen im Bereich der biologischen Waffen.
(Artemis & Winkler)
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