Rotraud A. Perner: "Sein wie Gott"
Von der Macht der Heiler
Rotraud Perner
versucht in ihrem Buch der Frage nachzugehen, wie es dazu kommt, dass der Sacerdos
- ihr Synonym für Heiler, Priester und Politiker - über so viel Macht verfügt
und woran es liegt, dass es immer wieder Personen aus diesem Kreis gibt, die ihre
Macht missbrauchen.
Die
Figur des Sacerdos findet sich in allen Kulturen und in jeder Zeit. Einstmals
war er Schamane oder Häuptling eines Stammes, später wurde er zum Priester und
leitete so seine Schäfchen durch die Jahrtausende. Diese heilende Kraft manifestiert(e)
sich aber auch in Künstlern und Politikern mit Visionen - wenn Letztere auch des
Öfteren ihre zerstörerischen Kräfte durchkommen lassen. Perner zeigt auf, wie
sich die Hierarchien innerhalb politischer Parteien von der Hierarchie der Kirche
ableiten bzw. welche Parallelen sich finden lassen. Sie ist eine Frau mit vielen
Ideen, die sie alle zusammen in dieses Buch gepackt hat. Es hat den Anschein,
sie habe sich der psychoanalytischen Methode der freien Assoziation bedient, und
so springt sie von einem Punkt zum nächsten, beginnt mit
Feng
Shui, verweist auf
NLP, erklärt, was die
Psychoanalyse
dazu sagt, aber was in der Gesprächstherapie deutlicher zum Ausdruck kommt, führt
in die Ideen des Pranaheilens ein, welches ja dann eine Verbindung zum
Tantra
erkennen lässt, und so weiter und so fort. Das klingt verwirrend? Ist es streckenweise
auch immer wieder.
Die meisten Menschen fühlen sich leer
und unvollständig. Viele suchen einen Therapeuten auf - oder einen Seelsorger
- oder versuchen sich durch den Besuch eines Konzertes oder die Einnahme irgendwelcher
Drogen - legaler, wie illegaler - sich wieder vollständig zu fühlen. Oftmals
sind es aber die Therapeuten und Seelsorger, die nicht so "voll" sind, wie sie
sein sollten, um ihren Klienten oder "Schäfchen"
das zu geben, wessen diese bedürfen - nämlich Heil. Nicht über diese Vollständigkeit,
dieses Sich-ganz-rund-Fühlen verfügend, neigen sie dazu, sich selbst ihr Heil
bei anderen zu suchen, d. h. sie neigen dazu, andere zu missbrauchen. Aufgabe
der Heiler ist es nun, sich selbst dem Heil und der Kraft zu nähern, um Missbrauch
zu vermeiden, "oder wieder anders formuliert" sollte es ihnen - in diesem Fall
steht die männliche Form tatsächlich in erster Linie für die Männer - bewusst
sein, dass die Liebe der Klienten, eigentlich nicht ihnen gilt, sondern der
Elternfigur, welche die Klienten in ihnen unbewusst sehen, sie - wieder die
Klienten - also immer nur die Liebe der Eltern suchen, die sie in ihrer Kindheit
niemals oder nur selten bekommen haben. So stellt Perner die These auf, ein
Heiler brauche immer einen stabilen (Beziehungs-)Partner an seiner Seite, um
selbst stabil sein zu können, und um diese Suche nach der heilen Ganzheit zu
erleichtern, führt sie die Leser durch die vier Elemente.
Perner erweckt ferner den Eindruck, wir alle hätte weniger Verlangen nach Sex, wenn uns
unsere Eltern mehr und ehrlicher geliebt hätten. Somit wird das Verlangen nach
Sex etwas Pathologisches, weil eben durch Mangel an Liebe wir uns nicht entfalten
konnten, wie wir sollten, nämlich liebende Wesen zu sein, denen bei ausreichender
Liebe die Lust auf Sex vergeht. Wahrscheinlich hat sie es nicht so gemeint, aber
vielleicht doch. Vielleicht auch musste sie selbst mit diesem Buch einen Teil
eigener (auch kirchlicher) Erziehung aufarbeiten. Wir wollen es hoffen, auf dass
sie in Ganzheit ihre Klienten optimal betreuen kann. Ohne Zweifel ist Perner eine
vielwissende Frau, jedoch zieht sie Vergleiche heran, die auf den ersten Blick
zwar plausibel klingen, doch fehlt es an der Ausführlichkeit, das Dargestellte
auch ausreichend zu untermauern. So ist das Buch sicherlich eine Fundgrube und
regt an, sich mit vielen Personen und Aspekten näher zu beschäftigen.
Dies gilt für "Fachwissende".
(Ivan Kristianof; 10/2002)
Rotraud
A. Perner: "Sein wie Gott"
Kösel, 2002. 200 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Arnold Mettnitzer: "Couch und Altar. Erfahrungen aus
Psychotherapie und Seelsorge"
Psychotherapie und Seelsorge gehören seit der Antike zusammen. Das ist in
Vergessenheit geraten und erst durch
Freuds
Wiederentdeckung des Unbewussten erneut sichtbar geworden. Die Seelsorge ist "die
ältere Schwester der Psychotherapie" und pocht daher auf Tradition und
längere Erfahrung. Der Psychotherapeut als "der jüngere Bruder des
Seelsorgers" mag als "Liebkind der Neuzeit" seinen größeren
Charme ins Treffen führen. Die gegenseitig notwendige Abgrenzung gerät
mitunter zur Ausgrenzung: Bei aller notwendigen Unterscheidung von
Psychotherapie und Seelsorge wird es Zeit, das Verbindende vor das Trennende zu
stellen. Rund um Couch und Altar eröffnen sich in einem angstfreien Miteinander
gegenseitig befruchtende Lebensfelder. Daran zu erinnern, und damit den Geist
des Urchristentums
wieder lebendig zu machen, wäre ein Liebesdienst, den die Psychotherapie der
Seelsorge leisten könnte. (Styria)
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